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Norbert Hölzl
Goldenes „Dachl“
Das missdeutete Wahrzeichen
Aus einem Symbol von Weltrang
macht Innsbruck bis heute
ein Provinz-Erkerle.
Essay

Kulturell inexistent! überschrieb Alois Schöpf seine TT-Kolumne am 8.7.2023. Er nannte den österreichischen Festspielsommer eine Demütigung für Tirol. Bei 500 Übertragungsstunden im ORF käme Tirol so gut wie nicht vor. 

Klugerweise klagte er nicht über böse Wiener, die nicht lieb zu Tirol sind. Er suchte die Schuldigen im eigenen Land: Wir sind mit einer Kulturpolitik geschlagen, für die die jämmerliche und ungerechte kulturelle Außenwirkung Tirols kein Thema ist.

Leider ist alles noch viel schlimmer als die fehlenden Sendestunden im ORF. Tirol hat sich schon lange zur kulturellen Nullnummer gemacht.

Im Jahre 1996 feierte Innsbruck mit Riesenpomp und Bundespräsident 500 Jahre Goldenes Dachl, obwohl vorne groß und deutlich 1500 steht. Angezettelt hat den Unfug der damalige Stadtarchivdirektor, der mehr Titel hatte als sein Name Buchstaben. Er war politisch glänzend vernetzt. 

Seine Dauerkritikerin Johanna Felmayer war ihm zwar wissenschaftlich überlegen, aber als Privatperson fehlte ihr jede stadtpolitische Protektion. 1995 verfasste sie ein Rundschreiben gegen das falsche Jubiläum. Sie schickte es allen, die sie für wichtig hielt, nicht nur dem Bürgermeister van Staa, sondern auch mir im ORF: Falls Innsbruck so unsinnig feiert, gäbe es sich der Lächerlichkeit preis. 

Van Staa explodierte über den Vorwurf der Lächerlichkeit, ich überprüfte in aller Ruhe und setzte Felmayers Forschungen fort. Im ORF beschlossen wir: Sollte Innsbruck sein Wahrzeichen zu Unrecht feiern und seinen Sinn zerstören, schießen wir aus allen Rohren, die wir im Radio und im TV zur Verfügung haben, denn es geht um ein weltweit einzigartiges Wahrzeichen. 

Ich erhielt die Möglichkeit, in zwei 25 Minuten-Sendungen und in der ZIB1 diesen Unfug anzuprangern.

Streit um des Kaisers Dachl nannte ich meinen ersten Film in der Hoffnung, es klinge wie der Streit um des Kaisers Bart. Es war ja alles offensichtlich. Als der Gelehrtenstreit, wie ihn die damalige Kulturreferentin Hilde Zach etwas überhöht nannte, in einen Krieg der Worte und der Leserbriefe ausartete, machte die Hilde etwas sehr Kluges. Da die Geisteswissenschaft der Universität versagte, zog sie  die Naturwissenschaft heran. 

Und siehe da, die Dendrochronologen des Instituts für Gletscherforschung konnten kurz vor der falschen 500Jahrfeier 1996 beim Zählen der Jahresringe im Holz der Dachbalken nachweisen, dass die Bäume erst im Winterhalbjahr 1497/98, also im Dezember oder im Jänner geschlägert worden waren. In der ZIB1 zeigten wir, dass die Dachbalken des Daches, das so heftig gefeiert wurde, vor 500 Jahren noch grüne Bäume im Raum Innsbruck waren. Und damit es noch lustiger aussah, ließ ich zwischen den Bäumen ein paar Rehlein herumlaufen.

Warum ist dieses scheinbare Kleinzeug so wichtig sogar für uns heute? Im Jahre 1500 ließ der größte Propagandist Tirols, noch viel größer als der Andi Braun, als Symbol eines neuen, goldenen Zeitalters das damals einzige Golddach Europas errichten (in Innsbruck bis heute wieder völlig unbekannt). 

Bescheiden wie der König und Kaiser Maximilian stets war, nannte er sich Dominus totius mundi. Als Herr des gesamten Erdkreises glaubte er die Welt in ein neues, glückliches, eben goldenes Zeitalter zu führen. Seine Dichter jubelten: Itzt fängt die Neuzeit an

Die Erfindungen wie der Buchdruck waren so revolutionär wie um 2000 der Schritt ins digitale Zeitalter. Daher nennt man die Epoche von 1500 bis 2000 tatsächlich die Neuzeit. Und dabei wird immer etwas übersehen: Maximilian war zur Hälfte Portugiese, Sohn Kaiser Friedrichs III. und einer portugiesischen Königstochter. Portugal war damals die größte Seemacht der Welt noch vor Spanien. Und solche Leute kennen sich aus in der christlichen Seefahrt. Soeben hatte man in Westindien, das bald Amerika heißen sollte, sagenhafte Goldländer entdeckt. Und diese wollte Maximilian für seine Casa de Austria.

Zwischen den Dauer-Rivalen Papst und Kaiser entstand um 1500 ein Wettlauf im Vergolden. Mit dem ersten Gold des Kolumbus, das das spanische Königspaar dem aus Spanien stammenden Papst Alexander VI. schenkte, vergoldete der Papst die Riesendecke von Santa Maria Maggiore in Rom. 

Der Papst hatte mehr Gold, aber Maximilian in Innsbruck hat bis heute die größere Show. An der Hauptstraße zwischen Nord- und Südeuropa, die damals mitten durch die heutige Altstadt zur Innbrücke führte, leuchtete ab 1500 das goldene Prunkdach des Kaisers. Was ist dagegen eine goldene Kirchendecke in Rom?

Nachfolger des prunk- und weiberliebenden Papstes aus Spanien war der ebenso berüchtigte Kriegspapst Julius II., wieder ein Erzgegner des Kaisers. Als Julius von den goldenen Weltreichsvisionen Maximilians hört, verspottet er ihn als einen Narren, den man nicht frei herumlaufen lassen sollte. 

Aber noch zu Lebzeiten des Narren herrschte sein Nachfolger Karl über Spanien und damit über die Goldländer der Neuen Welt. Wiederholt übertrafen die hochfliegenden Pläne des Narren die Vorstellungen seiner Gegner. Von Johanna Felmayer lernte ich: Das Goldene Prunkdach mit den zahllosen Symbolen des Erkers ist Maximilians Kaiserprogramm im Kleinen, das Kaisermonument in der Hofkirche ist es im Großen.

Damit auch der Beschränkteste seine Absicht versteht, ließ Maximilian vorne oben in der Mitte die Inschrift anbringen: XVco (=centesimo) Jar, im 1500. Jar, Jahr sogar deutsch.

Und jetzt kommt die Kulturpolitik, rufschädigend bis heute: Da feierte Innsbruck 500 Jahre im nichtssagenden Jahr 1996. Damals habe ich gesagt, das Wendejahr 2000 – Ende der Neuzeit und Beginn einer neuen Epoche – wird europaweit gefeiert werden. Und dabei wird Innsbruck eine Nullrolle spielen. 

Gefeiert wurde auch das Geburtsjahr 1500 von Maximilians Nachfolger Kaiser Karl V., dem Maximilian ein Weltreich hinterlassen hatte. Es feierten 2000 die einstigen burgundischen Städte Gent und Brüssel, die Maximilian erheiratet und erkämpft hatte, weiters Bonn, Madrid und Wien. 

Diese Weltstädte feierten gemeinsam und tauschten Veranstaltungen aus. Es gab eine gemeinsame TV-Dokumentation. Innsbruck, das eigentlich im Mittelpunkt hätte stehen müssen, wurde nicht einmal in einem Nebensatz erwähnt. Wien tat unter dem arrogantesten Museumsdirektor aller Zeiten so, als habe der Weltreichskaiser Karl V. in der Hofburg zu Wien residiert. 

Dort residierte er keinen Tag lang, wohl aber in Innsbruck. Wien hat er kurz besucht, um zu prüfen, ob die Befestigungen dem Türkensturm widerstehen könnten. Das war alles.

Vor dem TV-Interview oben am Prunkerker gab mir Innsbrucks damaliger Archivdirektor, der für das Provinzjubiläum von 1996 und die Pleite von 2000 verantwortlich war, ganz privat einen guten Rat: Hören Sie nicht auf die Johanna Felmayer, alles was die schreibt, ist Blödsinn (wörtlich).

Der wirkliche Blödsinn ist erschreckenderweise auch heute wieder auf der offiziellen Tafel am Goldenen Dachl zu lesen, obwohl es schon die dritte oder vierte Tafel ist, die ich seit meinem Streit um des Kaisers Dachl erlebe. 

Da wird behauptet, den Prunkerker ließ Kaiser Maximilian I. aus Anlass seiner Hochzeit mit Bianca Maria Sforza von Mailand errichten. Noch alberner geht’s nicht. 

Die weltweit interessante Botschaft von der Neuzeit 1500 und den goldenen Visionen werden nicht einmal erwähnt. Auf einem von mehreren Reliefs, aber keineswegs in der Mitte, ist Maximilian zu sehen mit seinen beiden Gemahlinnen, der geliebten und politisch wichtigen Maria von Burgund, die leider früh verstarb, und der politisch bedeutungslosen Sforza-Tochter, die er nur aus Geldnot heiratete. 

Sie war ihm so gleichgültig, dass er bei ihrem frühen Tod nicht einmal zu ihrem Begräbnis kam. Die Hochzeit mit der reichen Sforza war am 16.3.1494 in Hall und nicht in Innsbruck. Bis 1496 war Maximilian nicht einmal Eigentümer des Bauwerks mit dem späteren Golddach. Dort saß der abgesetzte Playboy und Verschwender Sigmund. Um 1500 war die Achse Innsbruck-Mailand politisch bedeutungslos. Nie im Leben hätte Maximilian der Mailänderin ein Golddach gewidmet.

Ich war heuer und vorher schon nicht untätig. Ich habe den heutigen Archivdirektor auf die unsinnige Inschrift wiederholt aufmerksam gemacht. Zuerst war er empört, das habe er nicht gesehen, noch in der Mittagspause werde er sich das ansehen. Da habe sicher die Werbefirma den falschen Text erwischt. Die Jahre vergingen, geschehen ist nichts.

In dem köstlichsten Buch über Tirol aus dem 18. Jahrhundert schreibt der Wiener Joseph Rohrer im Kapitel Denkart der Tyroler von Behaglichkeit und Ideenstillstand, welcher mit der Unbeweglichkeit der jeder Gewalt trotzenden Felsenmassen verglichen werden kann. Das sei eben das Los der Gebirgsbewohner

Wer heute vor dem Golddach steht, wird dem alten Wiener schwer widersprechen können.

Wenn Sie bis hierher gelesen haben, bitte ich Sie um etwas Geduld. Ich zitiere den langweiligen und inhaltlich teils völlig falschen Text der Tafel am Prunkerker. Aus werbetechnischer Sicht ist es Dilettantismus pur:

Der „Neue Hof“ mit dem Goldenen Dachl.
Der „neue“ Hof war im 15. Jahrhundert die Residenz von Herzog Friedrich IV. „mit der leeren Tasche“ und Sigmund „dem Münzreichen“. Den mit 2657 feuervergoldeten Kupferschindeln gedeckten spätgotischen Prunkerker ließ Kaiser Maximilian I. (1459-1519) aus Anlass seiner Hochzeit mit Bianca Maria Sforza von Mailand errichten.

Was soll ein gebildeter Japaner trotz der englischen Übersetzung mit diesem Fachchinesisch anfangen? Neuer Hof steht da – wo der alte ist, steht nicht. Welcher Ausländer soll Tiroler Landesfürsten kennen. In den Mittelpunkt gestellt werden nicht Neuzeit und der Glaube an ein goldenes Zeitalter nach der Entdeckung einer Neuen Welt, sondern eine Mailänderin, die für Maximilian politisch und erotisch eine Nullnummer war. 

Er war doch nicht so verrückt, ihr das einzige Golddach Europas zu errichten. Mit der böhmisch-ungarischen Hochzeit schuf Maximilian die Donaumonarchie, die ihn um genau 400 Jahre überlebte, mit der spanischen Hochzeit schuf er für die Casa de Austria ein Weltreich, in dem die Sonne nicht unterging so wie später im britischen Empire. 

In Innsbruck schuf Maximilian das einzige Bauwerk, das zu seinen Lebzeiten vollendet wurde. Ein Provinz-Erkerle schwebte ihm garantiert nicht vor. 

Auch im Maximilianjahr 2019 geschah nichts. Die Kulturverantwortlichen warfen unkontrolliert 5 Millionen hinaus und vergnügten sich auf Steuerzahlerkosten an einer sinnlosen New York-Reise. 

Maximilian sagte, ein König ohne Bildung sei wie ein gekrönter Esel. Dieses Bild wenden wir auf das Heute besser nicht an. Es reicht der schoepfblog zum verpatzten Maximilianjahr. Siehe unten stehende Links!


https://schoepfblog.at/norbert-holzl-innsbrucks-verpfuschte-jahrhundertchance-maximilian/

https://schoepfblog.at/alois-schoepf-kulturell-inexistent-apropos/

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Norbert Hölzl

Norbert Hölzl, Prof. Dr., ehemaliger Referatsleiter im ORF, Radio- und TV-Autor, TV-Regisseur und Buchautor.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Karlheinz Veit

    Wenn man soviel Zeit aufwendet, um über dieses Nullproblem zu sinnieren, gibts nur eine Erklärung: Is Ihnen langweilig Herr Hölzl ….???

    1. Reinhard Kocznar

      Wenn es Langweile war, ist etwas sehr Gutes herausgekommen.

  2. Reinhard Kocznar

    Der besagte Stadtarchivdirektor durfte in diesem Blog auch seine bemerkenswerte Expertise zum Selbstbedienungspool GemNova abliefern.

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