Alois Schöpf
Wozu Hochkultur,
wenn man mit Volkskultur Wahlen gewinnt?
Bemerkungen zum Tiroler Regierungsprogramm 2022
Folge 9
Letzten Sonntag konzertierte im Saal Tirol des Congress Innsbruck das Sinfonische Blasorchester Tirol unter der Leitung des Intendanten der Innsbrucker Promenadenkonzerte Bernhard Schlögl.
Neben einer spektakulären Eröffnungsfanfare für Blechbläser des 1973 geborenen John Mackey und zwei Sätzen aus der Sinfonie Nr. 3 von James Barnes stand die österreichische Erstaufführung eines weiteren US-Amerikanischen Komponisten, David Maslankas 7. Sinfonie, im Zentrum des Abends.
Maslankas 35-minütiges, viersätziges Werk ist für ein großes, nach internationalen Maßstäben besetztes Blasorchester inklusive Klavier orchestriert und erfüllt mit seinen Zitaten aus Volks- und Kirchenliedern und einem Choral von J.S. Bach alle Qualitätskriterien, die – gemessen an den Großen der klassischen Moderne – von einem zeitgenössischen Werk in Sachen Komplexität und Dramaturgie erwartet werden. Der lang anhaltende und begeisterte Applaus des überwiegend jungen und kenntnisreichen Publikums bewies, dass das Meisterwerk des 1943 geborenen und 2017 verstorbenen Maslanka vom Dirigenten ohne Spannungsabfall inszeniert und vom Orchester kompetent umgesetzt wurde.
Es steht außer Zweifel, dass Tirol noch nie über ein solch leistungsstarkes Blasorchester verfügte, wie es das Sinfonische Blasorchester Tirol ist, dessen Musikerinnen und Musiker auf eigene Kosten und ohne Honorar aus allen Teilen Tirols und vielfach auch aus dem übrigen Österreich anreisen, um in knapp bemessener Probenzeit unter der Leitung des umtriebigen und charismatischen Bernhard Schlögl zeitgenössische Bläsermusik auf höchstem, professionellen Niveau erklingen zu lassen.
Wie sehr dies dem von Schlögl gegründeten, vor allem aus Musikstudierenden bestehendem 80-köpfigen Orchester immer wieder gelingt, geht auch aus der Tatsache hervor, dass es beim World Music Contest (WMC) im niederländischen Kerkrade in der höchsten Spielklasse den dritten Platz erspielte, wobei der Abstand zum zweitplatzierten Orchester 0,17 Punkte und zum erstplatzierten 0,5 Punkte betrug, der Weltmeistertitel also nur um Haaresbreite verfehlt wurde.
Zurecht kann in diesem Fall also von einem Weltklasseorchester gesprochen werden, zu dessen Auftritt, wenn es sich in diesem eigenartigen Tirol um einen Rodler oder um einen Skifahrer gehandelt hätte, wohl alle angetanzt wären. Da es sich jedoch um Kunst und, noch schärfer formuliert, um Hochkultur handelte, fehlten beim sonntäglichen Konzert fast alle.
Weder jene eigens eingeladenen Kapellmeister erschienen, die sich sonst für kompetent genug halten, am Konservatorium und im Rahmen des Musikschulwerks Dirigierschüler auszubilden. Noch kamen, mit Ausnahme des Landeskapellmeisters, die Vorstandsriegen des Landesverbandes oder der Bezirksverbände der heimischen Blasmusikszene. Und schon gar nicht kamen all jene dörflichen Kapellmeister, die, um nicht in eine veritable Identitätskrise zu schlittern, die Qualität so fürchten müssen wie der Teufel das Weihwasser.
Aber es fehlten vor allem auch jene, die sonst bei den Konzerten unserer prominenten Trachten- oder uniformierten Musikkapellen ein Gesichtsbad in der Menge nehmen, um als Landeshauptleute, Bürgermeister, Landesräte, Parlamentarier, Gewerkschafter, Äbte oder Bischöfe Interesse an der Musik zu demonstrieren und damit einer Welt von Gestern zu huldigen, deren immer neu restaurierte Fassade sich seit Jahrzehnten als die nachhaltigste Wahlveranstaltung der landesüblichen alpenländischen Konservativität erwiesen hat.
Dass das Angebot von der Bühne herab dabei amateurhaft klingen darf, einer Pseudomoderne gehuldigt wird und klassische Werke unter den Grobheiten von viel zu vielen Blechbläsern untergehen, ist eine geradezu systemimmanente Notwendigkeit, da professionelles Spiel, transparente Besetzung und substantielle zeitgenössische Werke zu einer Professionalität und damit zwangsweise zu einer Urbanität, Modernität, Pluralität und Globalisierung hinführen würden, was sich für eine auf Identitätspolitik aufbauende Wahlwerbung selbstverständlich als ungeeignet, ja geradezu als kontraproduktiv erweisen würde.
Entsprechend selten sieht man unsere politischen Eliten denn auch bei den Konzerten des TSOI oder in der Oper, ja nicht einmal bei den Innsbrucker Promenadenkonzerten stehen sie nach Ableistung ihres Gesichtsbades ein hochkarätiges Konzert durch, sondern entfliehen frühzeitig aus Termingründen.
Dafür sieht man sie umso häufiger auf der Ehrentribüne etwa jüngst beim Axamer Wampelerreiten und garantiert bei jedem Schützen-, Feuerwehr- oder Bezirksmusikfest, zuerst bei der Feldmesse und dann im Bierzelt. Und sie gieren geradezu danach, die Präsidentschaft von Blasmusik-, Volksmusik-, Chor-, Trachten-, und Schützenvereinen übernehmen zu dürfen, auch wenn einer von ihnen wie unser Berufsprominenter Franz Fischler während einer achtjährigen Regentschaft als Präsident des Blasmusikverbandes nicht einen einzigen intelligenten Satz zur Musik über die Lippen brachte.
In Tirol kommen die Mehrheiten bis heute aus den Tälern und Dörfern, in denen immer noch die gut vermarktbare Scheinwelt aus Kirche, Folklore und Tourismus regiert. Bezeichnenderweise ist der neue Landeshauptmann denn auch ein ehemaliger Bürgermeister aus Galtür und sein Stellvertreter einer aus Sellrain. Die Hochkultur hingegen ist unseren Luder-Sagern, um biblisch zu bleiben, ein Buch mit sieben Siegeln, das, wenn man es aufschlägt, unkalkulierbare Spinner und verrückte Egomanen entlässt, weshalb man, auch wenn man rein gar nichts davon versteht, nach Macht strebt, um es zugeschlagen zu lassen.
Damit kann auch erklärt werden, weshalb im Regierungsprogramm sogenannte Institutionen wie die Festwochen der Alten Musik oder die Festspiele in Erl neben einem dörflichen Theaterprojekt wie dem Steudltenn im Zillertal oder neben den Volksschauspielen Telfs stehen können und weshalb die für Tirols Kultur und seine kulturelle Ausstrahlung hauptsächlich zuständigen und wichtigen Einrichtungen wie das Tiroler Landestheater oder das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck und die Orchesterszene des Landes überhaupt, die kulturelle Selbstdarstellung Tirols in den elektronischen Medien, vor allem im ORF, oder auch Cine Tirol keine Erwähnung finden.
Und dies in einem Land, das sich als Tourismusweltmeister bezeichnet, wobei sich die Frage erhebt, ob eine solche Selbstdefinition, die in Sätzen wie Mia sein mia! Oder Bisch a Tiroler, bisch a Mensch. Bisch koaner, bisch a Arschloch! gipfelt, langfristig haltbar sein wird.
Unsere gewählten Herrscher ignorieren schon allein aus wahltaktischen Gründen den Unterschied zwischen Volks- und Hochkultur und fühlen sich dort am wohlsten, wo sich die Volkskultur qualitativ an die Hochkultur annähert, ohne jedoch die Anforderungen einer zumindest im europäischen Maßstab anerkannten Professionalität, auch in der Kulturpolitik und im Kulturmanagement, zu übernehmen, wofür paradigmatisch sowohl die Volksschauspiele Telfs als auch Steudltenn im Zillertal stehen können, die beide laut Regierungsprogramm fortgeführt werden sollen.
PS:
Die vorliegenden Überlegungen beziehen sich vor allem auf den Bereich der Musik und auf die Theaterszene. Sie stehen jedoch pars pro toto für den gesamten Kultur- und Kunstkosmos, bei der selbstreflexiv die Frage zu stellen ist: Welche überregionalen, kulturellen Impulse gingen in den letzten Jahren etwa von einem Ferdinandeum aus? Welche vom Filmschaffen? Welche von der Designerszene? Welche von der Architektur, die zumindest in Teilbereichen (zu nennen sind die Namen Zaha Hadid, Dominique Perrault oder Projekte wie Haus der Musik oder Festspielhaus Erl) erahnen ließ, was alles möglich wäre?
Überall steht sich das offizielle Tirol mit seinem tradierten Narrativ und einer geradezu pathologischen Verherrlichung eines fragwürdigen Mythos selbst im Weg und findet keinen Ausweg aus der selbstverschuldeten geistigen Selbstbeschränkung eitler Selbstbespiegelung..
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