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Alois Schöpf
Wie gut ist etwas?
Am teuersten sind Beliebigkeit und Mittelmaß.
Bemerkungen zum Tiroler Regierungsprogramm 2022,
Kunst und Kultur
Folge 3

Folge 1: https://schoepfblog.at/literarische-korrespondenz-landeshauptmann-von-tirol-anton-mattle-betrifft-ubernahme-der-kulturagenden/“

Folge 2: https://schoepfblog.at/alois-schopf-tiroler-regierungsprogramm-2022-folge-2/  

Wir treten für ein freies Kulturklima ein und wollen dafür sorgen, dass sich unser kreatives Potenzial bis in den hintersten Winkel Tirols entfalten kann. Aber auch dafür, dass Kulturbegeisterte überall im Land Kultur erleben können. Was uns ganz wichtig ist: sowohl das kulturelle als auch das sportliche Angebot muss für alle Tiroler:innen gleichermaßen zugänglich sein, in allen Landesteilen, für alle Gesellschaftsschichten…
(Tiroler Regierungsprogramm 2022-2027)

Kulturelle Verbände, Initiativen und Vereine als Interessensvertretung und als Servicestellen für die kulturellen Einrichtungen auf regionaler und lokaler Ebene stärken.
(Tiroler Regierungsprogramm 2022-2027)


Wie sind die oben angeführten Zitate zu interpretieren?

Das kreative Potenzial wird hierzulande bis in die hintersten Winkel Tirols ohnehin von ausgezeichneten Kindergärten, Volksschulen, Neuen Mittelschulen, Musikschulen und einer gut ausgebauten Infrastruktur zwecks digitaler Anbindung an die Welt des Geistes und zwecks physischer Anbindung an Gymnasien und Universität gefördert. Wozu braucht es da noch die Kulturabteilung des Landes Tirol?

Es kann damit also nur gemeint sein, dass auch in Zukunft für die Musikkapellen mit Unterstützung des Landes neue Probelokale gebaut werden, die so luxuriös ausgestattet sind, dass jedes osteuropäische Profiorchester vor Neid erblassen würde. Wie auch in der Vergangenheit fast jede Gemeinde mit einem Musikpavillon ausgestattet wurde, der inzwischen in seiner alpinen Geschmacklosigkeit oft unbenutzt vor sich hin verrottet.

Ebenso dürfen die Gemeindesäle unserer Gemeinden nicht unerwähnt bleiben: denn da ist fast jeder für sich in seiner Mischung aus Turnhalle, Konzertsaal, Hofbräuhaus und Wahllokal funktionell so unbrauchbar wie baukünstlerisch missraten. Und natürlich werden auch weiterhin neue Schützenheime gebaut werden, ohne dass je geklärt worden wäre, wozu diese in (von Gertrud Pesendorfer entwickelter oder zumindest genehmigter) Tracht einherschreitenden Mannsbilder, abgesehen von einer offenbar anthropologisch unumgänglichen hormonellen Selbstversicherung, überhaupt gut sein sollen.

Und obgleich das nun mit Kunst und Kultur überhaupt nichts mehr, mit Zivilschutz viel zu tun hat: Die örtliche Feuerwehr muss, wenn es nicht schon geschehen ist, schleunigst mit einem neuen Feuerwehrhaus bedacht werden, das bei einer zukünftigen qua Geburtenrate herbeigeführten Islamisierung unserer Alpenländer problemlos in eine Moschee mit Gebetsturm für den Muezzin umfunktioniert werden kann, was dann mit Kultur sehr wohl wieder etwas zu tun hat.

Nicht zu vergessen, dass jedem Ort in Anlehnung an das Fußballstadion in Innsbruck selbstverständlich ein Fußballplatz zusteht, selbst wenn sich der dörfliche Fußballverein gerade mit der ÖVP-Jungbauernschaft darüber matcht, wer die geilsten Feste organisiert und damit mehr Mitglieder verdient.

All das wird gemäß Regierungsprogramm in Zukunft so geschehen, wie es in der Vergangenheit geschehen ist, wird wiederum sehr viel Geld kosten und als Kitt unsere Gesellschaft befrieden und zusammenhalten. Solches zu verschweigen, wäre in gleicher Weise unfair wie es fahrlässig wäre, nicht klarzustellen, dass derlei mit Kultur sehr wenig und mit Kunst überhaupt nichts zu tun hat, vielmehr in die Agenden eines Soziallandesrates oder einer Soziallandesrätin fällt.

Kunst und Kultur beginnen nämlich erst dort, wo die Frage nach der Qualität gestellt wird. Und die ist gemäß der Forderung nach einem freien Kulturklima, um nur einige Beispiel zu nennen, weder bei den Musikkapellen relevant: ihre Subventionierung erfolgt unabhängig von Wertungsspielen, deren Katalog von Pflichtstücken erst wieder aus einem Sammelsurium anbiedernder und zusammengestohlener Kompositionen besteht.

Noch werden solche Qualitätsfragen je den Dorfbühnen mit ihren Volksstücken à la Alois, wo warst du heute Nacht? gestellt, von den Kitschstücken des Herrn Mitterer ganz abgesehen. Noch den Büchereien, in denen sich die Bürger aus dem Budget der öffentlichen Hand bezahlte Bestseller ausleihen können.

Wobei die diesbezüglichen Beträge geradezu lächerlich sind im Verhältnis zu der alle 25 Jahre aufgrund von Feuchtigkeitsschäden notwendigen Restaurierung von Dorfkirchen und Kapellelen oder zu jener Dorferneuerung, der wir in ganz Tirol abseits von architektonischen Debatten und Wettbewerben die gleichen mit Porphyr gepflasterten Gehsteige verdanken.

So sehr es legitim sein mag, dass die Gemeinden als unterste Verwaltungsebene unter dem fragwürdigen Stichwort Kultur in erster Linie den sozialen Zusammenhalt im Auge haben – und auch dieses Ziel wird längst nicht mehr erreicht, da in vielen Dörfern die Gräben zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen unüberwindlich sind – so präzise müssten die politischen Vertreter des Landes und des Staates die Frage stellen, welche kulturelle oder künstlerische Aktivität es unter dem Blickwinkel von Qualität, sprich Professionalität, überhaupt wert ist, aus dem öffentlichen Budget unterstützt zu werden.

Die Tatsache, dass diese Frage, wie schon gesagt, aus Angst, allfällige Wähler zu verschrecken, aber auch, weil Kenntnisse in Sachen Kulturmanagement fehlen, niemals gestellt wird, führt zum gravierendsten Missverständnis, dem das Tiroler Regierungsprogramm 2022 – 2027 in Sachen Kunst und Kultur unterliegt: Es ist die fehlende Unterscheidung zwischen jenen, die sich als Amateure und in der Freizeit kulturellen Betätigungen hingeben, und jenen, die von ihrer Tätigkeit als Kulturschaffende leben und leben müssen, aber auch jenen, die sich bemühen, vom Stadium des eindeutig Amateurhaften ins Semiprofessionelle und zuletzt Professionelle vorzustoßen.

Ein solch neuer Parameter würde nämlich eine Abkehr vom marketinggesteuerten Gießkannenprinzip bedeuten und die Förderung des sogenannten kreativen Potenzials in gleicher Weise einer leistungsbezogenen Hierarchie unterwerfen, wie es im Sport längst selbstverständlich ist.

Profis in der Kultur sind Menschen, die, wie etwa Musiker, 12.000 Stunden auf ihrem Instrument geübt haben, um es zu allgemein anerkannter und abgeprüfter Meisterschaft zu bringen. Ähnliche 12.000 Stunden verbringen jedoch auch Schriftsteller an ihrem Schreibtisch, Maler an ihrer Staffelei, Filmemacher am Set, Architekten in ihrem Studio, Theaterleute an den Schauspielschulen und im Theater. Der soziale Kitt spielt im professionellen Bereich keine Rolle, hier geht es darum, einen in den letzten Jahrzehnten immer höher geschraubten und einer globalen Konkurrenz ausgesetzten Leistungspegel zu erreichen, auf demselben zu verbleiben und, oft schlecht bezahlt und sogar gedemütigt, zu versuchen, davon zu leben.

Von solchen persönlichen Qualifikationen und Karrierebedingungen ganz abgesehen geht es in der Kunst und im professionellen Kulturbereich letztendlich nur darum, unser aller Existenz intellektuell und emotional immer neu zu durchleuchten, darzustellen, zu begreifen, zu hinterfragen, mit dem Ziel, Zuhörer und Zuschauer zwecks „Rekreation ihres Gemüths“ (J.S. Bach) in erhabener Freude, nachdenklicher Ergriffenheit, Heiterkeit, Erschütterung, aristotelischer Katharsis, auf jeden Fall in welcher Art immer existentiell bewegt in den Alltag zu entlassen.

Im Hinblick auf diese professionellen kulturellen Aktivitäten bleibt das Tiroler Regierungsprogramm 2022-2027 vollkommen rat- und sprachlos.

Dabei ist, unter ökonomischen Gesichtspunkten, die Beliebigkeit und das Bekenntnis zum Amateurhaften und zum Mittelmaß die größte denkbare Geldverschwendung. Mittelmaß bringt nichts und kostet nicht unwesentlich weniger als die internationale Spitze. Es nützt weder den Kulturschaffenden, die versuchen, von Kultur zu leben und dabei immer besser zu werden. Noch nützt es dem Image eines Landes, das von den tausendfach wiederholten Hubschrauberfahrten über Berggipfel über ein aus dem letzten Jahrhundert stammendes Logo bis hin zu ruralen Medienstars, die in penetranter Weise ein fiktives bodenständiges und wahrhaft gestriges Weltbild repräsentieren, ranzig geworden ist.

Welche Freude war es da, als anlässlich der Nobelpreisverleihung an Anton Zeilinger Innsbruck und Tirol endlich einmal in Zusammenhang mit Quantenphysik, also mit international bedeutsamen intellektuellen Leistungen genannt wurden.

Aber auch ein weiterer ökonomischer Aspekt darf nicht vergessen werden. Neben der Landwirtschaft, die in Tirol wie in anderen hochentwickelten Ländern einen fast vernachlässigbaren Teil der Wirtschaftsleistung erbringt, aber auch neben der Industrie und dem Dienstleistungssektor ist die Kreativwirtschaft als Teil der letzteren längst zu einem immer wichtigeren Wertschöpfungsfaktor aufgestiegen. Im Jahr 2021 trug etwa die Agrarwirtschaft 1,2 Prozent zur Bruttowertschöpfung in Österreich bei. Demgegenüber beträgt der Anteil der Kreativwirtschaft am Wirtschaftsaufkommen in Österreich insgesamt bereits 3,5 %, in den USA allgemein 6,5 % und in Kalifornien mit seinen Filmstudios 20 %.

Diese zunehmende Bedeutung der Kreativwirtschaft ist und war in Tirol noch nie ein Thema, entsprechende Hinweise fehlen denn auch, abgesehen von der Anregung, Kultur und Tourismus sollten besser zusammenarbeiten, weil das beiden nützt, im Regierungsprogramm.

Das einzige, was den Verhandlern dafür im kurzen allgemeinen Teil ihrer Überlegungen einfiel, ist dem Zeitgeist abgelauschtes Geschwätz, dem als satirischer Einstieg ins neue Jahr die nächste Folge der vorliegenden kulturpolitischen Überlegungen gewidmet werden soll.

Tiroler Regierungsprogramm 2022-2027:
1. Insbesondere geht es um die weitere Umsetzung des Fair-Pay Prozesses, um gerechte Entlohnung für Kunst- und Kulturschaffende zu erreichen – Mindesthonorare und entsprechende Kalkulationsvorschläge sind zu prüfen.
2. Eine Vertrauensstelle für Personen schaffen, die im Kunst- und Kulturbereich sexuelle Belästigung und Gewalt erfahren haben.
3. Die Arbeitsstipendien in den Bereichen „Musik“, „bildende Kunst“ sowie „Literatur, darstellende Kunst und Film“ fortführen.
4. Die Arbeit mit zeitgenössischer Kunst und Kultur in den Gemeinden und Regionen stärken.

Literatur:
Alois Schöpf:
Vom Sinn des Mittelmaßes, Essay, Limbus Verlag 2007
Gertrud Pesendorfer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gertrud_Pese
ndorfer

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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