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Friedrich Hahn
Literatur und Mainstream
Die Zeitgenössische „Literatur“ aus der Sicht
eines in die Jahre gekommenen Lesers
Essay

Ich gebe es zu. Als einer, der mit seinen 70 Lenzen schon so manches gelesen, rezensiert und auch selbst geschrieben und veröffentlicht hat, geht mit den Jahren mehr und mehr das Verständnis für die zeitgenössische Literatur verloren. Nun kann man das hinnehmen. Oder sich umschauen, woran das liegt.

Die alte Leier: Die Qualität eines Textes ist das eine, der Verkaufserfolg ein Zweites.

Dazu kann man zwei Grundmuster feststellen.
Variante 1: Der Text ist hervorragend, der Autor/die Autorin noch wenig bekannt, der Text erscheint in einem Kleinverlag, der Verkaufserfolg äußerst mäßig.
Variante 2: Der Text ist mittelmäßig, der Autor/die Autorin eine prominente Person, das Manus erscheint in einem renommierten Verlag, das Buch wird rauf- und runterbesprochen und zum Verkaufshit.

Natürlich gibt es dazwischen noch etliche Spielarten. Newcomer*innen, die auch in kleineren Verlagen reüssieren. Etablierte Autor*innen, deren Neuerscheinungen sich – zumindest literarisch – als Flopp herausstellen. Selten aber doch gibt es dann auch noch Supertexte, die sich super verkaufen.

Die Erfahrung zeigt, Literatur und Mainstream lassen sich selten vereinbaren. Oder um es mit Handke zu sagen: „Der Nachteil bei großer Literatur ist, dass jedes Arschloch sie versteht.“

Groß? Hier, wie ich es versteh, wahrscheinlich im Sinn von Bestseller. Oder vielleicht viel mehr von seichter, populärer Literatur?

Mit eigenen Worten: Das Außerliterarische bestimmt mehr und mehr, was in Buchhandlungen als „Literatur“ über das Verkaufspult geht.

Beispiele gefällig? Auffallend sind in letzter Zeit die Schreibversuche von sogenannten Comedians. Bedingt durch die Lockdowns und die ausbleibenden Einnahmen von Bühnenauftritten, entdeckten etliche Kabarettist*innen ihr literarisches Talent. Ich denke da an Thomas Stipsits, Lisa Eckart, Josy Prokopetz, oder auch Dirk Stermann. Die Medien und Feuilletons überschlagen sich mit Berichten, Personality-Stories und Besprechungen. Darin geht es primär um Fragen wie was war der Auslöser, einmal selbst zur Feder zu greifen oder wie lange haben Sie an dem Roman geschrieben und hatten Sie Vorbilder. Und natürlich ganz wichtig: Worum geht’s in Ihrem Buch?

Ja, auch die Kritiken schummeln sich so über die Runden. Man hält sich an Inhalte. Kein Wort über die Anmut von Sätzen (Klaus Nüchtern), die Ästhetik der Sprache, über raffinierte Konstruktionen oder gewagte Perspektivwechsel. Also das, was Promischreibe von Literatur unterscheidet. Klingt ziemlich puristisch. Ist es auch. Doch ich stehe dazu.

Anlass für meinen Frust und diesen Artikel war die Preisverleihung zum deutschen Buchpreis an Kim de l’Horizon. Worüber wurde gesprochen? Über die Inszenierung, über die nonbinäre Geschlechterrolle des Autors, über seine Rasierperformance.

Wieviel Geschlechter gibt es denn nun? Egal. Die Frage ist doch: wo bleibt die Literatur? Zwar wurde dem Autor zugestanden, eine adäquate Sprache für seine Geschlechterrolle zu finden. Gut und schön. Bei jedem anderen Autor, jeder anderen Autorin hätte man das als Unausgerichtetheit ausgelegt. Hätte man Blutbuch als arbiträres, wirres Geschwurbel abgetan.

Also wieder bestimmte das Außerliterarische, was Literatur -und noch dazu ausgezeichnete Literatur – ist.

Natürlich blieben die Proteste nicht aus. Aber die bezogen sich allein auf die Geschlechterrolle des jungen Schweizers. Wieder begehrte eine Minderheit auf, appellierte an die Toleranz der Allgemeinheit. Besteht unsere Gesellschaft – das nur nebenbei – bald nur noch aus Minderheiten?

Einwände, die literarische Qualität betreffend, verhallten als störendes Echo in den strengen Kammern der vierten Gewalt, den Medien. Die Medien – und damit das Geld – geben die Themen vor. Literatur verkommt dabei zum bloßen Vorwand.

Sonntag vor einer Woche schlage ich ÖSTERREICH auf, die Gratiszeitung. Und staune. Eine ganze Seite mit Buchtipps. Es sind zwei. Zwei Erstlinge. Die von Katja Gasser und von Patrick Budgen. Zwei vom ORF! Eh klar. (Es gilt natürlich die Unschuldsvermutung.) Nichts gegen Friedhofsgeschichten, oder bemüht witzige Lockdowndialoge zwischen Mutter und Tochter. Aber wollten wir nicht über Literatur reden?

Vielleicht liegt‘s ja auch an der Literaturkritik, den Literaturkritiker*innen. Ist es ein Zufall, dass es ausgerechnet zwei Buchhändlerinnen sind, welche sich im Fernsehen, in Podcasts und in einer Wochenzeitschrift mit ihren Buchtipps breitmachen? Ein Schelm, der denkt, dass da nur empfohlen wird, was sich am kommerziellen Erfolg orientiert.

Andererseits sollen – wie man im Blätterwald raunen hört, streitbare Kritiker, wie zum Beispiel der langjährige fixe Haus- und Hofrezensent einer größeren Tageszeitung, die auch mal weniger bekannte Autor*innen besprechen, abgebaut werden.

So ist das Feld bestellt für all die Stermanns, Eckhardts und Kim de l’Horizons. Aber zum Glück gibt es da ja noch Idealisten wie man sie hier auf diesem Blog lesen kann…

Meine Großmutter, die für alles einen Spruch hatte, hätte wohl gesagt: Man kann auch im Seichten ersaufen. Also auf! Auf in tiefere Gewässer, auf zu neuen, alten Ufern! Rettung ist überall. Nämlich da, wo es wieder um Literatur geht, wenn von Literatur die Rede ist.

 

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Hahn Friedrich

Geboren 1952 im Waldviertel / NÖ, schreibt und veröffentlicht seit 1969. 54 Bücher mit Lyrik, Prosa sowie 20 Arbeiten für den Rundfunk und für die Bühne (zuletzt „im rücken des schattens“, die rampe, Stuttgart 2004). Performances (u. a. im Centre George Pompidou/Paris im Rahmen der Polyphonix), Ausstellungen und Kataloge (u. a. „remakes“: Museum Moderner Kunst/Wien, „unterm strich“: Galerie Eichgraben, „allerhand hahn“: CA-Galerie im TZ). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und des Literaturkreises "Podium". Lebt in Wien/Alsergrund. www.literaturhahn.at

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