Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an
Andreas Niedermann und Hannes Hofinger
Betrifft:
Warum ich Moralisten unerträglich finde
und was das mit Ibiza zu tun hat.
Fortsetzung des Essays von Freitag 28. Oktober
Lieber Andreas! Lieber Hannes!
Eure Leserbriefe nehme ich trotz ihrer lapidaren Kürze sehr ernst, denn ich schätze euch nicht nur als schreibende Kollegen, sondern auch aufgrund eurer Ehrlichkeit und Geerdetheit, von der aus ihr denkt.
Vorab darf ich euch zusichern, dass ich mir die Frage, ob ich in Sachen Kurz und seine Regierungen nicht unter einer pathologischen Verehrungsneurose gelitten habe und immer noch leide, sehr oft selbst stelle, wenn ich mich dem außergerichtlichen Mainstream verweigere, wonach ganz Österreich, seine politische Kaste und hier vor allem die ÖVP zutiefst korrupt seien.
Da sich dieser Verdacht hinsichtlich meines Geisteszustands nach gründlicher Selbsterforschung nicht bestätigt hat, möchte ich euch und den Lesern des schoepfblog zu erläutern versuchen, weshalb ich absolut allergisch auf moralistisches Geschwafel, unter anderem auch jenes unseres Bundespräsidenten, reagiere. Und zwar zuerst aus persönlicher Sicht und sodann, bestärkt von so renommierten Autoren wie Alexander Solschenizyn, Francis Fukuyama und Precht/Welzer, die sich auf historischer, philosophischer und soziologischer Ebene mit der moralistischen Aufrüstung von Politik, Medien und Intelligenzija beschäftigen.
Zuletzt möchte ich meinen Gedankengang durch einen kurzen Rückblick auf das sogenannte Ibiza -Video abrunden, ist es doch das bis zum Abwinken ikonisch wiederholte Narrativ, auf dem mit Bildern der schwadronierenden Machos Strache und Gudenus erfolgreich ein Regierungswechsel und, zumindest aus meiner Sicht, die avantgardistische Form eines nicht durch das Militär, sondern durch die Medien herbeigeführten und durch den Bundespräsidenten abgesegneten bzw. zumindest nicht verhinderten Staatsstreiches möglich war.
Ich hatte das Privileg, meine letzte Volksschulklasse und acht Jahre lang im Jesuitengymnasium Stella Matutina in Feldkirch zu verbringen. Dabei lernte ich als immer schon an Philosophie interessierter Mensch nicht nur die Feinheiten der katholischen Theologie kennen, sondern auch Menschen von hoher Intellektualität, denen es jedoch verwehrt war, sich von ihrem Glauben, der dem Stande ihres Wissens und ihrer Intelligenz in keiner Weise mehr entsprach, zu distanzieren.
Ich hatte also neun Jahre lang die Gelegenheit, die geistige Beschaffenheit sogenannter Intellektueller zu studieren, die ununterbrochen gezwungen waren, sich mit höchstem Aufwand selbst zu belügen, um ihrer totalitären Gesinnung und einer daraus abgeleiteten absolut unmenschlichen Moral, die sich im Internat vor allem in Sachen Sexualität niederschlug, nicht abschwören zu müssen. Hätten sie dies nämlich getan, so hätten sie nicht nur den Orden und damit eine Lebenssicherheit verlassen müssen, im Rahmen derer ihnen täglich dreimal das Essen serviert und wöchentlich die frisch gebügelte Wäsche vor das Zimmer gelegt wurde. Sie wären auch all ihrer Freunde verlustig gegangen und hätten ihre bürgerliche Existenz, gnadenlos von den kirchlichen Instanzen hinausgeworfen, von Null auf wieder aufbauen müssen.
Die Beobachtung dieser Menschen, die uns Pubertierenden das Onanieren als schwere Sünde verkauften, sofern wir die Kühnheit besaßen, ihm mit Lust zu frönen, haben mich sensibilisiert, tief geprägt und mir inklusive vieler Bücher über die Sowjetunion und ihre Künstler, Schriftsteller und Musiker die bedrückende Verführbarkeit und Biegsamkeit der sogenannten Intelligenzija vor Augen geführt.
Ich verwende den aus dem Russischen abgeleiteten Begriff Intelligenzija deshalb, weil ich in diesem Zusammenhang auf das Werk des Nobelpreisträgers und Gulag-Aufdeckers Alexander Solschenizyn Die Eiche und das Kalb, Skizzen aus dem literarischen Leben hinweisen möchte. Es ist dies eine eher unbekannte, für einen Intellektuellen jedoch ungemein erhellende Beschreibung des sogenannten sowjetischen Tauwetters von 1953 bis 1964 , als es plötzlich möglich war, im Rahmen der Zeitschrift Nowy Mir unter seinem Chefredakteur Alexander Twardowski über den Stalinismus und seine Mordmaschinerie zu schreiben. Im Zentrum des Buches stehen dabei die Erfahrungen des Autors mit seinen Kolleginnen und Kollegen, die sich ihm, solange er der Liebling der Partei und berühmt war, unterwürfig zuwendeten, um sich, sobald die Gnade nach der neuerlichen Unterdrückung der Meinungsfreiheit ab 1970 von ihm abgezogen wurde, opportunistisch von ihm abzuwenden und ihn wie einen Aussätzigen zu behandeln.
Wenn man dieses Buch gelesen hat, wundert man sich über nichts mehr, was sich zwischen Schriftstellern, Künstlern und Journalisten an menschlicher Niederträchtigkeit ereignen kann. Für die meisten nämlich, deren Beruf darin besteht, als säkulare Prediger die Priester der alten Religionen, darunter auch die Jesuiten meiner Jugend, zu ersetzen, ist es in Wahrheit das höchste Ziel, sich selbst zu erhöhen, sich in Gestalt ihrer tunlichst hohen Eigenmarke gewinnbringend zu verkaufen, meist aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend in die Elite der Privilegierten aufzusteigen und sich gegen einen drohenden Abstieg mit allen Mitteln der Denunziation zu wehren.
Obgleich die Zeiten, die Alexander Solschenizyn schildert, vorbei sind, haben sich die Mechanismen des intellektuellen Geschäfts nicht wesentlich geändert. So bemängelt Francis Fukuyama in seinem neuesten Buch Der Liberalismus und seine Feinde, dass die Medien im Kampf gegen das Internet und ihren eigenen Bedeutungsverlust inklusive Niedergang des Inseratengeschäfts die ursprüngliche Aufgabe des Journalismus aus den Augen verloren haben, die Leserschaft so aufzuklären, dass sie in die Lage versetzt wird, sich durch Selbstdenken ein Urteil zu bilden. Stattdessen herrscht die Dramaturgie der Übertreibung, der Hysterisierung, der Angstmache und des Anbiederungszwangs nach Postings, Likes, Klicks und einem aufgrund von hohem Wasserverbrauch für die Toiletten nachweisbaren dumpfen Fernsehkonsum.
Ganz in die ähnliche Richtung gehen die Argumente der beiden Autoren Richard David Precht und Harald Welzer, die in ihrem Buch Die Vierte Gewalt, Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. den Medien schlicht und einfach vorwerfen, sich neben den klassischen staatlichen Einrichtungen Legislative, Exekutive und Justiz als neue bestimmende Macht etabliert zu haben und den leider chronisch marketingverseuchten Politikern nicht nur Themen vorzugeben, sondern auch die Art und Weise, wie sie zu lösen seien.
Besonders bedeutsam an diesem Buch ist die Tatsache, dass der Autor Richard David Precht, selbst von den Medien gleichsam als Deutscher Hofphilosoph zur Marke erhoben, sich nunmehr radikal gegen diese wendet und damit an die Zeiten der französischen Revolution erinnert, an deren Beginn vor allem nachdenkliche Adelige bzw. von ihnen alimentierte bürgerliche Philosophen standen, die unfreiwillig den Boden für die Blutorgie des Pöbels bereitete, der ein Robespierre das moralistische Mäntelchen umhängte. Das Buch ist aber auch deshalb interessant, weil es die These eines durch die Medien herbeigeführten Staatsstreichs keineswegs abwegig erscheinen lässt.
Genug für diese Woche!
Mit herzlichen und kollegialen Grüßen Alois
Fortsetzung folgt
Literatur:
Alexander Solschenizyn: Die Eiche und das Kalb. Skizzen aus dem literarischen Leben. Luchterhand 1975
Francis Fukuyama: Der Liberalismus und seine Feinde. Hoffmann und Campe 2022
Richard David Precht / Harald Welzer: Die Vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. S. Fischer 2022
Erster Teil des Essays:
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Ich bin überzeugt, lieber Alois, dass dein Geisteszustand ziemlich in Ordnung ist. Wobei ich aber leise Zweifel hege, ob dies durch „gründliche Selbsterforschung“ zu konstatieren ist. Ich meine, welche Tests hast du da angewandt? Piccolo scherzo, scusa.
Nun, da dieser Essay fortgeführt wird, hat es nicht viel Sinn, schon jetzt darauf zu antworten.
(Hoffe mal, es wird kein Filibuster-Essay)
Nur noch soviel für den Moment:
Es ist legal von morgens um 6 bis um 20 Uhr Abends, 6 Tage in der Woche, mit dem Kangohammer die Nachbarschaft zu quälen. Braucht man hier die Moral, um es nicht zu tun? Oder nur ein wenig Anstand, ein bisschen Einfühlungsvermögen und auch das Quentchen Grips, die Konsequenzen abzuschätzen. Nämlich: Nachbarschafts-Krieg.
Ich bleibe dabei: Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim.
In einer liberalen Demokratie haben sich die Machthabenden für ihre Macht zu rechtfertigen.
Das mag einem Herrn Orban schnuppe sein, und jenen, die ihm hierzulande nacheifern ebenso.
Mit kollegialen Grüßen
Volle Zustimmung zu den beiden ersten Teilen dieses Fortsetzungsessays! Klarer und griffiger kann man es kaum sagen. Der laufende parlamentarische Untersuchungsausschuss entlarvt schon durch seinen Titel den Existenzgrund dieses neueren ‚Minderheiten’rechts: Es ist unmittelbar nach seiner Erfindung zu einer Medienorgel der Opposition, also des jeweiligen Wahlverlierers, der irreführend als „Minderheit“ bezeichnet wird, degeneriert und reiht sich damit ein in andere parlamentarische ‚Minderheiten’rechte, die durch permanenten Ge- und Missbrauch der Inflation anheimgefallen sind und damit nicht unwesentlich zur Entwertung unseres leider schon längst nicht mehr ‚Hohen‘ Hauses beitragen. Dazu vielleicht einmal mehr in diesem Blog.