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Nicole Staudenherz
Keine Panik vor "Kulturfleisch"!
2. Teil:
Wird der Bauernstand ruiniert?
Analyse

1.Teil: https://schoepfblog.at/nicole-staudenherz-kulturfleisch/

Und was ist mit den Bauern? Werden sie bald alle arbeitslos? Und wir armen Normalbürger in unserer Ernährung abhängig von Großkonzernen und ihren Geheimpatenten? 

Nun, da kommt es in erster Linie darauf an, ob rechtzeitig die Weichen für eine nachhaltige, gerecht organisierte Landwirtschaft gestellt werden.

Zunächst sollte die Entwicklung von Kulturfleisch-Technologien nicht in privaten Unternehmen, sondern vermehrt an öffentlichen Forschungseinrichtungen erfolgen, wie es in manchen Ländern schon passiert. Die Ergebnisse könnten dann in Form von Open-Source-Lösungen zur Verfügung stehen.

Wer ein Herz für bäuerliche Familienbetriebe hat, sollte jedenfalls schon hier und jetzt bevorzugt Lebensmittel aus Direktvermarktung kaufen oder – noch besser – den Höfen durch die Bestellung von Gemüsekisten und ähnlichen Angeboten Planungssicherheit und einen garantierten Absatz der Ernte ermöglichen. 

Wer die klein strukturierte Landwirtschaft schätzt, sollte sich auf politischer Ebene dafür einsetzen, dass Subventionen endlich sinnvoll verteilt werden, und zwar vorwiegend an jene Betriebe, die naturschonend wirtschaften, verstärkt auf Pflanzenanbau setzen und, sofern sie noch Tiere halten, diesen ein möglichst artgemäßes Leben bieten.

Fleischverliebtes Weiterwurschteln wie bisher ist keine Option mehr: Die wissenschaftliche Evidenz, dass die Landwirtschaft der Zukunft schon allein aufgrund der planetaren Grenzen vor allem auf Pflanzen setzen muss, ist überwältigend. 

Auch wenn manche es nicht lassen können, die ökologischen Folgen der Tierhaltungs-Gigantomanie schönzurechnen: Unser Planet und seine bereits jetzt sehr angeschlagenen Ökosysteme brauchen dringend eine Landwirtschaft mit mehr Obst, Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchten und deutlich weniger Tierhaltung.

Der positive Nebeneffekt: Da Pflanzennahrung in Sachen Flächeneffizienz der Tierindustrie und ihrer Entourage aus abgebrannten Regenwäldern, pestizidgetränkten Futterfeldern und überdüngten Weideflächen deutlich überlegen ist, müssen wir auch im Alpenland nicht mehr jedes Fleckchen Grünland in steilster Hanglage nutzen, sondern können Ausgleichsflächen für echte Biodiversität schaffen (und die Bauern für die Landschaftspflege entsprechend honorieren, statt Steuergelder in Mastfabriken und Anbindeställen zu versenken).


Craft Meat, gewachsen und veredelt in Tirol

Gerade die Landwirtschaft leidet massiv unter den Folgen der (von ihr selbst mitverursachten) Klimaerhitzung: Dürren, Starkregen und andere Wetterextreme werden sich in Zukunft noch stärker bemerkbar machen und die Versorgungssicherheit gefährden. Da können wir es uns schlichtweg nicht mehr leisten, wie bisher fast die Hälfte der weltweiten Ackerflächen für den Anbau von Tierfutter zu vergeuden, zumal auch das sparsamste Tier mindestens drei Kilo Futter benötigt, um ein Kilo Fleisch anzusetzen.

Angesichts all dieser Problematiken sind Landwirte durchaus bereit zur Veränderung, wie eine groß angelegte internationale Befragung aufzeigt. Allerdings besteht man in der Branche zu Recht darauf, dass es für einen solchen Wandel Unterstützung braucht: Ohne entsprechende Fördermittel keine Betriebsumstellung, ohne eine veränderungswillige Bevölkerung keine Ernährungswende. Auch der Lebensmittelhandel, die Gastronomie und die Gemeinschaftsverpflegung sind entsprechend in die Pflicht zu nehmen, damit der Speiseplan der Zukunft für alle Menschen einfach, kostensparend und genussvoll umzusetzen ist.

Pläne und Konzepte für eine solche Wende gibt es zuhauf. Kulturfleisch kann in diesem Prozess eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Wenn, dann ist dessen Herstellung jedenfalls nicht zwangsläufig in einem Konzernlabor angesiedelt, sondern kann nach erfolgter Zulassung genauso gut in einer Art regionaler Brauerei stattfinden. Craft Meat, gewachsen und veredelt in Tirol.
Warum nicht?


Schreckgespenst Kälberserum

Das ultimative Killer-Argument, das von den Agrarlobbys gerne medienwirksam ins Treffen geführt wird, ist der Einsatz von Fötalem Kälberserum (FKS bzw. engl. FBS) als Nährlösung in der Herstellung von Kulturfleisch. Hierbei handelt es sich um das Blut ungeborener Kälber, dessen Gewinnung unfassbar grausam ist: Eine schwangere Kuh wird geschlachtet und dem Fötus wird ohne Betäubung eine Nadel direkt ins Herz gestochen. Dann wird so lange Blut abgesaugt, bis das Kalb stirbt. Aus Tierschutzsicht sind solche Praktiken selbstredend völlig inakzeptabel.

Die gute Nachricht: Es gibt pflanzliche Alternativen. Allein in der FCS-free Database, einer kostenlosen öffentlichen Datenbank, sind bisher etwa 900 geeignete Nährmedien beschrieben, von denen über 400 völlig frei von tierischen Komponenten sind. Diese werden sich in der Kulturfleisch-Herstellung schon rein aus Kostengründen etablieren. Durch neue Verfahren können die kultivierten Zellen zudem ihre eigenen Wachstumsfaktoren produzieren, wodurch die Herstellungskosten um bis zu 90% gesenkt werden könnten.


Noch mehr SciFi gefällig? 

Forschenden in Südkorea ist es kürzlich gelungen, Fett- und Muskelzellen von Rindern im Inneren von Reiskörnern zu züchten, und zwar zur Gänze ohne Gentechnik und mit dem Reis selbst als Nährmedium. Das Ergebnis: ein sehr proteinreiches Korn, das kulinarisch, so die Wissenschaftler, mit einer Mischung aus der vertrauten Nussigkeit von Reis und einem subtilen Umami-Geschmack überzeuge. Der Kilopreis im Falle einer Markteinführung wird auf etwa 2,5 US-Dollar geschätzt, also ein Bruchteil dessen, was Rindfleisch derzeit kostet.

Dennoch zeigen viehwirtschaftlich interessierte Kreise nach wie vor gerne mit moralisch erhobenem Zeigefinger auf Kulturfleisch-Fans und werfen ihnen den Einsatz von FKS vor.

Was dabei gerne vergessen wird: FKS kommt nur marginal in den Zellfleisch-Startups, dafür aber umso häufiger in Pharmaindustrie und Forschung zum Einsatz. Der weltweite Markt für fötales Kälberserum wurde im Jahr 2022 auf 1,57 Mrd. USD geschätzt und wird voraussichtlich von 2023 bis 2030 durchschnittlich pro Jahr 14,1% wachsen. Wo bleibt da die Entrüstung der bäuerlichen Standesvertretungen?


Kulturfleisch als Stromfresser?

Ja, und dann noch die viele Energie, die so eine Fleischbrauerei braucht! In der Hinsicht kommt es wie in allen anderen Bereichen auf den Energiemix an. Kulturfleisch mit Kohlestrom zu erzeugen macht ökologisch wenig Sinn und erscheint angesichts des weltweiten Booms der Erneuerbaren als Zukunftsszenario wenig realistisch.

Berechnungen zufolge könnte der Klimafußabdruck von Kulturfleisch auf 2,8 kg CO2eq/kg sinken, wenn in der gesamten Lieferkette erneuerbare Energien eingesetzt werden. Selbst im Vergleich zu sehr optimistischen Kalkulationen für die herkömmliche Fleischproduktion ist dieser CO2-Fußabdruck um bis zu 92% geringer als jener von Rindfleisch, um 44% geringer als der von Schweinefleisch und etwa genauso groß wie der von Hühnerfleisch.

Zusätzlich könnte Kulturfleisch in folgenden Bereichen punkten: Es benötigt bei der Herstellung 64 bis 90% weniger Land und verursacht 20 bis 94% weniger Luftverschmutzung, 69 bis 98% weniger Versauerung der Böden und 75 bis 99% weniger Eutrophierung der Meere.

Anzumerken ist, dass es auch weniger optimistische Berechnungen gibt. Das hängt neben der Energiequelle auch von den zugrunde gelegten Produktionsprozessen ab: Erfolgt die Herstellung nach biopharmazeutischen Standards, also beispielsweise mit energieeintensiven Reinigungsschritten, dann ist der Klimafußabdruck äußerst unvorteilhaft.

Andere Szenarien hingegen inkludieren keine ultrahochreinen Inhaltsstoffe in ihre Berechnungen, sondern Inputfaktoren, wie sie in der heutigen Lebensmittelindustrie üblich sind. Dadurch fällt der mögliche Energieverbrauch deutlich geringer aus.

Dennoch sollte klar sein, dass diese neue Technologie nicht dazu dienen kann, den Menschen in privilegierten Weltgegenden weiterhin einen exzessiven Fleischkonsum zu ermöglichen.

3. Teil: Wie gefährlich ist Kulturfleisch für die menschliche Gesundheit?

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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

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