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Alois Schöpf
Marketinggesteuertes Modegeschwätz
Bemerkungen zum Tiroler Regierungsprogramm 2022
Kunst und Kultur
Folge 4

Wie angekündigt, soll Folge 4 der Analyse des Kulturprogramms der neuen Tiroler Landesregierung sich den höchst peinlichen Anbiederungsversuchen an den aktuellen Zeitgeist widmen.

Präambel:
Als Anhänger der Aufklärung glaube ich an das Gute und die Vernunftfähigkeit des Menschen. Aus beiden Gründen ist es daher denkunmöglich, dass die doch als Bürgermeister politisch nicht ganz unerfahrenen Herren Dornauer und Mattle einen solchen rein dem Zeitgeist und dem Marketing geschuldeten Unsinn, wie er im Folgenden zitiert werden muss, gelesen, geschweige denn selbst verfasst haben. In der Eile der Regierungsverhandlungen und angesichts der unüberbietbaren Bedeutungslosigkeit von Kunst und Kultur im ruralen Kopf eines Tirolers können ihnen die unten stehenden Platitüden nur von einer die Zeichen der Zeit missdeutenden subalternen Beamtin oder gar einem Werbebüroangestellten untergeschoben worden sein. Dennoch müssen sie, da sie nun einmal dastehen, ernst genommen werden.

1. Insbesondere geht es um die weitere Umsetzung des Fair-Pay Prozesses, um gerechte Entlohnung für Kunst- und Kulturschaffende zu erreichen – Mindesthonorare und entsprechende Kalkulationsvorschläge sind zu prüfen.

Das Pharisäerhafte dieser Forderung ergibt sich bereits daraus, dass sämtliche in der Kulturverwaltung tätigen Personen seit Jahrzehnten wissen, dass eine faire Bezahlung für kulturell Tätige innerhalb der hochoffiziellen Kulturdampfer des Landes, vom Tiroler Landestheater über die Museen bis hin zum Musikschulwerk, durchaus gegeben ist.

Ebenso ist ihnen aber auch bekannt, dass die Ermessensausgaben für die sogenannte Freie Szene, aber auch für Förderungen von Künstlern oder Schriftstellern geradezu verfünffacht werden müssten, wenn sie den gesetzlichen und den dem Ausbildungsstand der Betroffenen entsprechenden Rahmenbedingungen inklusive Sozial- und Pensionsversicherungen gerecht werden sollten.

Sogar die Festwochen der Alten Musik, bei denen etwa bei einer Opernaufführung jeder Platz im Theater von der öffentlichen Hand mit 260 € gefördert wird, mussten über 200.000 € an Sozialversicherungsbeiträgen nachzahlen, weil viele ihrer Arbeitnehmer trotz bester budgetärer Ausstattung nicht gesetzeskonform angestellt wurden. Entweder waren die Aufsichtsorgane der Festwochen für Alte Musik derart inkompetent, dass sie solche arbeitsrechtlichen Missstände nicht zu durchschauen in der Lage waren, was die Frage aufwirft, wie sie in Zukunft einen Fair-Pay Prozess durchsetzen wollen. Oder, was eher anzunehmen ist, sie wussten sehr wohl davon, wollten jedoch auch in diesem Fall nicht zur Kenntnis nehmen, dass die gesamte Kulturförderung auf mehr oder weniger ungesetzlichen Zuständen aufbaut.

Endgültig unerträglich wird der Zynismus dann, wenn man bedenkt, dass eine vollmundiges Kulturgeschwätz absondernde Landesrätin pro Monat 17.000 € Gage kassiert, was mit 13. und 14. Gehalt hochgerechnet fast 20.000 € ergibt, und vor diesem Hintergrund, ohne mit der Wimper zu zucken, großzügig Stipendien von maximal auf ein halbes Jahr beschränkten 1000 € pro Monat oder ein großes Kulturstipendium des Landes Tirol von 15.000 € vergibt. Und dies, sofern die Jurys, welche die Vorschläge erarbeitet haben, nicht überdurchschnittlich korrupt sind, an Persönlichkeiten, die in Sachen Ausbildung und intellektueller Kompetenz ihren demokratisch gewählten Herrschern meist haushoch überlegen sind.

2. Eine Vertrauensstelle für Personen schaffen, die im Kunst- und Kulturbereich sexuelle Belästigung und Gewalt erfahren haben.

Es ist nicht zu umgehen, an dieser Stelle erneut an den Fall Gustav Kuhn zu erinnern, eines Künstlers, der zweifelsfrei aufgrund seines die Rolle eines Dirigenten etwas überschätzenden Betragens berechtigte Kritik auf sich zog, zugleich jedoch aufgrund von Vorwürfen, die vor Gericht nicht einmal zu einer Anklageerhebung reichten, zum Rücktritt gezwungen wurde, was zur Folge hatte, dass das wenig durchdachte Projekt zweier Opernhäuser in den Wiesen von Erl inzwischen in die provinzielle Bedeutungslosigkeit abdriftet.

Gerade am Fall Kuhn zeigt sich, wie sehr ein besonders für Frauen, aber auch für junge Männer gemeingefährlicher Opportunismus, der gut gemeinte, am Rechtsstaat vorbei operierende Vertrauensstellen einrichtet, einen Missstand, der behoben werden sollte, gerade dadurch prolongiert.

Eine Bewegung wie MeToo konnte nämlich nur deshalb in dieser plötzlichen Vehemenz weltweit aufbrechen, weil sexuelle Übergriffe viel zu lange, aus mangelnder Zivilcourage oder aus karrieretechnischem Kalkül, vertraulich blieben und nicht umgehend und mutig als das behandelt wurden, was sie sind: strafrechtlich relevante Tatbestände.

Der Vorwurf, der gegenüber Gustav Kuhn, obwohl keine Anklage gegen ihn erhoben wurde, dennoch immer wieder vorgebracht wird, lautet, er sei deshalb nicht mehr belangt worden, weil seine angeblichen Schandtaten verjährt seien.

Dieses Argument missachtet die Absicht des Gesetzgebers, gewissen Vergehen einerseits nicht das Potenzial zuzuerkennen, als ewige Bedrohung über dem Haupt eines möglicherweise zu Unrecht bezichtigten Bürgers zu schweben, andererseits, und dies ist der wichtigere Aspekt, durch eine rasche Anzeige dafür zu sorgen, all jenen, die den Mantel des Vertrauens und die Existenz von Vertrauensstellen benützten und weiterhin benützen, um unbelästigt in ihrem übergriffigen Tun fortzufahren, durch öffentliche Gerichtsverfahren und Verurteilungen im Falle von Schuld ohne Verzug und zum Schutz potentieller zukünftiger Opfer Einhalt zu gebieten.

3. Die Arbeitsstipendien in den Bereichen „Musik“, „bildende Kunst“ sowie „Literatur, darstellende Kunst und Film“ fortführen.

Hier gilt der Verweis auf Punkt 2 der vorliegenden Überlegungen.

Dringend zu überdenken ist jedoch auch die Tauglichkeit von Jurys, die als Folge der sogenannten 68-er-Revolution, die bis heute korrekt marxistisch an das Dogma vom objektiven Verlauf der Geschichte und eine ihn frühzeitig erkennende geistige Elite glaubt, eingerichtet wurden, um die angeblich stets korrupte persönliche Verantwortung hoher Kulturbeamter bzw. von Kulturpolitikern für die Förderung von Künstlern einem Objektivierungsprozess zu unterwerfen.

Inzwischen dürfte jedem und jeder, der oder die ein wenig Einblick in die Kulturszene hat, bekannt sein, dass diese Art einer im Schutz von Anonymität operierenden Kulturmafia zu einem unüberbietbaren Ausmaß an Korruption geführt hat, deren millionenschwere Folgen paradigmatisch an den Zuwendungen an genehme Hofdichter für ihre jeweiligen Vorlässe abzulesen sind.

Eine wirklich innovative Kulturpolitik würde sich bemühen, Unterstützung von Künstlern, Musikern und Schriftstellern anhand tatsächlich erbrachter Werkleistungen zu gewähren. Und sie würde endlich die Tatsache im Auge behalten, dass die bisherige Unterstützung etwa im Bereich der Literatur vor allem den wenig kreativen Buchdruckern und den etwas kreativeren Verlegern, nicht jedoch den Autoren, oder im Bereich der bildenden Kunst jenen zugutekommt, welche Ateliers bauen, und weniger jenen, die sie als Maler oder Bildhauer benützen.

Wenn der Grundsatz tatsächlich ernst genommen würde, öffentliche Gelder nur noch den Kreativen zukommen zu lassen, müsste ein Kulturbudget vollkommen neu umgeschrieben werden, das bisher vor allem die Verteilung des Geldes an Institutionen und Personen festschreibt, die parasitär von der Kreativität anderer leben.

4. Die Arbeit mit zeitgenössischer Kunst und Kultur in den Gemeinden und Regionen stärken.

Wovon träumen eigentlich die beiden ehemaligen Bürgermeister aus Galtür und Sellrain, wenn sie einen solchen Satz hinschreiben lassen? Wollen sie tatsächlich ihren Matadoren im Dorf zu einer Statue am Dorfplatz verhelfen, wie sie schon tausendfach in niederschmetternder Amateurhaftigkeit als Brunnelen und Krippelen überall herumstehen? Oder denken sie gar an das neueste Werk des ortsansässigen Blasmusikkomponisten, das beim Frühjahrskonzert seine Uraufführung erleben soll und für das symphonische Blasorchester vom Dorf eigens geschrieben wurde? Oder denken sie an ihre Büchereien, in denen die Dialektdichterinnen vom Nachbardorf mit Zitherbegleitung vom eigenen Dorf ihre neuesten Lebensweisheiten vortragen?

Seit Jahrzehnten überstimmt ein mit der Welt von Gestern und dem Pfarrer von Heute verwöhntes Landpublikum die urbanen Regionen und verhindert, dass Tirol vom Rest Österreichs als ein modernes Land der Universität, der Wissenschaft und der vorbildlichen städtischen Architektur und Raumplanung wahrgenommen wird. Wo soll da ein Platz sein in den Idyllen eines Franzl Posch, eines Florian Pedarnig und Peter Moser und wie sie sonst noch alle heißen die netten Dreiklang-Päpste? Hinter welchen Horizonten, vor denen Hansi Hinterseer lächelt und Tobias Moretti poltert, hat da zeitgenössische Kunst und Kultur auch nur die geringste Chance?

Wenn man wieder einmal nicht als Gläubiger, sondern als Agnostiker eine katholische Eucharistiefeier besucht und dabei, des religiösen Ohrendurchzugs entwöhnt, genau hinhört und versteht, was da während einer Stunde an Unsinn vorgetragen wird, versteht man plötzlich, welcher frühkindlichen katholischen Sozialisation wir es verdanken, wenn zwei Politiker vom Land das Kunststück schaffen, einen Satz hinschreiben zu lassen und damit wohl oder übel auch gelesen zu haben, der, wörtlich genommen und verstanden, all dem, was sie sonst an Weltläufigkeit darzustellen versuchen, in einer Weise widerspricht, dass nur homerisches Gelächter die einzige Antwort darauf und auf ihre Ambition, Kunst und Kultur in den Gemeinden zu fördern, sein kann.

Folge 1: https://schoepfblog.at/literarische-korrespondenz-landeshauptmann-von-tirol-anton-mattle-betrifft-ubernahme-der-kulturagenden/
Folge 2: https://schoepfblog.at/alois-schopf-tiroler-regierungsprogramm-2022-folge-2/
Folge 3: https://schoepfblog.at/alois-schopf-wie-gut-ist-etwas-folge-3/

Fortsetzung folgt

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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