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Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an den neuen Landeshauptmann von Tirol
Anton Mattle
Betrifft:
Übernahme der Kulturagenden

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann!

Durch Ihre Entscheidung, die Kulturagenden im Lande selbst zu übernehmen, haben Sie mir ein Wechselbad der Gefühle beschert.

Zuerst freute ich mich, weil ich dachte: Endlich einer, der begreift, wie viel Tirol seiner Kultur zu verdanken hat: seinen schönen Bauernhöfen, seinen farbenprächtigen Trachten, den Musikkapellen, den barocken Kirchelen, den Chören, den Prozessionen bis hin zu seinen großen Kunstdenkmälern, der Hofkirche, der Hofburg, seinen Malern, vor allem jenen der frühen Moderne, seinen Musikern von den Zillertaler Nationalsängern bis herauf in die Gegenwart mit renommierten Komponisten und Jazzern, seinem Orchester, seinem Theater, seinen Festivals, seinen Architekten, insgesamt einer Welt also, die in einer touristisch seit Jahrzehnten erfolgreich vermarkteten Spannung zwischen Natur, Breitenkultur und hochwertigem künstlerischen Schaffen uns in Abgrenzung zu allen anderen Völkern Europas einen zwar oft gescholtenen, aber eben doch unverwechselbaren Tirolerhut aufgesetzt hat.

Endlich, hab ich mir gedacht, macht einer nicht nur das Schifahren und die Oberkellner, sondern auch unsere Köpfe zur Chefsache!

Als ich dann aber mitbekam, dass Sie sich, geschätzter Herr Mattle, neben den Kulturagenden und ihrem Job als Landeshauptmann auch noch als politisch Verantwortlicher die Belange der Finanzen, der Gemeinden, des Personals, der Europa- und Außenbeziehungen und des Ehrenamts einverleibt haben, schwankte ich zwischen der Begeisterung, unserem Land sei endlich ein napoleonisches Genie erstanden, und dem Entsetzen, in Zukunft von einem Größenwahnsinnigen aus einem entlegenen Tiroler Hochtal regiert zu werden.

Hat eigentlich irgendjemand in dieser neuen Landesregierung eine Ahnung davon, wie man einen großen Betrieb leitet? Wie man ein Land führt? Wie können Sie nur, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, die Gemeinde-Agenden übernehmen, wenn Sie doch genau wissen müssen, dass dann 279 Bürgermeister bei Ihnen auf der Matte stehen, um irgendetwas zu wollen, und beleidigt sind, wenn sie es nicht von Ihnen persönlich bekommen? Und woher nehmen Sie sich die Zeit – ich weiß schon, aus wahltaktischen Gründen ist das offenbar notwendig – in Sachen Ehrenamt jedem einzelnen Vereinsfunktionär das silberne, goldene oder göttliche Keks für 20-, 40- oder 100-jährige Mitgliedschaft an die Brust zu heften?

Haben Sie nicht begriffen, dass Sie der Chef von allem und allen sind und lediglich die Aufgabe hätten, von Ihren hoffentlich kompetenten Landesräten und Hofräten Berichte entgegenzunehmen, aus denen sie dann herausfiltern können, ob die Dinge so laufen, wie Sie sie geplant haben? Und dass es eine schwere Beleidigung aller in Kunst, Kultur und Wissenschaft Tätigen ist, wenn sie sich von vornherein ausrechnen können, dass sie mit einem Landeshauptmann leben müssen, der zwar sicherlich Zeit hat, bei dumben landesüblichen Empfängen ein erhabenes Gesicht zu machen, aber ganz bestimmt keine Zeit hat, mit den hellsten Köpfen des Landes persönlich zu kommunizieren.

Leider wurde die Enttäuschung über die neue Regierung nicht geringer, als ich das Regierungsübereinkommen zu lesen bekam, das Sie mit den Sozialdemokraten ausverhandelt haben. Was darin nämlich über die Zukunft von Kunst und Kultur in unserem Land geschrieben steht, ist derart nichtssagend, einfallslos und banal, im weitesten Sinne also kulturlos, dass die daraus abzuleitende Arbeitsbelastung es tatsächlich möglich macht, die Agenden zwischen halbsieben und acht am Abend vor dem Abendessen zu erledigen. Wo nämlich nichts ist, kann auch nichts zum Problem werden.

Vor dem Hintergrund der Enttäuschung also, dass das agrarfeministische Desaster der Ära Palfrader somit nicht beendet ist, sondern  möglicherweise auf Basis einer vollkommenen Gleichgültigkeit der Kultur gegenüber sogar noch übertroffen wird, war die Frage unabweisbar, ob nach so vielen Fehlbesetzungen in der Tiroler Kulturpolitik diese jüngste, in diesem Fall zu befürchtende Selbstfehlbesetzung überhaupt noch einer Aufregung wert sei? Ob nicht ohnehin alles zu spät ist, weil während des ganzen Wahlkampfs und während der Koalitionsverhandlungen Kunst und Kultur nie ein Thema waren. Weil sich bisher nichts geändert hat und daher auch in Zukunft nichts ändern wird. Bis zur endgültigen Abwahl der ÖVP jedenfalls! Und ob es danach besser wird, darf ernsthaft bezweifelt werden.

Weshalb also darauf noch Gedanken verschwenden? Und das vielleicht im Dienste von Kolleginnen und Kollegen, die zwar die Dinge ganz ähnlich sehen wie ich, jedoch zu feig, zu verschlagen oder schlicht und einfach zu zynisch sind, um sich durch eine unbotmäßige Meinungsäußerung am kleinen Fürstenhof zu Innsbruck unbeliebt zu machen und dadurch vielleicht ein paar Tausender in Form von Subventionen oder das eine oder andere kleine Pöstchen in einer Jury oder in einem Expertengremium in Gefahr zu bringen.

Da ich jedoch als Anhänger der Europäischen Aufklärung nicht nur an das Gute im Menschen, sondern auch an seine Lernfähigkeit glaube, erlaube ich mir aus dieser Weltsicht heraus die bescheidene Hoffnung, dass Sie, Herr Landeshauptmann, in der Schnelligkeit, mit der Sie in der Landespolitik Karriere machten, nicht ausreichend zur Kenntnis nehmen konnten, wie sehr man in der Kultur, gerade weil sie der Tagespolitik enthoben und damit im unmittelbaren Sinne nicht wichtig ist, frei gestalten kann. Ganz im Gegensatz etwa zur Verkehrs- oder Gesundheitspolitik, wo die Wirtschaft und der wissenschaftliche und technische Fortschritt und die daraus abgeleiteten Sachzwänge für Politik im Sinne von Gestaltung wenig Platz lassen.

Als Arbeitshypothese führe ich also die peinliche Absenz von Gestaltungswillen im Regierungsabkommen im Hinblick auf Kunst und Kultur auf einen Informationsmangel zurück, der Sie, sofern er behoben werden kann, was ich in den nächsten Wochen durch einige Vorschläge und Gedankenanregungen versuchen werde, doch rasch dazu veranlassen müsste, die Kultur-Agenden nach Jahren des kulturpolitischen Dilettantismus jemandem zu übertragen, der von Kulturpolitik etwas versteht und in der Lage ist, die gerade nach Corona überall sichtbar gewordenen Krisensymptome richtig zu deuten und in eine innovative, zukunftsorientierte Politik umzusetzen.

Ich habe gerade das soeben erschienene und hochinteressante Buch des Kulturmanagers Fabian Burstein Eroberung des Elfenbeinturms. Streitschrift für eine bessere Kultur (Edition Atelier, Wien 2022) gelesen und kann mit der teilweise scharfen Kritik des Autors im Hinblick auf die österreichische Kulturpolitik vollkommen übereinstimmen. Leider wird das Buch sehr theoretisch und die Vorschläge sehr allgemein, wenn es darum geht, im Detail Auskunft darüber zu geben, was genau mit den jeweiligen kulturellen Institutionen, der Staatsoper, dem Burgtheater, dem kunsthistorischen Museum oder den Wiener Festwochen zu geschehen hätte, wenn man sie in eine gedeihliche Zukunft führen wollte.

Dieses Auseinanderklaffen von auf der Hand liegender und daher doch leicht zu formulierender Kritik und den Schwierigkeiten, im Detail zu sagen, was getan werden sollte, soll mir ein warnendes Beispiel sein. Auf das Risiko hin, in manchen Punkten allzusehr zu träumen, werde ich daher versuchen, als Basis für eine Diskussion konkrete Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und somit ungefragt das blamable Regierungsübereinkommen in Sachen Kunst und Kultur vollkommen neu zu schreiben.

Vorerst mit besten Grüßen
Alois Schöpf

Regierungsprogramm für Tirol 2022 – 2027:  https://www.tirol.gv.at/fileadmin/bilder/navigation/regierung/2022/Regierungsprogramm_2022_Stabilitaet_Erneuerung.pdf

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. HELMUT LEISZ

    LIEBER HERR SCHÖPF –
    herzlichen Dank für Ihren Artikel zum NEUEN LANDESHAUPTMANN MATTLE und seiner ÜBERNAHME DER KULTURAGENDEN!
    Leider ist und war die Kultur in Tirol schon immer ein Stiefkind der Politik – da kann man sich als Politiker* selten im Glanz der Scheinwerfer vor TV-Kameras präsentieren!
    Offensichtlich wird das ALLES noch viel schlimmer – wie Sie schreiben!
    Gut – dass ich schon zu alt bin – um mich darüber zu ärgern!
    Wenn man so alt ist wie ich – ist man sowieso für fast alle – besonders für „DIE DA OBEN“ – UNSICHTBAR!
    Die Alten haben ja auch keine Lobby – die sich lautstark Gehör verschafft!
    Schade ist nur – dass Ihr umfassender Einsatz sowenig Gehör findet!
    Mit freundlichen Grüßen – Ihr dankbarer Helmut Leisz

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