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Walter Plasil
Die Krone
Nachrichten aus dem Englischen Königshaus
Satire

Elisabeth war erregt. Ihr Gesicht ungewöhnlich gerötet. So kannte man sie nicht. Sie griff sich in den Mund und rief den um sie Herumstehenden zu: „Ich habe sie nicht verlangt, aber ihr habt sie mir vermacht!“

Dann wandte sie sich zu ihrem ältesten Sohn und schleuderte ihm die Krone in großem Bogen vor die Füße: „Da hast du sie, nimm sie oder lass es bleiben!“

Die Runde, die aus den engsten Familienmitgliedern bestand, war überrascht, wie Elisabeth die Krone so unvermittelt in die Hände bekommen und wie schnell und zielsicher sie sie von ihrem angestammten Platz abgehoben hatte. Nach einigen Schrecksekunden versuchten mehrere der Umstehenden, Elisabeth wieder zu beruhigen.

„Mutter,“ sagte die älteste Tochter, so sanft sie das nur konnte, „so sei doch nicht gleich so beleidigt! Du trägst sie halt schon lange. Darüber haben wir manchmal geredet. Das wird dir vielleicht jemand berichtet haben.“

Darauf Elisabeth: „Nein, da könnt ihr sagen was ihr wollt, ich weiß genau, dass sie mir von euch allen nicht mehr gegönnt wird. Deswegen werde ich sie auch nicht mehr benutzen. Ich werde sie nicht einmal mehr in den Mund nehmen.“

Da lag sie nun, die Krone, und keiner fand sich, um sie aufzuheben.

Da fühlte sich der jüngere Sohn bemüßigt, etwas beizutragen. Auch er wollte die Situation beruhigen und meinte, ihm sei die ganze Angelegenheit völlig egal. Er sei an dem Thema nicht interessiert und möchte lediglich festhalten, dass ihm jede Lösung, zu der man komme, recht sei. Das sollten sich die anderen Familienmitglieder ohne ihn ausmachen. Er wolle sich da  raushalten.

„Ja“, bemerkte er lapidar, „es ist Gold und hat einiges gekostet“. Aber deswegen in Erregung zu verfallen, das sei nicht seine Art. Und im Übrigen müsse er jetzt gehen, denn er habe einen Termin fürs Polospiel ausgemacht, womit er sich mit einem angedeuteten Gruß auf kurzem Weg absentierte.

Der älteste Sohn Elisabeths schien am meisten betroffen zu sein. Schließlich war er es, dem die Mutter die Krone hingeknallt hatte. Er dachte sich in dem Augenblick, dass sie eben schon sehr alt sei und vermutlich auch nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Seit ihr Mann verstorben war, häuften sich solche Ausbrüche, von denen die anderen gar nichts mitbekamen. Ihm die Krone vor die Füße zu werfen, das war eben einer davon.

Außerdem war die Krone ja nur ein Ding. Ob man sie trägt oder nicht, das sei ja immer noch die Sache des Besitzers, in dem Fall der Besitzerin. Und wenn die Besitzerin der Krone meine, sie davonschleudern zu müssen, sei das ganz allein ihre Sache. Die Familie habe die Mutter zwar immer unterstützt und ihr zugeraten, die Krone zu tragen, weil sie damit auch optisch wesentlich besser rüberkam. Aber wenn sie sie nicht mehr wolle, na dann eben nicht.

Ob sie wohl die Enkelkinder ohne ihre Krone überhaupt erkennen würden? Ob die zahlreichen Schwiegerkinder nicht die Nase rümpften, wenn die Stammmutter der Großfamilie ohne Krone daherkommen würde? Ob sich ihre Hunde nicht schrecken würden, wenn die Herrin ohne Krone erscheine? Das müsste man abwarten.

Dabei war es eigentlich gar nicht so, dass die Familie über Gebühr an den Kosten der Krone beteiligt war. Und überhaupt betrafen die Beträge ohnehin nur die manches Mal notwendigen Reparaturen. Ob da von den Familienmitgliedern überhaupt jemand etwas tatsächlich bezahlt hatte? Vielleicht der älteste Sohn, der hat möglicher Weise irgendwann eine Art Selbstbehalt überwiesen. Aber auch er konnte sich nicht mehr erinnern, ob das so war oder nicht.

Das war ja alles schon so lange her! Genau wisse das ohnehin niemand, bemerkte Anne. Wozu auch in der Vergangenheit graben? Nur wegen einer Krone? Deswegen einen riesigen Familienzwist auszutragen, das stehe wirklich nicht dafür.

Wie auch immer, zum Glück beruhigte sich die Stimmung wieder. Vielleicht auch deswegen, weil drei der fünf der von Elisabeth so geliebten Welsh Corgi Pembroke-Hunde zur Tür hereinwedelten, und die Krone war bald kein Thema mehr.

Erst als eines der zahlreichen Urenkelkinder Elisabeths den Raum betrat, wurde es wieder spannend. Dem Kind fiel sofort auf, dass die Urgroßmutter ohne Krone dastand. Und tatsächlich, Elisabeths Gesichtszüge wirkten plötzlich verfallen. Die Wangen wölbten sich nach innen und ein Faltenwerk hatte sich um ihren Mund gebildet, was ihrem Aussehen gar nicht gut tat. Sie schien plötzlich noch viel älter, als sie ohnehin schon war.

„Uroma, was ist mit dir“, so die kleine Mia. „Du machst mir Angst!“
„Na da siehst du jetzt, was du angerichtet hast“, sagte Anne vorwurfsvoll zu ihrer Mutter. „Du verschreckst mit deiner Aktion die Kinder!“

Fast augenblicklich sah man die Wandlung in Elisabeths Miene, der offenbar der kleine Eklat, den sie hier veranstaltet hatte, plötzlich leidtat. Sie streichelte der kleinen Mia übers Haar und wirkte wieder komplett gefasst, so wie man es von ihr, ob privat wie auch in der Öffentlichkeit, gewohnt war.

Jemand hatte inzwischen unbemerkt die Krone vom Boden aufgehoben und im Waschraum feinsäuberlich gereinigt und desinfiziert. Dann nahm sich Elisabeths ältester Sohn ein Herz, ging zu ihr und reichte sie ihr wortlos hin. Sie nahm sie ohne Protest, öffnete weit den Mund und klippte die goldene Zahnkrone wieder dort an, wo sie hingehörte.

Alles war nun wieder so, wie es zuvor gewesen war.

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Walter Plasil

Walter Plasil, Jahrgang 1946, geboren in München, aufgewachsen in Wien, seit 1971 in Innsbruck. Führte viele Jahre das INGENIEURBÜRO WALTER PLASIL für Technische Gebäudeausrüstung und Energieplanung und war als Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger tätig. Walter Plasil: „Ich war immer ein Vielschreiber und habe nun, nachdem meine bisherige Tätigkeit dem Ende zugeht, Zeit und Lust dazu, auch zu veröffentlichen. Mein neuer Beruf daher: „Literat.“

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Walter Plasil

    Hier liegt ein kleines Missverständnis anlässlich der Vergabe des Titels vor. Vom englischen Königshaus ist bei diesem Bericht wirklich nicht die Rede!
    Walter Plasil

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