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Alois Schöpf
So sind wir sehr wohl!
4. Teil des Essays
"Der Bundespräsident fordert
die Wiederherstellung eines Vertrauens,
dessen Zerstörung er mit unterstützt hat."

Es sind gleich mehrere Untersuchungen, die – bezogen auf Deutschland – den in den Medien Beschäftigten eine Gesinnungs- und Parteipräferenz links der Mitte attestieren.

So wählen zum Beispiel Volontäre bei ARD und Deutschlandfunk, wie Kollege Reinhard Kocznar(1) in seinem Artikel bereits vermerkt hat, zu 92% SPD, die Linke oder die Grünen. Die auf professioneller Ebene tätigen Journalisten wiederum beschreiben sich selbst zu etwa 70% als links oder eher links(2/3). Dies führt unter anderem dazu, dass selbst im Zentralorgan des deutschsprachigen Wohlstandsspießers „Die Zeit“(4) das Fehlen konservativer Standpunkte und Kommentatoren bedauert wird. Und es hat in den letzten Jahren naturgemäß dazu geführt, dass sich zwischen Medien und Publikum immer größere Diskrepanzen ergeben und das Vertrauen in den Journalismus insgesamt mehr oder weniger zerstört wurde.

Obgleich einschlägige Untersuchungen im Hinblick auf Österreich fehlen, dürften sich die Verhältnisse abzüglich eines gewissen katholisch-habsburgischen Konservativitätskoeffizienten hierzulande nicht wesentlich anders darstellen. Vor allem nicht in Wien, wo seit Jahrzehnten sozialdemokratische Stadtregierungen herrschen und die dort aufhältigen Geistes- und Kultureliten auf ein halbes Jahrhundert ebenfalls sozialdemokratischer, sie großzügig nährender Bundesregierungen zurückblicken können.

Paradigmatisch sind diese Verhältnisse an der wahrhaft nur in Österreich möglichen Karriere eines Schriftstellers wie Gerhard Ruiss festzumachen. Er legte gemeinsam mit seinem Kollegen Hannes Vyoral im Jahre 1978, also am Zenit der Ära Kreisky, in der Kunst und Kultur durch staatliche Subventionen erfolgreich zu einem höfischen Faktor umfunktioniert wurden, um dem Bürgertum die Angst vor der Farbe Rot zu nehmen, eine Bestandsaufnahme der österreichischen Literaturszene(5) vor und wurde aufgrund dieser Tätigkeit 1982 Geschäftsführer der Interessensgemeinschaft Österreichischer Autorinnen und Autoren, was er bis heute seit unvorstellbaren 40 Jahren geblieben ist.

Trotz unübersehbar vieler Resolutionen zu durchwegs bedeutungslosen Themen, wie etwa zur Neuregelung des Gebrauchs des scharfen S, war vonseiten dieses folgsamen Dichter-Funktionärs niemals ein Sterbenswörtchen darüber zu vernehmen, dass die angebliche Objektivierung von Stipendienvergaben und Preisen durch sogenannte Jurys über Freundesbande und Netzwerke einen geradezu kasachischen Korruptionsgrad erreicht hat. Auch nicht über die geradezu kriminellen Geschäfte, mit denen sogenannte Vorlässe(6) besonders braver Skribenten um Millionenbeträge von öffentlichen Institutionen aufgekauft werden, wurde im Interesse der mit solchen Apanagen nicht bedachten und oft wesentlich besser schreibenden Kolleginnen und Kollegen keinerlei Protest erhoben. Hier seien nur an die 700.000 € für die Zettelwirtschaft eines gewissen Peter Turrini, an die 450.000 € für einen Josef Winkler(7) oder an die 7 Millionen Schilling für einen Gerhard Roth erinnert, nicht zu reden von einem Geschäftemacher wie Peter Handke, der es inklusive Nobelpreis bereits auf mehrere Euro-Millionen gebracht hat.

Um das Panorama solch korrumpierter Kunst und Kultur abzurunden, soll nicht unerwähnt bleiben, dass infolge der sogenannten 68-er Revolution und dem Entstehen der Massenuniversitäten die Geisteswissenschaften fast ausschließlich von vulgär-marxistisch sozialisiertem akademischen Personal bevölkert wurden, eine Tatsache, die für deutsche Verhältnisse korrekt dokumentiert ist(8), für Österreich fehlen dementsprechende Untersuchungen, wobei auch in diesem Fall von vergleichbaren Verhältnissen ausgegangen werden kann.

All dies muss vorangeschickt werden, um begreiflich zu machen, dass der Aufstieg des jungen, konservativen und rechts der Mitte agierenden Sebastian Kurz wie eine Bombe in die vor allem hauptstädtische Geisteselite einschlug und sich durch die Tatsache geradezu zu einem Endzeitdrama entwickelte, als Kurz sich anschickte eine Koalition mit den Freiheitlichen einzugehen, einer Partei, der gegenüber mit Recht Einwände im Hinblick auf eine nicht ausreichende Distanzierung vom Gedankengut des Nationalsozialismus besteht. Bei aller Verlogenheit, im Dienste derer der Begriff immer wieder instrumentalisiert wird, um sich selbst auf der Höhe der Zeit befindlich zu definieren, ist ein glaubwürdiger, authentischer Antifaschismus, der eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen als Tabubruch einstuft, anzuerkennen.

Vor diesem Hintergrund kann nun das sogenannte in kongenialer medialer Instrumentation an die Öffentlichkeit gespielte Ibiza-Video als eine Initialzündung dafür interpretiert werden, endlich den Anlass gefunden zu haben, eine Regierung loszuwerden, die sich mit hohen Beliebtheitswerten bei der Bevölkerung anschickte, seit Jahrzehnten gewohnte Privilegien und hier insbesondere einen aus dem Kleinbürgermilieu heraus, meist auf Kosten des Staates erwirtschafteten hedonistischen Wohlstand inzwischen bereits ins Pensionsalter vorgerückter linksliberaler bis linksextremer Künstler und Geistesarbeiter zu gefährden.

Dabei geht es jedoch mitnichten nur um die Absicherung des materiellen Wohlstands, sondern noch viel fundamentaler um die Frage, ob sich nicht diese sogenannte 1968-er-Bewegung oder gar 1968-er-Revolution, aus der heraus sich auch die österreichischen Geistesgrößen gleichsam als opportunistische Nebenwirkung des großen deutschen Nachbarn entwickelt haben, in wesentlichen Teilen als billige Verblendung erweist? Oder ob sie zumindest in Teilen zuletzt doch als innovative Fortschrittsbewegung eingestuft werden darf?(9) Und dies auch noch in einer Gegenwart, in der von der Migrationsproblematik bis hin zur Gender-Debatte, wie eingangs bereits erwähnt, die Übereinstimmung mit einer offenbar immer mehr zu rechtem Gedankengut hinneigenden Bevölkerung verloren zu gehen droht.

Statt nun diese hochkomplexe Gesellschaftskomödie zu durchschauen, was man von einem durch lange Lebenserfahrung und seine politische Tätigkeit weise gewordenen Bundespräsidenten erwarten könnte, gab Alexander Van der Bellen die Devise aus: So sind wir nicht!

Aus heutiger Sicht eine vollkommene Fehleinschätzung. Eine Verblendung! Denn so sind wir sehr wohl! Es wird nämlich wenige zumindest männliche Österreicher geben, die nicht die Erfahrung gemacht haben, in betrunkenem Zustand und in Anwesenheit begehrenswerter weiblicher Personen unendlichen Unsinn von sich gegeben zu haben, wie es auch ein Herr Gudenus und ein Herr Strache taten, wobei noch einmal darauf hingewiesen werden muss, dass ihr Geschwätz trotz genauester Untersuchung durch die WKStA keinerlei strafrechtliche Folgen hatte und ganz abgesehen davon die Frage im Raum steht, ob in einer Demokratie von Gleichen unter Gleichen politische Funktionäre unter höheren Heiligkeitsanforderungen zu stehen haben als die Bürger, von denen sie gewählt wurden.Und wer Strache ist, wissen wir seit Jahren!

Anstatt die Lage also zu beruhigen, um Zeit zu gewinnen und überhaupt erst herauszufinden zu können, woher das Video kam, unter welchen Umständen es entstanden war und inwieweit es tatsächlich strafrechtlich relevante Tatbestände enthielt, missbrauchte der ehemals selbst linksextreme und nunmehr wieder in den Schoß der evangelischen Kirche zurückgekehrte Bundespräsident die Autorität seines Amtes dazu, eine Regierung auf Basis rein moralistischer Hysterie auseinanderbrechen zu lassen.

Statt ihr Weiterregieren zu verordnen, Strache bis zur genaueren Klärung der ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe zeitlich beschränkt aus dem Verkehr zu ziehen, den Taktiker Kurz dazu zu veranlassen, die Krise nicht dazu zu benützen, um den intellektuell möglicherweise sogar überlegenen, auf alle Fälle lästigen Herbert Kickl in ein unbedeutendes Ministerium zu entsorgen – statt all dem, was staatstragend ein Gebot der Stunde gewesen wäre, hängte Van der Bellen sein Fähnchen wieder einmal in den Wind und setzte sich auf die Zeitgeistwelle der Moral und auf die beim kleinbürgerlichen Publikum so beliebte schnelle Empörung und Wut auf die da oben. Somit scheiterte er krachend, wie es zeitgeistig heißt, an den Ansprüchen seines Amtes als Präsident und erwies sich als Hauptmitverursacher des Vertrauensverlustes der Bevölkerung in die Politik.

In diesem Zusammenhang kann die Frage natürlich nicht ausbleiben, weshalb auch Sebastian Kurz und Heinz Christian Strache auf die Veröffentlichung des Ibiza-Videos derart dilettantisch reagierten? Statt nämlich zu versuchen, die rufschädigende und das Menschenrecht auf Privatheit missachtende hundertfach wiederholte Zitation des tendenziösen Zusammenschnitts aus sieben Stunden Material zu unterbinden, standen sie der gouvernantenhaften Empörung der Medien, deren Mitarbeiter die Chance witterten, ihre Felle zu retten, vollkommen hilflos gegenüber.

Einer der Gründe dürfte darin liegen, dass etwa die ÖVP, in den Großstädten abgewirtschaftet und seit Jahrzehnten auf das rurale Landdesign von Schützen, Blasmusik und Prozessionen vertrauend, den politischen, ethischen und philosophischen Diskurs der hohen Geistlichkeit überlassen hat und dadurch nicht nur unfreiwilliges Opfer von deren durch Missbrauchsfälle zerstörten Autorität, sondern auch einer während der Corona Pandemie zutage getretenen weltanschaulichen Sprachlosigkeit wurde. Selbst eine marode und überholte linke Ideologie muss nämlich immer noch durch kluge konservative Argumente entkräftet werden, wozu die Bürgerlichen seit Jahrzehnten ganz im Sinne der von Kant definierten größten Feinde der Aufklärung zu faul und zu feige waren und immer noch sind.

Eine ähnliche Diagnose dürfte auch für die FPÖ gelten, die bis heute von der verletzten Eitelkeit jener und ihrer Nachfahren lebt, die sich nicht einreden lassen wollen, dass in Österreich zwischen 1938 und 1945 alles schlecht war. Auch diese Partei hat sich nie dazu aufgerafft, darüber nachzudenken, worin eigentlich ein konservativer, das Dritte Reich als absoluten Sündenfall definierender deutschnationaler Liberalismus bestehen könnte. Wobei auch hier gilt, dass es nicht genügt, Meister des Marketings zu sein, wenn man vom politischen Gegner fundamental angegriffen wird.

Wo halten wir heute? Die türkis-blaue Regierung Kurz 1, die vor Ibiza auf eine Zustimmung der Bevölkerung von 56 % verweisen konnte, wurde verantwortungslos in die Wüste geschickt und durch eine Experten-Regierung ersetzt, worauf, als Reaktion einer empörten Öffentlichkeit, die Türkisen bei der folgenden Wahl umso triumphaler zurückkehrten und die mit ihrem medialen Ibiza-Putsch so erfolgreiche österreichische Medien- und Kunst-Elite sich erst wieder um einen mit der Waffe des Moralismus herbeigeführten Triumph betrogen sah.

Fortsetzung folgt


1. Teil: https://schoepfblog.at/alois-schopf-der-bundesprasident/
2. Teil: https://schoepfblog.at/literarische-korrespondenzmit-ibiza-zu-tun-hat/
3. Teil: https://schoepfblog.at/alois-schopf-die-bsoffene-partie-sigi-maurer/


Literatur:


1 https://schoepfblog.at/reinhard-kocznar-greenflation/
2 https://www.medienpolitik.net/2021/02/das-herz-des-journalismus-schlaegt-links-so-what/
3 https://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/BEITRAG/DISKUSIO/umfrage_auswertung.pdf
4 Die Zeit. Nr. 46 vom10. November 2022. Seite11: Warum gibt es einen wie mich nicht mehr?
5 Gerhard Ruiss. Handbuch Literarisches Leben in Österreich. 1985
6 Alois Schöpf. Wenn Dichter nehmen. Über das Vorlass-Kartell. 2014
7 https://schoepfblog.at/egyd-gstaettner-josef-winkler-grusst-nicht/
8 Gerd Koenen. Das rote Jahrzehnt, Unsere kleine deutsche Kulturrevolution, 1967-1977. 2001
9 Gerd Koenen. Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus. 2017


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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rainer Haselberger

    Als vulgär-marxistisch sozialisiertes akademisches Personal erlaube ich mir die Frage, ob der Ersatz von Management durch Marketing, wie von Kurz gepflogen, wirklich besser für Österreich war als eine Expertenregierung. Die Reduktion der politischen Verantwortung auf die strafrechtliche Legalität ist m. E. auch aus konservativer Sicht unbefriedigend. Die dumme Kritik aus ÖVP-Kreisen an der EMRK – in der übrigens das Recht auf Asyl gar nicht vorkommt – zeugt von mangelnder Eigenkompetenz der Betroffenen und soll wohl nur vom Versagen der letzten 20 Jahre ÖVP-Integrationspolitik ablenken!

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