Werner Schandor
Die autoritäre Seite des Gendersterns
Analyse

Dass Niederösterreich und mehrere deutsche Bundesländer ihren Verwaltungen jetzt verbieten, Gendersonderzeichen in der Kommunikation zu verwenden, sorgt bei manchen für einen Aufschrei. Beklagt wird unter anderem die vermeintliche Intoleranz der Landesregierungen. Dabei sind Genderbefürworter selbst paternalistisch eingestellt, wie eine politikwissenschaftliche Studie aus Freiburg ergab.

Je nach Umfrage lehnen zwei Drittel bis drei Viertel der Menschen in Österreich und Deutschland die Gendersprache mit Sonderzeichen oder Sprechpausen ab. Von den Genderbefürwortern werden die Gendergegner gerne als reaktionär und rechtskonservativ dargestellt. 

Der Freiburger Politikwissenschaftler Sebastian Jäckle hat die Zusammenhänge zwischen politischen Präferenzen und der Einstellung zur Gendersprache untersucht und kam dabei zu einem überraschenden Ergebnis: Gendern hat weniger mit Parteivorlieben als vielmehr mit einer autoritären Einstellung zu tun. 

Datenbasis für seine 2022 veröffentlichte Studie Per aspera ad astra bildete eine Online-Befragung, an der über 10.000 Menschen in Deutschland teilnahmen.

Das Studiendesign hatte eine Besonderheit: Weil direkte Fragen zum Gendern zu verfälschten Ergebnissen führen können, wurde die Befragung als Online-Umfrage zu politischen Einstellungen unterschiedlicher Generationen ausgegeben. Und die Probanden mussten wählen, ob sie eine mit Stern gegenderte Version des Fragebogens oder eine konventionelle, ungegenderte Version ausfüllen wollten. 

Sie wussten nicht, dass dies bereits Teil der Untersuchung war. Auf diese Weise konnte die faktische Einstellung gegenüber der Gendersprache weitgehend unverfälscht erhoben werden.

Wenig überraschend hat sich eine deutliche Mehrheit für die konventionelle Sprachform entschieden:

• Gut 75 % der Studienteilnehmer füllten den konventionellen, ungegenderten Fragebogen aus,
• 21 % wählten den mit Stern gegenderten Fragebogen,
• knapp 4 % haben diese Hürde und damit die Teilnahme verweigert.

Es zeigte sich, dass in jeder der untersuchten Kategorien – Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Wohnort (Stadt/Land) – die konventionelle Sprache eindeutig bevorzugt wird. 

Bei den politischen Vorlieben ist erkennbar, dass Wähler aus dem konservativen und rechten Parteienspektrum (CDU/CSU, FDP, AfD) noch seltener als Wähler aus dem GAL-Lager (Grüne, Alternative, Linke, SPD) die gegenderte Version des Fragebogens wählten. Aber, so eine Erkenntnis aus dieser Studie: Links zu wählen, heißt nicht automatisch, gegenderte Texte freiwillig zu lesen. Und umgekehrt lässt sich keine eindeutige Korrelation zwischen Ablehnung der Genderform und konservativer Einstellung der Probanden nachweisen.

Will heißen: Gendergegner sind nicht zwingend rechts und reaktionär, und wer die Gendersprache ablehnt, hat nicht automatisch etwas gegen das politische Ziel Gleichberechtigung oder gegen die Anerkennung nonbinärer Geschlechtsidentitäten. In dieser Beziehung war entgegen der ursprünglichen Annahme keine Kausalität nachweisbar.

Dieser Befund hat sich jüngst in einer anderen, groß angelegten sozialwissenschaftlichen Studie (Triggerpunkte, 2023) bestätigt: In der deutschen Bevölkerung herrscht überraschend breiter Konsens, was die Anerkennung von Transpersonen betrifft (Zustimmung 84 %) und die rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Lebensentwürfen (Zustimmung 81 %). Unabhängig davon ist die Gendersprache ein Triggerpunkt, der deutliche Ablehnung hervorruft.

Wer also greift freiwillig zu gegenderten Texten?

Der überraschende Zusammenhang, der aus den Daten der Onlinebefragung von Sebastian Jäckle errechnet werden konnte, war folgender: Die Gendervariante des Freiburger Fragebogens wurde erst dann mit erhöhter Wahrscheinlichkeit von Personen aus dem Grün-Links-Spektrum gewählt, wenn diese autoritär eingestellt waren.

Während auch sehr links-ökologisch-alternative Personen, sofern diese staatliche Eingriffe ablehnen, so gut wie nie die Variante mit Genderstern wählen würden, erhöht sich deren Wahrscheinlichkeit, die geschlechtergerechte Version des Fragebogens anzuklicken, auf 70 % für Männer und 75 % für Frauen, sofern sie eine maximale Zustimmung zu staatlichen Eingriffen aufweisen, heißt es in der Zusammenfassung der Studie.

Mit anderen Worten: Eine autoritäre Grundhaltung begünstigt es, das Gendern gut zu finden.

Dass sich jetzt, wo dem Genderstern & Co. auf Verwaltungsebene vielfach ein Ende bereitet wird, dieselben Leute als Hüter der Sprachfreiheit aufspielen, die ihren Mitmenschen seit Jahren mit einer Vielzahl von immer neuen Genderleitfäden Vorschriften gemacht haben, darf einen nicht beeindrucken. Die überwiegende Mehrzahl der Beamten wird erleichtert sein, dass Klarheit geschaffen wird und man nicht mehr dem Meinungsdruck einer Minderheit ausgeliefert ist, die einen akademischen Soziolekt zum Sprachwandel aufbauschen will.

Denn Sprachwandel schaut anders aus, wie die Autoren der Triggerpunkte einmal mehr bestätigen: In der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen wurde die Gendersprache genauso mehrheitlich abgelehnt wie in allen anderen Alterskohorten. 

Angesichts dieser Ergebnisse ist nicht zu erwarten, dass sich durch den generationalen Wandel automatisch ein verändertes sprachliches Bewusstsein durchsetzt, so die Soziologen. Auch unter den befragten Frauen schreibt nur knapp ein Drittel der Gendersprache eine wichtige Bedeutung zu, die Mehrheit lehnt sie ab.

Selbst Frauen in Wissensberufen sehen die Rolle der gendergerechten Sprache zumindest in unserer Item-Formulierung mehrheitlich skeptisch. Und schließlich: Egal, ob man nach Bildung, Migrationshintergrund, Ost/West oder Stadt/Land unterscheidet, in keiner Gruppe findet sich eine Mehrheit, die die gendergerechte Sprache als wichtigen Beitrag für die Gleichstellung betrachtet.

Wird das politische Anliegen von Gleichberechtigung und Geschlechterdiversität Schaden nehmen, wenn man aufs Gendern verzichtet? – Sicher nicht! Auch das ist eine Erkenntnis aus der Studie Triggerpunkte: Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung ist offen und tolerant, und das ganz ohne Zwangsbeglückung durch Genderstern und -Doppelpunkt.


Literatur:

• Sebastian Jäckle: Per aspera ad astra. Eine politikwissenschaftliche Analyse der Akzeptanz des Gendersterns in der deutschen Bevölkerung auf Basis einer Online-Umfrage, in: Politische Vierteljahresschrift PVS, 63/3 (2022)
• Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Edition Suhrkamp: Berlin (2023)



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Werner Schandor

Werner Schandor ist Texter, Autor und Hochschuldozent in Graz. Er studierte Germanistik und Sozialpädagogik an der Uni Graz und ist seit 1995 in der PR tätig. Er hat Lehraufträge am Department „Medien & Design“ der FH Joanneum sowie am Institut für Germanistik der Uni Graz. 2020 erschien sein Buch „Wie ich ein schlechter Buddhist wurde. Essays, Glossen und Polemiken“ in der Edition Keiper. Weitere Infos: www.textbox.at

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