Corvus Kowenzl
Klimt und Klima
Eine Entfremdung

Über die Wirkung von Atombomben nachzudenken lohnt sich in jedem Fall. Zudem ist es gerade wieder einmal aktueller denn je. Es wird empfohlen, die Übung jeden Morgen zu machen, während man seinen Kaffee schlürft.

Es gibt kaum eine zielführendere Vorgehensweise, um Zweifel am Narrativ des Fortschritts zu wecken. Ist der Zweifel erst einmal gerufen, geht es unmittelbar darauf um Zehntelsekunden, die Zeitspanne eben, die es braucht, um die dafür benötigten Synapsen miteinander zu den vertrauten elektrischen Schaltkreisen der Vorurteile oder der Verdrängung zu verbinden. Man braucht sich dafür aber nicht zu schämen. Das ist so normal wie Essen und Trinken.

Anschließend wird es interessant. Es bieten sich mehrere Möglichkeiten. Man kann, erstens, den erwähnten Schaltkreis einfach in Endlosschleife weiterlaufen lassen, im Vertrauen darauf, dass das notorisch ablenkbare Gehirn sowieso bald einen anderen Gegenstand aus seinem Kabelgewirr an die Oberfläche des Bewusstseins zaubert. Zweitens kann man den Schaltkreis unterbrechen, indem man sich sagt, es ist gottverdammt nochmal nicht mein Job, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, außerdem muss ich an die Arbeit.

Als dritte, weniger angenehme Methode aber kann man den Zweifel ganz einfach zulassen. Also was jetzt? fragt man sich. Da gibt es zum einen die Atombomben, andererseits die Atomkraftwerke, die so insgesamt über die Zeiten gerechnet halbwegs verlässlich arbeiten. Da gibt es zum einen die Wasserstoff-Bombe, andererseits aber . . . äh. . . nein, also, an der kontrollierten Nutzung der Kernfusion arbeiten wir noch, aber das wird schon werden, irgendwann! Und außerdem, so flüstert es einem ins Ohr, weiß man das doch alles schon längst, das ist nur noch trivial. He Alter! Find dich damit ab! So ist es halt . . . jetzt aber Schluss mit den Gedankenspielen. Wie ich schon sagte: An die Arbeit. Und wieder 1:0 für den Schaltkreis der Verdrängung!

Doch zumindest bei manchen scheint da im erwähnten Circuit bereits über Jahre eine Art unerkannter Blindstrom mitgelaufen zu sein, der ein anderes Signal enthält – eben das des Zweifels. Wer aber hätte dem Kunstbegeisterten ins Wort fallen wollen, der einem in beredten Worten eine Villa von Palladio erklärt? Wer dem Architekten, der in der Kuppel des Brunelleschi ins Schwärmen gerät? Wer dem Künstler, der den David von Donatello bespricht? Und mit welchen Worten hätte man sich ausdrücken sollen? Wäre nicht alles falsch und alles verkehrt erschienen, was man gesagt hätte? Das alles noch dazu in jenen Hurra-Zeiten, als die Währungen endlich die Golddeckung abgeschüttelt hatten, und in denen man bereits verdächtig wurde, wenn man nicht schnell genug Atem geholt hatte, um das nächste Hurra! Hinaus zu brüllen. . . Man musste warten, bis sich die Zeiten wenden.

Was diese dann auch ebenso absehbar wie verlässlich taten.

Nun, kein Grund zur Aufregung, darauf war man also schon seit Jahren gefasst. Überrascht stellt man allerdings fest, dass sich mit den gewendeten Zeiten eine Entfremdung von dem einstellt, das man bisher mit völliger Selbstverständlichkeit als das eigene kulturelle Erbe und als zu sich gehörig empfunden hat – ein Entfremden gegenüber all den Tempelruinen und Basiliken, dieser streberischen Gotik, klotzigen Renaissance und dem notorischen Barock, gegenüber all diesen so bahnbrechenden Erfindungen und Entdeckungen: Da hat doch irgend etwas in dem Ganzen gefehlt! Aber was nur? Man kriegt dieses Gefühl des Defizits nicht mehr los, es ist, als sagte man innerlich zu all dem nur noch Na, das ist ja schön und gut, aber. . . jedoch was dieses Aber genau sein sollte, das ahnt man mehr als dass man es auszudrücken imstande wäre.

Was mich betrifft, kann ich die Symbolik der Aktivisten von Last Generation durchaus nachvollziehen. Indem sie sich gegen Kunstwerke wenden, vermittels derer sich eine Zivilisation allzu lange in unverdünnter Selbstgefälligkeit widergespiegelt sah, drücken sie eine grundsätzliche Entwertung all dessen aus, was eben diese Zivilisation hervorbrachte, da sie es einfach nicht zu schaffen scheint, die bisherigen Denk- und Machtschemata aufzubrechen und sich zu etwas wirklich Neuem zu wandeln.

Klimt und Klima scheinen einander gegenseitig auszuschließen. Leider ist auch hier wieder einmal der Krieg der Vater aller Dinge, weil’s anders halt nicht geht. Es ließe sich auch noch einiges zur – ich sage es gleich: strohdoofen – Debatte sagen, dass die Proteste doch bitte konstruktiv sein sollten! Aber davon ein andermal.

Könnte es sein, dass die Schwierigkeit, das Aber in unserer Geschichte zu erkunden, an der Art liegt, in der sie ständig abgeleiert wird? In unzähligen Büchern und Filmen, hineingetrichtert in die Köpfe seit frühester Kindheit? Was für ein grob fahrlässiger Umgang mit dieser potentiell giftigen Substanz! Wer könnte zu welchen Zwecken ein Interesse daran haben?

Detail am Rande: Gerade die Renaissance wird besonders gerne in zahllosen Schriften, Spielfilmen und Dokus als die große heroische Phase erzählt, in der sich die Menschen des Abendlandes von den angeblich so drückenden Zwängen des Mittelalters befreiten und radikal Neues wagten. Na also, da habt ihr es! Kann doch so schwierig nicht sein! Nun seid mal so richtig mutig. Doch wenn man sich das allseits grassierende Biedermeier, all die institutionalisierte Zaghaftigkeit und ständige Angst, auch nur einen Euro falsch zu investieren, anschaut, dann darf man daran zweifeln, dass eine Renaissance erneut gelingen wird. Außerdem haben wir nicht mehr so viel Zeit wie weiland die Heroen von damals.

Man sollte doch endlich versuchen, vom Zweifel zu reden. So glaubt man wenigstens. Doch während man ungelenk die ersten Sätze zusammenstellt (man hatte ja immerhin kaum Gelegenheit dazu), stellt man fest, dass sie auf wenig Gegenliebe stoßen. Ja, Gegenliebe ist hier das richtige Wort, denn bei aller Plumpheit im Ausdruck ist die Wende der Zeiten zu unübersehbar geworden, um noch weggeredet zu werden, und sie werden sich noch deutlich weiter wenden.

Am Verständnis kann es also kaum noch liegen, daher eher an der Lust und an der Liebe. Man stellt eine Art hartnäckiges Durchhalten-Wollen fest, währenddessen sich die zunehmende Dysfunktionalität sämtlicher Dinge und Bereiche und der zunehmend gereizten und zunehmend dysfunktionalen Menschen entfaltet. Und wenn man vom Zweifel spricht, vernimmt man: Ich will es nicht hören, ich muss mich jetzt ganz auf das da konzentrieren, wenigstens das da will ich gottverdammt noch hinbringen!

Dagegen kann man leider nichts machen, zumindest auf absehbare Zeit. Denn einmal so richtig gewendet, lassen sich die Zeiten nicht mehr mit ein bisschen Hoh-ruck! wieder auf die Beine stellen, um dann so weiter zu laufen wie früher. Nein, dieses Mal bleiben sie hilflos am Rücken liegen und suchen zappelnd nach Halt, wo nur Luft ist, wie der riesenhafte Käfer Kafkas, dessen Ende man kennt.

Und während alle über dieselben Dinge klagen, geht trotzdem alles weiter wie bisher, ganz einfach weil die Anerkennung der nackten Wirklichkeit einen mit untragbaren Folgerungen und Forderungen konfrontieren würde. Doch darum kümmern sich die gewendeten Zeiten nicht. Und sie sehen bereits die nächste Generation heranwachsen, die die Grenzen des Verbotenen ziemlich anders ziehen wird. Deshalb lohnt es sich vielleicht doch, über so etwas Triviales wie Atombomben und das Janus-Gesicht des sogenannten Fortschritts nachzudenken.

Und endlich stellt man ernüchtert die vollkommene Machtlosigkeit der Menschheit gegenüber sich selbst fest. Wir sind uns selbst vollständig ausgeliefert.

Ab da wird alles ganz einfach. All die Zweifel, die einen über so viele Jahre begleiteten, lösen sich auf in wenigstens dieser einen Gewissheit, und damit verwandelt sich auch das eigene Leben zu einer großen Realsatire. Das hat zumindest einen gewissen zynischen Unterhaltungswert. Und mehr zu erhoffen, wäre wohl vermessen.


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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rainer Haselberger

    Wie der deutsche Bundeskanzler angemerkt hat, hat Putin eine „Zeitenwende“ eingeleitet. Fossile Brennstoffe sind endlich so teuer, wie sie schon längst hätten sein müssen, um den alternativen Energieformen zum Durchbruch zu verhelfen.
    Oder wie die Tante Jolesch selig schon gesagt hat: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.“

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