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Alois Schöpf
Nestroy als Textfläche
Zur Premiere von
"Freiheit in Krähwinkel"
in den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters
am 20.01.2024

Johann Nestroy (1801 – 1862), vorbestraft wegen unerlaubten Extemporierens, Opernsänger, Autor, Satiriker und Theaterdirektor ist zweifelsfrei eine Herausforderung. 

Mit ihm erreichte nicht nur das Altwiener Volkstheater seinen Höhepunkt, wodurch er zu einem der wenigen Österreichischen Klassiker avancierte. Er bot auch noch bis vor kurzem die Bühne für Publikumslieblinge, die wie Otto Schenk oder Karl Merkatz bei den Salzburger Festspielen das Publikum im Saal, aber auch zuhause an den Fernsehapparaten zu Lachstürmen hinrissen.

Nestroy wirft einen schonungslosen Blick auf die Lächerlichkeit des menschlichen Daseins, er übt scharfe Kritik an der bürokratischen Tyrannei des Habsburgerreichs. Und er kämpfte immer wieder – mit Ausnahme einer kurzen Zeitspanne während der missglückten bürgerlichen Revolution um 1848/1849 – mit der Zensur, um einem Verbot seiner Stücke, der Schließung des Theaters oder gar der Gefahr eines neuerlichen Gefängnisaufenthalts zu entgehen.

Die Waffen, derer er sich künstlerisch bedient, sind ein tief im ostösterreichischen Jargon verwurzelter, stets ironischer und vertrackter Wortwitz. Dabei befleißigt er sich, ähnlich seinem etwas jüngeren musikalischen Zwillingsbruder in Paris, Jacques Offenbach, der Methode, die fast schon kabarettistischen Suaden seiner Protagonisten in eine möglichst aberwitzige, sich selbst ironisierende Bühnenhandlung zu verpacken: Sprache und Dramaturgie sind angesiedelt in der abgründigen, auf den ersten Blick harmlosen, weil erzwungenen Idylle des Vormärz.

Wie ist nun ein solcher von seiner Entstehungsgeschichte her vertrackter Plot einem Publikum des 21. Jahrhunderts zu vermitteln? Durch eine bewusste, gleichsam von der Musik her entlehnte historische Aufführungspraxis? Oder durch den Versuch einer Aktualisierung und einer damit einhergehenden Ent-Wienerung?

Für das Einbekenntnis, dass zu all diesen Fragen dem Regisseur der Innsbrucker Aufführung von „Freiheit in Krähwinkel, Posse mit Gesang von Johannes Nestroy“ nichts eingefallen ist, benötigt der für die Inszenierung zuständige Moritz Franz Beichl, an sich selbst Wiener, Autor und Song-Texter, geschlagene 20 Minuten, in denen die Schauspieler (Achtung: Generisches Maskulinum!) in einem kahlen Wartezimmer sitzen, bis endlich einer von ihnen ein gelbes Reclam-Heftchen mit Nestroys „Krähwinkel“ findet, worauf die Sache, wie dereinst in der Schule, als Stücke noch beliebig auf Schüler verteilt gelesen wurden, langsam ihren Anfang nimmt.

Somit kann die Innsbrucker Aufführung mit Recht als eine von angeblich professionell ausgebildeten Schauspielern exekutierte klassische Schüleraufführung eingestuft werden, bei der, gemäß der feministischen Doktrin der derzeitigen Intendantin, die Rollen abwechselnd von irgendwem gespielt werden, bevorzugt allerdings die Männer von den Frauen und die Frauen von den Männern.

In diesem Chaos der Beliebigkeit geht nicht nur jegliche Charakterdarstellung unter, auch die von Nestroy zu einer Groteske geschnürte Handlung ist nicht mehr nachzuvollziehen, was jedoch insofern gleichgültig sein dürfte, als bestimmt nur eine Minderheit des Publikums den Originaltext des Werkes je zu Gesicht bekommen hat. Dadurch fällt auch nicht weiter auf, dass die vom Herrn Regisseur beigesteuerten Songs und die zum Stück in keinerlei Beziehung stehenden Dialoge – zuweilen wird sogar Englisch und Italienisch gesprochen – das Zusammenstreichen des Originals und damit vieler witziger Passagen notwendig machten.

Dass darunter auch Textstellen fallen, die bei der Lektüre jedem, der über ein wenig Humor verfügt, zum Lachen nötigen, ist nur ein weiterer Beweis dafür, wie hier die Grundtonart eines Werkes nicht verstanden wurde bzw. nicht verstanden werden wollte, da sonst den auf der Bühne und hinter der Bühne agierenden kleinen Ich-AGs die Aufgabe zugefallen wäre, statt Selbstverwirklichung professionell ihren Job zu machen.

Aus feinem Witz wird ein grober, aus Ironie Pathos, aus Pathos Geschrei und aus der Freiheit, von der Nestroy spricht, die Pathologie der zeitgeistigen Wokeness.

Kurz und gut: Das Regietheater ist auch in der Provinz angekommen. Ein Autor, der sich juristisch nicht mehr wehren kann, weil er schon längst tot ist, wurde wieder einmal zum Lieferanten einer Jelinek´schen Textfläche herabgewürdigt. Ein Regisseur, der offenbar seine eigenen Stücke nicht unterbringt, missbrauchte das Stück und den Namen eines Klassikers, um endlich von sich selbst etwas aufgeführt zu sehen. Und die Schauspieler (Achtung generisches Maskulinum!), die bekanntlich zu allem aus innerster Überzeugung ja sagen, wenn sie nur auftreten dürfen, spielen in dieser Schüleraufführung brav die Schüler, die wie bei übelstem Laientheater gern die Sau rauslassen.

Ich bin in der Pause gegangen, es hat mir gereicht. Leider habe ich das Pech, und das sage ich hiermit im vollen Bewusstsein, arrogant zu wirken, dass ich gebildet bin, den Originaltext vor der Premiere gelesen habe und mein Nervenkostüm dünn ist, weshalb ich mich den Blödheiten des 2. Teils nicht aussetzen wollte.

Fotos: (c) Birgit Gufler

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Paul Windischer

    Ich mag unter der neuen Intendanz nicht mehr Aufführungen im TLT besuchen. Diese Dame war eine totale Fehlbesetzung.
    Danke, lieber, geschätzter Alois!

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