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Alois Schöpf
Die Freunderlwirtschaft am
Kultur-Erbhof
Tiroler Volksschauspiele
Bemerkungen zum Tiroler Regierungsprogramm 2022
Kunst und Kultur
Folge 6

„Das Engagement des Landes bei wichtigen Tiroler Kulturinstitutionen (Tiroler Volksschauspiele, Steudltenn, Festspiele Erl, Festwochen der Alten Musik etc.) wird fortgeführt.“
Tiroler Regierungsprogramm 2022

Neben mehreren Punkten, die sich der Museumslandschaft widmen, bezieht sich das Tiroler Regierungsprogramm 2022 nur in einem einzigen Absatz auf konkrete Projekte, wobei die diesbezügliche politische Botschaft auf drei Worte reduziert werden kann: auf den Begriff „Kulturinstitutionen“, das Verb „fortgeführt“ und die Abkürzung „etc.“.

Alle drei signalisieren in ihrer Gesamtheit ein Bekenntnis zur Stagnation, ein nicht zur Kenntnis nehmen von Krisen und die aus Unwissen resultierende Missachtung von kulturellen Leistungen der Nichtgenannten.


Kulturinstitutionen

Weder bei den Tiroler Volksschauspielen, noch beim Zillertaler Kleintheater Steudltenn, noch bei den Tiroler Festspielen Erl, noch bei den Festwochen der Alten Musik handelt es sich um Institutionen, sofern darunter, wie Wikipedia den Begriff definiert, Behörden, Gerichte, Universitäten und Schulen zu verstehen sind.

Wahrscheinlich wollten die Autoren des Regierungsprogramms mit dem Begriff zum Ausdruck bringen, dass sie die von ihnen genannten kulturellen Einrichtungen als unverrückbar und somit zum unverzichtbaren Bestand der kulturellen Identität Tirols gehörig einstufen.

Einrichtungen hingegen, die in diesem Sinn mit einem viel größeren Recht tatsächlich als Institutionen bezeichnet werden könnten, wie etwa das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck, das Tiroler Landestheater, aber auch das seit Jahrzehnten bestehende und für die sogenannte Alternativkultur unverzichtbare Treibhaus werden in diesem Zusammenhang nicht einmal erwähnt. Was müssen sich allein die 400 Angestellten des Tiroler Landestheaters denken, wenn sie im Programm einer neuen Regierung derart missachtet werden, obgleich sie während des ganzen Jahres auf professioneller Ebene für die hochkulturelle Grundversorgung der Bevölkerung zuständig sind?


wird fortgeführt: Tiroler Volksschauspiele Telfs

Die erste im Regierungsprogramm angeführte Kulturinstitution, bei der das Land beabsichtigt, sein Engagement fortzuführen, was bedeutet, dass etwas Bestehendes, da bewährt, offenbar in gleicher Weise weiterbestehen soll, sind die Tiroler Volksschauspiele in Telfs.

Dabei ergibt sich das seit Jahrzehnten schwelende und niemals reparierte Desaster dortselbst schon allein aus der Tatsache, dass es kaum ein bedeutendes Festival auf der Welt gibt, das sich nicht um einen kulturellen, meist säkularen Sakralbau herum gruppiert. Bregenz hat ein Festspielhaus und eine Seebühne, Salzburg hat ein Festspielhaus, ein Haus für Mozart und die Felsenreitschule, Wien hat seine Staatsoper, das Burgtheater und den Musikvereinssaal, Burgenland die Seebühne Mörbisch und den Steinbruch St. Margarethen, Graz das Forum Stadtpark und Innsbruck den Innenhof der Kaiserlichen Hofburg.

Telfs verfügt bis heute nicht über eine mit der absolut notwendigen architektonischen Magie ausgestattete Location, nicht über eine adäquate Bühne, ein adäquates Theaterhaus und somit auch nicht über ein gebautes Zentrum seines kulturellen Anspruchs und Auftrags. Und es wird auch keiner noch so tüchtigen Intendanz und Geschäftsführung gelingen, diese elementare Fehlkonstruktion durch einen intelligenten Spielplan zu beheben.

Was tüchtige Intendanten betrifft, so wurden die Tiroler Volksschauspiele zu Beginn mit einigermaßen noch als prominent zu bezeichnenden Publikumslieblingen, die mit Ausnahme von Ruth Drexel über keinerlei Erfahrung in der Theaterleitung verfügten, in den Folgejahren zu einem künstlerischen und finanziellen Selbstbedienungsladen, bei dem es nur noch darum ging, sich unter dem Motto Volkstheater rücksichtlos selbst zu verwirklichen und die eigenen Taschen zu füllen.

So kassierte etwa Tirols Lieblingsdichter Felix Mitterer dafür, dass eines seiner Stücke nicht aufgeführt wurde, das Jahresgehalt einer Supermarktkassiererin, ein Vergleich, der bei jemandem, der sich als Vertreter der Erniedrigten und Beleidigten ausgibt, durchaus berechtigt ist. Aber auch Kleindarsteller bekamen fallweise, sofern sie zur Clique gehörten, Honorare, die höher ausfielen als die Honorare von Hauptdarstellern am Tiroler Landestheater.

Dass dieser skandalösen Gemengelage viel zu spät ein Ende bereitet wurde, ist ebenso gewiss wie die Tatsache, dass mit dem neuen Intendanten Christoph Nix, als dessen Hauptqualifikation kolportiert wurde, dass er mit dem Deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier befreundet sei, jemand engagiert wurde, der weder der Themenstellung Volkstheater gerecht wurde, noch von seiner sozialen Kompetenz her die Fähigkeit besaß, mit einem äußerst schwierigen, von Krisen gebeutelten Intrigantenstadl umzugehen.


Die neue Intendanz

Schon bei seiner Bestellung hätte man von Seiten des Landes, wenn die Jury nur etwas botmäßiger den Gewünschten empfohlen und die Gemeinde Telfs sich nicht vehement dagegen gestemmt hätte, auf die Bestellung des Schauspielers Gregor Bloéb gehofft, den krachledernen Bruder des nicht minder krachledernen Starschauspielers, Landeshauptmannfreundes und in der Zeit der Denknot als Hofphilosophen abrufbaren Tobias Moretti.

Jetzt, nach erstaunlich situationselastischem Umdenken des Telfer Bürgermeisters, war es endlich soweit: Gregor Bloéb trat sein Amt mit einer spektakulären Pressekonferenz an und verkündete ein Programm, das unter dem Motto, an die Anfänge der Volksschauspiele zurückkehren zu wollen, nicht nur wieder Frieden mit dem geschäftstüchtigen Felix Mitterer und seinem geschäftstüchtigen Umfeld herzustellen verspricht, sondern auch vorhat, genau jene provinzielle, von Kitsch geprägte, gutmenschliche Konservativität fortzusetzen, die kompatibel mit dem intellektuellen Niveau eines seit Jahrzehnten ÖVP-formatierten Publikums ist.

Beweis dafür ist die neuerliche Aufführung des unsäglich einschichtigen, primitiven, die Schauspieler geradezu zum Outrieren zwingenden Stücks „Die sieben Todsünden“ von Franz Kranewitter, der 1860 in Nassereith geboren wurde und ein Zeitgenosse Anton Tschechows ist, der im selben Jahr 1860 ebenfalls in der tiefsten Provinz Russlands das Licht der Welt erblickte. Allein ein Vergleich zwischen diesen beiden Autoren und ihren Stücken zeigt Qualitätsunterschiede auf, die durch noch so große regionale Selbstverliebtheit nicht zu rechtfertigen sind.


Katholischer Beichtspiegel als Programm

Das ist aber längst noch nicht alles: Neointendant Bloéb verdoppelt Kranewitters katholischen Beichtspiegel dadurch, dass marketinggerecht und zugleich mit der heute am Theater üblichen Verachtung gegenüber den Leistungen lebender Autoren gleich mehrere dazu eingeladen wurden, die heilige Bußfeier von gestern durch eine neue  Auslegung der Todsünden als noch immer relevant für heute abzusegnen. Da nach aktuellen Theatersitten bekanntlich Intendanten, Regisseure und Schauspieler im Vordergrund stehen sollten, mitnichten jedoch Autoren mit Platzansprüchen am Markt der Aufmerksamkeit, werden diese nicht einzeln, sondern gleich palettenweise engagiert, um Stückhäppchen abzuzuliefern. Diese kollektive Textmontage einer auf Namedropping versessenen Spielplangestaltung wird zuletzt dadurch ergänzt, dass sich Laientheater als weitere Programmschiene mit den zu den Todsünden gleichsam komplementären christlichen Tugenden wie Glaube, Liebe, Hoffnung mit eigenen, kleinen Werkleins präsentieren dürfen. Gelobt sei Jesus Christus!

Keine Frage: Dieses Engagement des Landes muss fortgesetzt werden!

Fortsetzung folgt

Folge 1: https://schoepfblog.at/literarische-korrespondenz-landeshauptmann-von-tirol-anton-mattle-betrifft-ubernahme-der-kulturagenden/
Folge 2: https://schoepfblog.at/alois-schopf-tiroler-regierungsprogramm-2022-folge-2/
Folge 3: https://schoepfblog.at/alois-schopf-wie-gut-ist-etwas-folge-3/
Folge 4: https://schoepfblog.at/alois-schopf-marketinggesteuertes-modegeschwatz/
Folge 5: https://schoepfblog.at/alois-schopf-desaster-als-chance/

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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