Alois Schöpf
Leben im Gleichgewicht
Apropos

Es muss schon einen besonderen Grund haben, dass die Bilder vom Rücktritt der Premierministerin von Neuseeland rund um die Welt gingen, obgleich man sonst von diesem Land nur etwas hört, wenn ein Verrückter ein Blutbad angerichtet hat oder die Frage auftaucht, wo die Giganto-Filmserie „Herr der Ringe“ gedreht wurde.

Hat Jacinda Ardern, als sie nicht verheimlichte, sich mehr ihrem Kind widmen zu wollen, endlich ihren Lebensgefährten heiraten zu können und als Politikerin am Ende ihrer Kräfte zu sein, durch ihre Offenheit einen Nerv der Zeit getroffen?

Angehörige der älteren Generationen, die oft dem Beruf, der Karriere, dem Geldverdienen fast alles geopfert haben, pflegen bei der Erwähnung des Begriffs „Work-Life-Balance“ nicht selten über die Faulheit der jüngeren Generationen herzuziehen.

Die Forderung, dass der berufliche Pflichtenkatalog mit einem Leben außerhalb des Berufs vereinbar sein soll, wird als mangelnde Leistungsbereitschaft interpretiert, was zuweilen durchaus zutreffen kann.

Dennoch steht die Skepsis gegenüber Work-Life-Balance – nach einer existenziellen Ganzheitlichkeit also – philosophisch auf schwachen Beinen.

Denn zu oft bleibt nach emotional gescheiterten Beziehungen und immer nur „Härte gegen sich selbst“ nur noch das teure SUV übrig, von dessen Hochsitz herab man auf die Scherben eines Lebensstils schaut, mit dem wir ökologisch gerade an die Wand fahren.

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 28.01.2023

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Rainer Haselberger

    Der Satz
    „Denn zu oft bleibt nach emotional gescheiterten Beziehungen und immer nur „Härte gegen sich selbst“ nur noch das teure SUV übrig, von dessen Hochsitz herab man auf die Scherben eines Lebensstils schaut, mit dem wir ökologisch gerade an die Wand fahren.“ – hat mir besonders gefallen!
    Viele merken erst beim Sterben, dass sie eigentlich hätten gelebt haben sollen.

  2. Walter Plasil

    Sehr einverstanden mit dem Beitrag in der TT vom Samstag

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