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Alois Schöpf
Wie leben wir?
Bemerkungen
zum Tiroler Regierungsprogramm 2022
Kunst und Kultur
Folge 2

Folge 1: https://schoepfblog.at/literarische-korrespondenz-landeshauptmann-von-tirol-anton-mattle-betrifft-ubernahme-der-kulturagenden/

Jürgen Habermas beklagt in seinem jüngsten Essay „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik“ die Tatsache, dass durch das Internet, die neuen sozialen Medien und die Anbiederungsversuche der klassischen Medien an ein schrumpfendes Publikum der öffentliche Diskurs, die öffentliche Beratschlagung, die Deliberation, die zu immer besseren Lösungen der gesellschaftlichen Probleme führen sollte, schwieriger, ja geradezu unmöglich wird, wodurch die Grundlagen der Demokratie gefährdet sind.

Wahrscheinlich war Prof. Habermas nur als Gast auf der Durchreise in Tirol, um gut zu essen. Oder er war in jüngeren Jahren zum Skifahren hier. Wenn er länger geblieben wäre, hätte er mitbekommen, dass es in Sachen Politik hierzulande die von ihm gepriesene Deliberation jahrzehntelang nur bei einem Rötel am ÖVP-Stammtisch gab, zu dem fallweise ein braver roter Zechbruder hinzugezogen wurde, der sich dann als Lohn für sein Wohlverhalten ein Haus im Naturschutz- oder Seenschutzgebiet bauen durfte. In Sachen Kunst und Kultur lagen und liegen die Dinge bis heute noch schlimmer. Hier wurde nicht einmal am ÖVP-Stammtisch deliberiert.

Kunst und Kultur haben in Tirol, wie dereinst schon an den Fürstenhöfen, vor allem die Funktion, die eigene Klientel bei Laune zu halten. So wird bis heute die bäuerlich geprägte Wählerschaft nicht nur mit gestohlenem Gemeindegut aus Wald und Flur verwöhnt, sondern auch durch bestens subventionierte Musikkapellen, Chöre, Laienspielgruppen und Pfarrbüchereien mit ausreichend rückwärtsgewandtem Heimatgefühl beliefert.

Dem städtischen Bürgertum wiederum finanziert die öffentliche Hand das Standardpaket distinktionsgesättigter Hochkultur, bestehend aus Drei-Sparten-Theater, Orchester, ein paar Klein-Festivals und Museen, wobei das von nicht wenigen Kundigen und Kultivierten diagnostizierte oft lähmende Mittelmaß schulterzuckend mit der Feststellung abgetan wird, man sei nun einmal Provinz und wer sich mehr wünsche, möge nach Wien oder München oder im Sommer nach Salzburg fahren.

Erstaunlich ist nur, dass diese Bescheidenheit im Sport niemals gegolten hat. Da wurden gleich zwei Olympische Spiele aus dem Boden gestampft, ein eigenes Skigymnasium zur frühzeitigen Verkrüppelung der Jugend gegründet und für eine Fußballmannschaft, die im eigenen Größenwahn versunken ist, ein riesiges Stadion nach einer vollkommen sinnlosen Fußball-Europameisterschaft stehen gelassen statt den dringend benötigten Grund für den Wohnungsbau zu verwenden.

Wenn hierzulande ein Rodler, Bobfahrer, Skispringer oder Skifahrer bei einem Rennen unter den ersten Drei landet, tritt das ganze Dorf an und feiert ihn als Helden, was sich in der Regierungsvereinbarung 2022 zum brav gegenderten Satz verdichtet:

Erfolgreiche Sportler:innen sind ein Aushängeschild unseres Landes.

Früher bekamen solche Aushängeschilder zu ihrer Medaille sogar noch einen Baugrund geschenkt, heute werden sie unter Beisein der politischen Elite zum Sportler des Jahres gekürt und erreichen damit am Markt der Aufmerksamkeit ihre Viertelstunde Medienprominenz. Damit einem Intellektuellen oder Naturwissenschaftler Ähnliches passiert, müsste Ersterer schon den Friedensnobelpreis für den Dialog der Religionen oder Letzterer als Quantenphysiker dem Landeshauptmann per TV-Interview die Erlaubnis erteilen, weiterhin, da in der Quantenwelt alles möglich sei, katholisch bleiben zu dürfen.

Die Jahrzehnte währende bedingungslose Hingabe an den Sport hat den Tirolern nicht nur unzählige Gipshaxen und Knieoperationen, sondern auch so große touristische Erfolge eingebracht, dass führende Politiker, wie dem Regierungsübereinkommen zu entnehmen ist, nicht davor zurückschrecken, den Sport in einem Atemzug mit Kultur und Kunst zu nennen.

Dass dies in zweifacher Hinsicht ungebildeter Unsinn ist, ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass der aktive Sport als Agenda der Volksgesundheit und Körperkultur lediglich ein kleiner Teil jener besonderen Art ist, wie wir leben, einer Art, die in ihrer Gesamtheit als Kultur, im Englischen als civilisation bezeichnet wird, was allein schon aus dem Titel des Weltbestsellers des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington Kampf der Kulturen oder The Clash of Civilisations hervorgeht. Kultur ist die vom Menschen gemachte Welt, die Gesamtheit seiner Lebenspraxen, zu denen auch sportliche Betätigungen gehören. Kunst ist im Rahmen von Kultur die Bezeichnung der darin möglichen ästhetischen Höchstleistungen.

Wen wundert es allerdings, dass bei einem Kunst- und Kulturverständnis, das der Generalversammlung eines Schützen- oder Fußballvereins entsprungen zu sein scheint, von unsichtbaren Bändern, welche die Gesellschaft zusammen halten, von Auszeit vom Alltag und von psychischer und physischer Gesundheit die Rede ist, nirgends aber von Kulturlandschaft, Esskultur, Gastlichkeitskultur, Baukultur, der Kultur unserer Mobilität oder gar von Hochkultur im Verhältnis zur Breitenkultur. Und schon gar nicht von jenem Bild, das Außenstehende haben müssen, wenn sie in Fernsehsendungen mit unseren begnadeten, kitschige Lieder absondernden Barden oder mit unseren groben, im Nebenberuf gern philosophierenden Schauspielern konfrontiert werden.

Wenn die Überbewertung des Sports in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl für die Bevölkerung wie für den Tourismus ganz dem Zeitgeist des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders entsprach, so stellen inzwischen bereits Persönlichkeiten aus dem System selbst, wie die neue Chefin der Tirol Werbung Karin Sailer, die provozierende Frage, wie sinnvoll es noch ist, mit dem Tirol-Logo auf den Kragenaufschlägen oder den Helmen von Wintersportlern zu werben.

Solche Selbstreflexion hinderte die beiden Wahlverlierer ÖVP und SPÖ und ihre Chefverhandler mitnichten, den Sport auf die gleiche Stufe wie die Kultur zu stellen und sich mit folgendem Einleitungssatz zu ihrem Kulturprogramm zu blamieren:

Kunst und Kultur auf der einen Seite, Sport und Freizeitmöglichkeiten auf der anderen Seite. In unserem Regierungsprogramm gibt (sic!) ganz bewusst ein sowohl als auch. Denn auf ihre Weise erfüllen beide Bereiche ganz ähnliche Funktionen.

An diesem Statement ist so ziemlich alles falsch, was nur falsch sein kann.

1. Wie schon ausgeführt: Kultur und Sport sind nicht vergleichbar. Letzteres ist lediglich eine Unterabteilung des Ersteren.

2. Kunst und Kultur sind nicht Freizeitaktivitäten, sondern Modalitäten, sich mit seinem Leben und dem Leben seiner Nächsten in der Welt zurecht zu finden. Eine Kunst und Kultur, die als Freizeitaktivität abqualifiziert wird, kann nur wiederum auf einer ganz anderen Kultur, einer Kultur der postmodernen Kulturlosigkeit, einer Kultur des popmusikalischen Konsum-Trotteltums aufbauen, womit eine angeblich authentische Tirolerei endgültig der Kasperliade überführt ist.

3. Eine Kunst und Kultur, die sich bei allen Verdiensten um den sozialen Zusammenhalt der Menschen vor allem auf die Pflege desselben bezieht, stellt niemals die Qualitätsfrage, darf sie, um den Frieden in der Gemeinschaft nicht zu gefährden, nicht stellen und blendet somit aus, dass zwischen dem Tun von Amateuren, so edel dies auch sein mag, und dem Tun von professionellen Künstlern, die von ihrer Arbeit leben wollen und nur reüssieren können, wenn sie absolute Höchstleistungen erbringen, diametrale Unterschiede bestehen, deren Nichtbeachtung auf eine völlige Nichtkenntnis der Kulturszene und hier vor allem der Verhältnisse in der Hochkultur schließen lässt.

4. Inwieweit die wirtschaftlich zweifelsfrei einträgliche Anbetung des Skisports und der von der Bevölkerung kaum noch selbst wahrgenommenen Gladiatorenkämpfe von Skispringern, Rodlern oder Bobfahrern tatsächlich die physische und psychische Gesundheit der professionell daran Beteiligten, aber auch der, wie schon gesagt, in eigenen Schulen dazu hin Verführten, als auch der breiten Bevölkerung, etwa im Gegensatz zum viel weniger gesundheitsgefährdenden Bergwandern, tatsächlich fördert, sollte zumindest einmal einer objektiven medizinischen, aber auch volkswirtschaftlichen Evaluierung unterzogen werden.

5. So sehr eine sportliche Betätigung tatsächlich eine Auszeit vom Alltag bieten kann, so wenig gilt dies für unsere Kultur und ihre Kunst, die sich beide gerade aktuell im Hinblick auf die zu erwartende Klimaerwärmung durch Klimaaktivisten grundsätzliche Fragen im Hinblick auf ihre Verträglichkeit für Umwelt und Mensch gefallen lassen müssen.

Regierungsprogramm für Tirol 2022 – 2027: https://www.tirol.gv.at/fileadmin/bilder/navigation/regierung/2022/Regierungsprogramm_2022_Stabilitaet_Erneuerung.pdf


Literatur:


Fabian Burstein:
Eroberung des Elfenbeinturms. Streitschrift für eine bessere Kultur, Edition Atelier Wien 2022
Jürgen Habermas:
Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Suhrkamp 2022.
Samuel P. Huntington:
Kampf der Kulturen, die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Siedler 1996


Fortsetzung folgt!

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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