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Nicole Staudenherz
Schmerzhafte Realitäten
Wie Österreichs Mastrinder
unter rechtlichen Grauzonen leiden.
Analyse

Rinder sind riesig. Zugleich sind sie sanftmütige, feinfühlige Tiere mit hervorragenden sensorischen Fähigkeiten: So können sie Gerüche in einem Radius von bis zu zehn Kilometern wahrnehmen. Ihr Gehör ist sensibler als das menschliche, mit einem deutlich größeren Frequenzbereich, der auch Ultraschalltöne umfasst. Sie sind kluge und soziale Lebewesen, die gerne Ball spielen, Kausalzusammenhänge rasch erfassen und über Körpersprache, Stimmlaute und Pheromone miteinander kommunizieren können. Lebenslange Freundschaften mit Artgenossen sind keine Seltenheit.

All das ist hinlänglich bekannt. Theoretisch gäbe es in Österreich klare gesetzliche Vorgaben, wie diese Tiere zumindest halbwegs wesensgerecht zu halten wären. Als Tierquälerei gilt laut Gesetz generell eine Unterbringungsform, die Schmerzen, Leid oder Schäden mit sich bringt. Darüber hinaus legt die Tierhalteverordnung speziell für Rinder fest, dass die Bodenbeschaffenheit der Stallungen nicht zu Schmerzen oder Verletzungen führen darf.

Wie in aller Welt ist es angesichts dessen möglich, dass die Haltung von Mastrindern auf Vollspaltenböden völlig legal ist? Für die Tiere bedeutet das, tagein, tagaus bis zu zweieinhalb Jahre lang auf scharfkantigen, kotverschmierten Betonböden dahinvegetieren zu müssen, direkt über der Güllegrube.

Irgendwo in den dunklen Winkeln im Schatten wohlklingender Paragraphen scheinen diese haarsträubenden Praktiken stillschweigend legitimiert worden zu sein. So kann ein überkommener Status Quo fortexistieren, einfach nur, weil es kein explizites Verbot gibt.


Aufdeckung: Tierleid made in Austria

Ein aktuelles VGT-Aufdeckungsvideo (VGT = Verein gegen Tierfabriken) aus einem niederösterreichischen Rinderstall schlug medial große Wellen. Kein Wunder, denn die Zustände sind skandalös: Dicht gedrängt stehen die riesigen Maststiere in den Buchten. Deren Boden besteht zur Gänze aus Betonplatten, die mit Spalten durchzogen sind. Überall kleben Exkremente. Auch die Tiere sind verdreckt.

Die quälende Enge macht die Tiere aggressiv, sie stoßen sich gegenseitig, können nicht ausweichen. Ein Rind blutet aus der Nase. Ein anderes hat eine auffallende Schwellung am Fußgelenk. Geweitete Augen und hektisch umherschweifende Blicke legen nahe, dass die Tiere gestresst sind. Weiche, trockene Liegeplätze oder gar einen Auslauf gibt es für diese Masttiere nicht. Der erste und einzige Tag, an dem sie ins Freie dürfen, wird der Transport zum Schlachthof sein.

All das ist wie so oft kein Einzelfall: Die Tiere, die hier für die Fleischproduktion gemästet werden, stehen beispielhaft für zigtausende Mastrinder in Österreich, die in derart unwürdigen Haltungssystemen leben müssen. Berechnungen zufolge fristen hierzulande etwa 70% der Mastrinder solch ein leidvolles Dasein.


Vollspaltenböden bedeuten Leid und Schmerz

Zahlreiche Studien zeigen, dass die Haltung von Stieren, Kalbinnen und Ochsen auf Vollspaltenböden immenses Leid und ernsthafte Gesundheitsschäden mit sich bringt.

Besonders relevant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung der Veterinärmedizinischen Universität Wien aus dem Jahr 2008, weil ausschließlich Betriebe aus Österreich untersucht wurden.

Bei dieser Studie wurden Maststiere auf Beton-Vollspaltenboden mit einer Kontrollgruppe aus Stieren auf Spaltenboden mit Gummimatten oder in Stallsystemen mit Stroheinstreu verglichen. Die Vollspaltenhaltung schnitt in diesem Vergleich äußerst dürftig ab.

Besonders auffallend bei den Tieren auf Vollspaltenböden waren die Verletzungen an den Fußgelenken. Die Studie ergab, dass fast 100% der Vollspalten-Stiere eine geringgradige Schädigung des Vorderfußgelenks aufwiesen und 84% eine hochgradige. Im Gegensatz dazu war diese Schädigung in der Strohhaltung nicht existent. Auch das Sprunggelenk war bei fast der Hälfte der Tiere im Vollspalten-Stall geschädigt.

Weitere Probleme der Vollspalten-Versuchsgruppe: Wunden an den Schwanzspitzen, Klauenverletzungen und teils schwere Lahmheiten. In der Folge war ein stärkerer Antibiotika-Einsatz nötig. Auch das für Rinder so wichtige Ruheverhalten war gestört, weil die Tiere in Vollspaltenbuchten beträchtliche Schwierigkeiten beim Aufstehen und Niederlegen haben.

Im Falle der Haltung mit Stroheinstreu konnten diese Probleme entweder gar nicht oder nur in sehr geringem Ausmaß festgestellt werden.

Die Studie schließt mit den folgenden Feststellungen: „Aufgrund der hohen Anzahl an Schäden und Verhaltensabweichungen ist die Haltung von Maststieren in Vollspaltenbuchten als nicht tiergerecht zu bewerten. […] Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Strohsystem als tiergerechter als die anderen untersuchten Systeme bezeichnet werden kann.“


Vollspaltenböden in die Geschichtsbücher verbannen

Tiergerechtere Haltungsformen für Rinder sind nicht nur umsetzbar, sondern in Österreich längst etabliert. Im Bio-Sektor ist Weidegang für Mastrinder ohnehin Vorschrift. Es gibt sogar Betriebe mit ganzjähriger Freilandhaltung. Diese gilt als besonders tierfreundlich, sofern ausreichend Weideland mit einem Unterstand vorhanden ist und die Tiere sich temperaturmäßig in ihrer relativ niedrigen Komfortzone zwischen etwa 0 und +16 Grad Celsius aufhalten können.

Eine gangbare Alternative zum Vollspaltenboden ist ein Stallsystem mit Teilspaltenböden, kombiniert mit planbefestigten Liegebereichen mit tiefer Stroheinstreu. Eine weitere Möglichkeit ist der Tretmiststall mit beidseitig leicht geneigten Bodenflächen. Auf beiden Längsseiten wird regelmäßig von außen Stroh nachgestreut. Das Stroh wandert langsam bis zur Mitte des Stalls, wo es mit einem automatischen Schieber entfernt werden kann.

Einem Ende des Vollspaltenbodens steht also in der Praxis wenig im Weg. Die zuständigen Akteure aus Politik und Landwirtschaft sind bis dato allerdings nicht gerade mit einem markanten Veränderungswillen aufgefallen, sondern eher mit dem altbekannten Reflex, sich mit maximaler Unverbindlichkeit zu äußern und die Verantwortung zur Gänze auf die Konsumenten abzuschieben.

Was es jetzt braucht, sind keine Lippenbekenntnisse, sondern Gesetzesänderungen. Beim nötigen Wandel hin zu tiergerechteren Haltungssystemen auf Freiwilligkeit oder Marktmechanismen zu setzen, ist wenig zielführend.

Wesentliche Verbesserungen im Tierschutz wurden in Österreich stets durch strengere Gesetze erzielt: So war es unter anderem beim Pelzfarmverbot, beim Ende der Legebatterien und auch beim – bereits beschlossenen, aber leider noch weit in der Zukunft liegenden – Ausstieg aus Vollspaltensystemen in der Schweinehaltung.

Auch bei den Mastrindern wird es darum gehen, rechtliche Grauzonen zu beseitigen und diesen Tieren per Gesetz ein artgerechteres Leben zu garantieren. Das ist das Mindeste, was wir als wertebewusste Gesellschaft für diese sanften Riesen tun können.

Petition „Mastrinder brauchen Stroh“: vgt.at/rinder


Quellen:

Mülleder et al. (2008): Alternative Haltungssysteme für die Rindermast unter österreichischen Verhältnissen unter besonderer Berücksichtigung von Betonspaltenböden mit Gummiauflagen. Endbericht zum Forschungsprojekt 1447. Wien: Eigenverlag des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung.

„Alternativen zum Vollspaltenboden“, vgt.at/actionalert/rinder-vsb/alternative.php

„Aufgedeckt: verdreckte Ställe, verletztes Kalb, Vollspalten-Qual“, vgt.at/presse/news/2023/news20231116mn.php

„Die Kuh – 12 faszinierende Fakten über Kühe“, peta.de/themen/kuehe

„Erfolgreiches Rinderhandling. Wahrnehmen, verstehen, kommunizieren“, bioland.de/fileadmin/user_upload/Erzeuger/Fachinfos/Merkblaetter/Erfolgreiches_Rinderhandling.pdf

„Fakten über Rinder“, vgt.at/presse/news/2021/news20210120ih.php

„Mastrinder: gesetzliche Lage“, vgt.at/actionalert/rinder-vsb/gesetz.php

„Thermoregulation beim Rind unter Hitzestress“, fokus-tierwohl.de/de/rind/fachinformationen-rindermast/umgang-mit-hitzestress-bei-mutterkuehen/thermoregulation

„Vollspaltenboden ist Tierquälerei“, vgt.at/actionalert/rinder-vsb/tierqual.php


Gesetzestexte:

Bundesgesetz über den Schutz der Tiere, ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20003541&FassungVom=2023-02-06

Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über die Mindestanforderungen für die Haltung von Pferden und Pferdeartigen, Schweinen, Rindern, Schafen, Ziegen, Schalenwild, Lamas, Kaninchen, Hausgeflügel, Straußen und Nutzfischen (1. Tierhaltungsverordnung), ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20003820&FassungVom=2023-05-26


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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Robert Muskat

    Es ist in allen Beiträgen immer die Rede von den „Bauern“. Leider gibt es DEN Bauern nicht! Es gibt den kleinen Landwirt, der schon frühmorgens im Stall mit seinen Tieren spricht, ihnen Zuwendung und Futter mitbringt, der ständig am Rande des finanziellen Abgrundes steht.
    Dann gibt’s noch den Großbauern, der immer mit dem neuesten Traktor herumfährt, Raddurchmesser über 2 Meter, den Stall vollkommen technisiert, Funktionär in Bauernbund und ÖVP, der Tiere als Gegenstand einstuft, dafür auch noch großzügige EU-Subventionen kassiert und seine Freizeit mit dem Studium der neuen Autoprospekte verbringt. Das ist sein Selbstverständnis und da wird er auch von EU und ÖVP unterstützt und animiert, weiter Glyphosat zu verwenden.
    Die Frage nach dem Selbstverständnis ist obsolet, solange diese Spezies von allen Seiten Unterstützung erfährt, Kleinbauern jedoch auf Betreiben einer keifenden Nachbarin sogar auf Befehl des Bürgermeisters ihren Stall abreißen sollen, egal wo seine Tiere unterkommen.
    Darüber wäre nachzudenken!

  2. Rainer Haselberger

    Wie kann das in einem zivilisierten Land sein?
    Was für ein Selbstverständnis haben Landwirte, die so produzieren?

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