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Alois Schöpf
Die Freunderlwirtschaft am
Kultur-Erbhof
Tiroler Festspiele Erl
Bemerkungen zum Tiroler Regierungsprogramm 2022
Kunst und Kultur
Folge 7

Über die fragwürdige Vertreibung Gustav Kuhns aus seinem Lebenswerk wurde in diesem Blog schon genug berichtet und, als Bilanz, moralistische Maßlosigkeit zum Zweck der Selbsterhöhung und der Wähleranbiederung diagnostiziert.

Im wohligen Gefühl auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, können unsere Provinzpolitiker seit dem Abgang des Maestros, dem die Demütigung abverlangt wurde, weder Proben noch Vorstellungen zu besuchen, obwohl er neben dem Festspielhaus wohnt, hinfort wieder ungestört ihren Hochkultur-Fototermin wahrnehmen und Hans-Peter Haselsteiner kann bei der Eröffnung, idealerweise in Anwesenheit unseres Staats-Kaunertalers, Sätze absondern, die nach Humanismus riechen.

Trotz solchen Getöns, bei dem die heimischen Medien fleißig mitspielen, indem sie Erl zu einem weiteren Zentrum der sommerlichen Festspielkultur hochschreiben, sind die Tiroler Festspiele Erl inzwischen tot, weil sie nur noch irgendetwas sind.

Weil eben Festspiele zwischen Verona, Bregenz, München und Salzburg nur dann Sinn machen, wenn sie qualitativ europäische Spitze bieten, was als Außenstelle eines noch so renommierten Deutschen Opernhauses mit aufsteigenden Dirigentensternen, die niemand kennt, und Sängernachwuchs, dem man alles Gute wünscht, nicht funktioniert.

Die neue Intendanz in Erl hat nach Kuhn, der sich als Persönlichkeit genügte, was langfristig nicht unwesentlich zur Anhäufung jenes schlechten Karmas beitrug, das in Gestalt von Metoo über ihn hereinbrach, nie Programmideen entwickelt, die das Festival unverwechselbar machen würden.

Wagner wird weiter gepflegt, was in Nachbarschaft von Bayreuth immer schon fragwürdig war. Der Rest besteht ein bisschen aus Rossini, ein bisschen aus Verismo, ein bisschen aus vergessenen Meisterwerken à la Chausson mit darüber gestreuter Volksmusik für Salonlinke. Zeitgenössisches ist mehr oder weniger abgemeldet.

Und mit Tirol und seinen Steuerzahlern hat dieses von Deutschland aus der Kulturkolonie Tirol aufoktroyierte Programm schon überhaupt nichts mehr zu tun. Hier kreist ein germanischer Planet um die Euros-spuckende Ösi-Sonne.

Festspiele sind aus anthropologischer Sicht die säkularen Hochämter einer Wohlstandsgesellschaft, die sich mit den Mitteln der Musik selbst feiert, sich dabei ihrer selbst, ihrer Emotionalität, ihrer Werte inklusive ihrer stets ungelösten Probleme bewusst wird und sich mit Genuss jenen ästhetischen Höchstleistungen hingibt, in deren formalen Rahmen die spezifisch europäische Selbstwahrnehmung erfolgt.

In gleicher Weise, wie früher an hohen Festtagen aus der Stadt ein Jesuitenpater als Prediger ins Dorf kam, auch nach Erl, oder gar der Abt des die Region betreuenden Klosters höchstpersönlich erschien, um wirkmächtig von der Kanzel herab die Heilslehre zu verkünden, müssen Festspiele sich ex cathedra aus dem Zentrum kultureller Höchstleistungen ableiten lassen, um das Dargebotene magisch aufzuladen und ein zahlungswilliges Publikum davon zu überzeugen, dass es etwas Bedeutendem beiwohnt und damit selbst an Bedeutung gewinnt, was im banausischsten Fall auf reinen Distinktionsgewinn nach Bourdieu hinausläuft.

(In der Verzweiflung, immer nur zu wenig Bedeutendes geboten zu bekommen, hat sich im Übrigen die Unsitte eingebürgert, sogar offenkundige Minderleistungen mit Standing Ovations zu bedenken, um sich auf diese Art selbst belügen zu können, man sei, wenn man sich schon die Mühe gemacht habe, zu kommen und zu bezahlen, Zeuge eines großen Kunstereignisses geworden, auch wenn es ein solches nicht war.)

Um eine säkular-sakrale, kunstmagische Aufladung zu erreichen, müssen für Festspiele ausreichende Geldmittel vorhanden sein. Diese Voraussetzung dürfte  sich bei den bäurischen Tirolern, die Kultur immer nur um 10 Prozent von dem haben wollen, was andere dafür bezahlen, als ein schier unüberwindliches Problem erweisen. So auch in Erl, wo man hofft, um ein paar Millionen den Salzburger Festspielen oder Bregenz in der Nachbarschaft Paroli zu bieten.

Womit die Frage bleibt: Wie stellt die Situation sich derzeit dar und wie könnte eine gedeihliche Zukunft aussehen?

Beginnen wir im Gelände und beim attraktiven, jedoch zugleich belastenden Privileg, über zwei mitten in der grünen Wiese stehende außerordentliche Konzert- bzw. Opernhäuser an der Grenze zu Deutschland zu verfügen.

Opernhäuser müssen im Zeitalter der Mobilität nicht mehr im Zentrum einer Stadt stehen. Sie können genausogut in die grüne Natur verlagert werden und damit dem Publikum paradigmatisch und in Anlehnung an die neoreligiöse Naturverehrung eine Rückkehr zu den mütterlichen Ursprüngen signalisieren.

Für eine solche Rückbesinnung steht in Erl einerseits das Passionsspielhaus mit 1.500 Sitzplätzen zur Verfügung. In ihm wird alle sechs Jahre in einem unsäglichen, aber enorm erfolgreichen Kitschspektakel die an sich schon reichlich kitschige Passion Christi aufgeführt und Gott dafür gedankt, dass er mit der Pest nicht die Erler, sondern die Niederndorfer und Oberaudorfer heimgesucht hat.

Das andere, vor wenigen Jahren erst errichtete Gebäude in unmittelbarer Nähe ist zweifelsfrei eines der modernsten und schönsten modernen Opernhäuser Mitteleuropas mit ca. 800 Sitzplätzen, einem großen versenk- und hebbaren Orchestergraben und einer sehr sensiblen, außerordentlichen Akustik.

1.
Dass Festspielhäuser sogar leer stehen bzw. mehrfach in Konkurs gehen können, wenn der erhoffte Erfolg ausbleibt, beweist die traurige Geschichte des Festspielhauses Neuschwanstein am Ufer des Forggensees in Füssen und das mäßig erfolgreiche Bemühen, sich mit diversen Musicalaufführungen mehr schlecht als recht über die Runden zu retten. Es ist auszuschließen, dass Mäzen Haselsteiner und das Land Tirol einer solchen Entwicklung in Erl, auch wenn sie ins klassische Fach transferiert würde, tatenlos zuschauen.

2.
Dem derzeitigen Spielplan, der nicht selten schlecht verkaufte Aufführungen zur Folge hat, fehlt in seiner Mischung aus Mainstream-Musiktheater, unter anderem für die Richard Wagner Hardcore-Gemeinde, und Exotika, durch die man versucht, am Markt der Aufmerksamkeit wahrgenommen zu werden, als Außenstelle der Frankfurter Oper und Experimentierfeld für Nachwuchstalente jene internationale Qualität, die für Festspiele unabdingbar ist. Es fehlt aber auch, wie schon angedeutet, jeglicher Bezug zu Tirol, das mit seinen Subventionen taxfrei ein Publikum aus dem südbayerischen Raum bedient, was zumindest angemerkt werden sollte.

Ein „weiter so“ in Erl liefe also auf die hierzulande beliebteste und bequemste Form hinaus, mit Kulturprojekten umzugehen: sich nämlich mit dem Mittelmaß zufrieden zu geben und damit im Sinne eines effizienten Kulturmanagements zugleich die teuerste Variante zu wählen, die mit dem lapidaren Satz umschrieben werden kann: Zwei Blinde ergeben noch keinen Sehenden!

3.
In gleicher Weise, in der auszuschließen ist, dass die Stiftung Haselsteiner und das Land Tirol einen Niedergang à la Füssen zulassen würden, ist auch auszuschließen (und es wäre im Hinblick auf alle anderen kulturellen Aktivitäten im Lande auch nicht zu verantworten), dass durch die notwendige Verfünffachung des Budgets internationale Konkurrenzfähigkeit im Rahmen der europäischen Festivals einfach zugekauft wird. Derlei könnte zudem, wenn es unerwarteter Weise doch geschehen würde, aufgrund der Unerfahrenheit Tirols und seiner dilettierenden Kulturpolitiker im Umgang mit kulturellen Spitzenleistungen sehr leicht in einem neureichen und unsäglich peinlichen Desaster enden.

Die vernünftigste Lösung für eine gute Zukunft in Erl kann daher nur auf der realistischen Erkenntnis aufbauen, dass die Entwicklung eines renommierten Festivals ein langwieriger Lernprozess ist, der sinnvollerweise durch eine stetige, gleichmäßige Steigerung der Zuschüsse begleitet wird, und dass im Rahmen dieser Budgetsteigerung, die zugleich als Belohnung für die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu betrachten ist, Wirkmächtigkeit nach außen und Qualitätssteigerung nach innen vor allem durch Synergie-Effekte erzielt werden können.

4.
Vor diesem Hintergrund kann es nicht sein, dass in Tirol ein unterbudgetiertes Dreispartentheater in der Hauptstadt und zwei unterbudgetierte Opernhäuser in der Wiese stehen, die beide über eigene, im Hinblick auf Erl sogar aufgeblasene Bürokratien verfügen und die kommunikationslos nebeneinander her agieren.

Ebenso verfügt die Tiroler Landestheater GmbH über ein professionelles Orchester, das bei entsprechend durchsetzungstarken Dirigenten hervorragend spielen kann, was ebenso für das Festivalorchester in Erl gilt. Zwischen beiden Orchestern existiert keinerlei Zusammenarbeit, weder im Austausch von Dirigenten noch im abgesprochenen Engagement von Musikern. Eine Zusammenarbeit der beiden Institutionen Landestheater und Festspiele Erl fehlt aber auch in Sachen Marketing, bei den Kostüm- und Bühnenwerkstätten oder gar in einer gemeinsamen Programmplanung.

Die juridisch wie auch immer gestaltete Zusammenführung der Tiroler Landestheater GmbH und der Tiroler Festspiele Erl Betriebs GmbH, deren Mehrheitseigentümerin das Land Tirol ist, wäre daher ein Gebot der Stunde. Dieser neu zu schaffenden Dachgesellschaft sollte ein international renommierter Dirigent als musikalischer Leiter und ein ebenso renommierter Intendant vorangestellt werden. Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck und das Festivalorchester Erl sollten in Folge zu einem Spitzenorchester von europäischem Format zusammengeführt werden.

Dabei dürfte sich das Engagement eines Chefdirigenten als weniger schwierig erweisen als im Zeitalter des immer noch anhaltenden Regietheaterwahnsinns einen Intendanten zu finden, der einen so großen Kunstkonzern nicht zur Selbstverwirklichung missbraucht, sondern sich für die Grundversorgung der Bevölkerung mit jener Musik verantwortlich fühlt, die immer mehr zum fragwürdigen Privileg einer langsam aussterbenden Generation wird, obgleich sie den möglicherweise einzig wirklich bedeutenden Beitrag der abendländischen Kultur zur Weltgesellschaft darstellt.

Aufgabe der neu geschaffenen Musiktheatergesellschaft wäre es dabei im Hinblick auf den Theateralltag, das Landestheater in Innsbruck zu bespielen und mit bestimmten Produktionen auch nach Erl zu übersiedeln. Während der Sommermonate, während der Winter-, Pfingst- und Osterferien sollten dabei für Erl eigene Festspielproduktionen von höchster Qualität entwickelt werden, die bei großer Publikumsnachfrage in den Jahresspielplan übernommen werden könnten. Dies würde allerdings Zusammenarbeit sowohl in Sachen Programmplanung, als auch bei Marketing, Kartenverkauf, Pressebetreuung, Kostüm- und Bühnenwerkstätten voraussetzen.

Es ist nicht einzusehen, dass die Tiroler Festspiele Erl derzeit eine Außenstelle der Frankfurter Oper und nicht, wenn schon, des Tiroler Landestheaters sind.

Es gibt sicherlich 1000 Gründe, diesen Vorschlag als illusorisch und nicht machbar abzulehnen!

Folge 1: https://schoepfblog.at/literarische-korrespondenz-landeshauptmann-von-tirol-anton-mattle-betrifft-ubernahme-der-kulturagenden/
Folge 2: https://schoepfblog.at/alois-schopf-tiroler-regierungsprogramm-2022-folge-2/
Folge 3: https://schoepfblog.at/alois-schopf-wie-gut-ist-etwas-folge-3/
Folge 4: https://schoepfblog.at/alois-schopf-marketinggesteuertes-modegeschwatz/
Folge 5: https://schoepfblog.at/alois-schopf-desaster-als-chance/
Folge 6: https://schoepfblog.at/alois-schopf-die-freunderlwirtschaft-folge-6/


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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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