Print Friendly, PDF & Email

Nicole Staudenherz
Verhasstes Friedenssymbol
Von Taubenschlägen, Rückschlägen und tauben Ohren
Essay

Stellen wir uns einige Schrecksekunden lang vor, es gäbe in Innsbruck eine große Streunerkatzen-Population, die in der Innenstadt haust, sich mehr schlecht als recht von Abfällen ernährt und unkontrolliert Nachkommen in die Welt setzt, von denen die allermeisten das erste Lebensjahr nicht überstehen.

Dann fügen wir diesem hypothetischen Szenario noch folgendes hinzu: ein kommunales Fütterungsverbot, eine ins Nirgendwo verlegte Auffangstation und ein amtlich geduldetes Aussetzen hungernder Kätzchen. Schließlich malen wir uns in den düstersten Farben aus, wie die Stadtführung mauert und abwiegelt und vor allem durch eines glänzt: durch Untätigkeit.

Gemessen am durchschnittlichen Tierschutzempfinden der Bevölkerung wäre eine solche Situation sicherlich für viele Menschen untragbar. Ein Skandal und ein Imageschaden für den Tourismus-Hotspot Innsbruck wäre es allemal.

Das Tragische daran: Die Realität ist gar nicht einmal so weit von diesem Schreckgespenst entfernt. Nur mit dem kleinen, aber entscheidenden Unterschied, dass es sich bei den fraglichen Streunertieren um Haustauben handelt und nicht um Hauskatzen. Ihr Pech: Sie gelten nicht als putzige Kuscheltiere und gehören somit auch nicht zum exklusiven Kreis der Kreaturen, die der Mensch nach eigenem Belieben zu seinen Freunden auserkoren hat. Im Gegenteil: Tauben zu verabscheuen ist leider sehr salonfähig.


Ethische Verantwortung

Welche Willkür! Die schillernden Federwesen erfüllen nämlich alle Kriterien für eine ethische Berücksichtigung: Sie sind empfindungsfähig, hochintelligent und noch dazu von uns Menschen gezüchtet. Somit können wir uns nicht mit dem Wort „Wildtier“ aus der Verantwortung ziehen und sie unversorgt dem Wilden Westen der urbanen Landschaften überlassen.

Ein kurzer Blick zurück in die Geschichte einer verkannten Art: Columba livia domestica, die Haustaube, stammt von der Felsentaube ab. Die Forschung deutet darauf hin, dass der Vogel schon vor etwa 10.000 Jahren domestiziert wurde. Auf über 5.000 Jahre alten mesopotamischen Keilschrift-Tafeln werden Haustauben jedenfalls explizit erwähnt.

Über viele Epochen hinweg machte sich der Mensch die besonderen Eigenschaften der Tauben zunutze: ihre Ortstreue, Intelligenz und Orientierungsfähigkeit für die Taubenpost. Ihre Fruchtbarkeit, Robustheit und Anspruchslosigkeit für die Gewinnung von Fleisch und Eiern.

Auch als Friedenssymbol durfte sie stets herhalten, wobei sie ironischerweise gerade in Kriegszeiten gerne als Überbringerin geheimer Nachrichten genutzt wurde.


Nicht vom Himmel gefallen

Die Schwärme, die heute in Europas Innenstädten für Unmut sorgen, sind historisch betrachtet also nicht einfach vom Himmel gefallen. Im Gegenteil: Sie sind die ausgesetzten, verwahrlosten und herumstreunenden Nachkommen ehemaliger „Nutz“-Tiere, die sich selbst überlassen wurden, als der Mensch attraktivere Nahrung und schnellere Methoden der Nachrichtenübermittlung fand.

Während kleinere Taubenschwärme einst zum typischen Stadtbild gehörten, sind die Stadttauben-Populationen in Europas Bombenruinen nach dem Zweiten Weltkrieg und später in der wieder erstandenen Wohlstandsgesellschaft geradezu explodiert.

Diese Schwärme vermischen sich laufend mit feierlich ausgesetzten weißen Hochzeitstauben und darüber hinaus mit gestrandeten Zuchttauben, wie sie auch heute noch im so genannten Taubensport zur menschlichen Belustigung auf Langstreckenflüge geschickt werden.

Die weit verbreiteten Vergrämungs-Maßnahmen wie Metallnadeln oder Netze sind völlig ungeeignet, das Problem auf einer ursächlichen Ebene anzugehen. Zudem kommt es immer wieder vor, dass Tiere sich an diesen Vorrichtungen verletzen oder sich darin verfangen und in der Folge qualvoll sterben.

Der ebenso übliche Einsatz von Gift und Raubvögeln ist aus Tierschutzsicht ohnehin indiskutabel.

All das Leid und all der Aufwand könnten elegant vermieden werden, wenn es ausreichend professionell betreute Taubenschläge gäbe. Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist genauer betrachtet langjährig erprobte Best Practice im Umgang mit Stadttauben.

Augsburg gilt als Pionierstadt beim tierfreundlichen Tauben-Management, aber auch viele andere Gemeinden setzen mittlerweile auf das Erfolgsmodell Taubenschlag.


Tierfreundliches Taubenmanagment

Denn nur so ist eine tierschutzkonforme Populationskontrolle möglich: Stehen ausreichend Nistplätze innerhalb des Taubenschlags zur Verfügung, dann können die mehrmals pro Jahr abgelegten Eier durch Gips-Attrappen ersetzt werden.

Somit wird die unkontrollierte Vermehrung gestoppt. Schätzungen zufolge reduziert sich die Population mithilfe dieser einfachen Maßnahme mittelfristig um etwa ein Drittel. Zugleich erhalten die Tiere artgerechtes Futter und medizinische Versorgung. Die Verbreitung von Krankheiten und Parasiten wird dadurch eingedämmt.

Die Kosten sind überschaubar und insgesamt eher als Investition in innerstädtische Sauberkeit und Harmonie zu bewerten. Denn dort, wo es Taubenschläge gibt, reduziert sich auch die Taubenkot-Verschmutzung an den Gebäuden. Reinigungs- und Sanierungskosten können eingespart werden. Dies zeigen die langjährigen Erfahrungswerte vieler Städte.


Innsbrucker Irrwege

Worauf wartet Innsbruck also noch? Nun, es gab ja bereits einen Taubenschlag im O-Dorf. Dieser hatte laut Aussagen der Anrainer tatsächlich zu einer Milderung des Problems geführt, war allerdings von Anfang an zu klein dimensioniert gewesen.

Schließlich wurde aufgrund der Nähe zu einem Schulgebäude eine Verlegung beschlossen, jedoch an einen völlig ungeeigneten, weil viel zu weit entfernten Standort, der von den Tauben nicht angenommen wurde. Experten hatten vehement vor genau diesem vorhersehbaren und völlig unerwünschten Ergebnis gewarnt.

Nun sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt: Hungernde Tauben irren in den Wohnsiedlungen herum und suchen nach Nistplätzen auf Balkonen und Fenstersimsen.

In der Innenstadt herrscht ohnehin Laissez-Faire. Wer durch die Fußgängerzonen der Alpenmetropole spaziert, sieht allerorten Taubenschwärme, die von Touristen und Passanten fallen gelassene Eiswaffelbrösel und sonstige Abfälle aufpicken.

Eine Fütterung mit artgerechten Körnermischungen ist verboten, aber jeder Dahergelaufene darf ungestraft Junk-Food-Reste aufs Pflaster droppen und niemand stört sich daran.

Unterdessen wächst überall unkontrolliert in dunklen Nischen und Ecken die nächste Taubengeneration heran. Und die übernächste. Und die überübernächste. Wobei die durchschnittliche Mortalität bei Taubenküken 90% beträgt.

So viel Leid, so viel Schmerz, so viel Tod, unbemerkt und ignoriert von einer desinformierten Mehrheit.

Innsbruck, wann kommst du zur Vernunft?

Quellen:
Blechman, Andrew (2007): Pigeons – The Fascinating Saga Of The World’s most revered and reviled bird.
Wiese, Viktor (2016): Stadttauben im Griff: Populationsmanagement – artgerecht und erfolgreich.
nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/helfen/05991.html
Videos:
t1p.de/tauben01
t1p.de/tauben02
t1p.de/tauben03
t1p.de/tauben04

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ralph Holtfeuer

    Entschuldigt bitte meine nächsten Zeilen!
    Was kann man von den Grünen in Innsbruck schon erwarten. Bei denen hat es doch noch nie Hausverstand und Rücksicht auf Andersdenkende gegeben. Das beste Beispiel ist sicher der Umgang u.a. mit dem Taubenproblem oder mit Autofahrern.

Schreibe einen Kommentar