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Wozu lange nachdenken?

In den 1980-Jahren hatte ich die Ehre und das Vergnügen, den heute als Tourismusvisionär bezeichneten Andreas Braun journalistisch zu begleiten. Das damals neu gegründete Reflexionsorgan „Saison Tirol“ bemühte sich, den Tourismus umfassend zu begreifen, Universitäten, Schriftsteller und Künstler miteinzubeziehen und somit nicht nur der Branche selbst, sondern auch allen anderen vor allem Tourismusabgabe Zahlenden den für Tirol so wichtigen Wirtschaftszweig zu erklären und attraktiv erscheinen zu lassen.

Nach dem unberechenbaren und ob seines legendären Gulaschsagers angefeindeten Braun, der nach seinem Abgang als Tirol Werbungs-Chef sein Können bei Swarovski eindrücklich unter Beweis stellte, folgte der brave Überlebenskünstler Margreiter, der weniger auf intellektuelle Zuspitzung, denn auf schön gedruckte Marketingsprüche vertraute. Dies führte denn auch paradigmatisch dazu, dass aus der „Saison Tirol“ zunehmend eine unlesbare Endlagerstätte für von ihrem Job zu sehr überzeugten Tourismusfunktionären wurde und systemlogisch vor eineinhalb Jahren sanft entschlief.

Den Eindruck des touristischen  Dämmerschlafs vermittelte auch der Landeshauptmann, als er im ORF-Interview dieser Tage daraufhin angesprochen wurde, mit seiner Forderung nach einer Bettenobergrenze nur einen Uralthut präsentiert zu haben. Glaubt Tirols wichtigste Branche wirklich, es nicht nötig zu haben, ernsthaft über sich selbst nachzudenken?

 

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Josef R. Steinbacher

    „Glaubt Tirols wichtigste Branche wirklich, es nicht nötig zu haben, ernsthaft über sich selbst nachzudenken?“
    Diese Frage ist weder an Herrn Braun noch an Herrn Margreiter zu stellen, weil sie nur vom Herrn Landeshauptmann zu beantworten ist. Der Tourismus ist seit den 60er Jahren ein Spielwiese der Politik. Egal ob ‚SAISON TIROL‘ oder ‚TIROL WERBUNG‘, die Agenda lag immer zur alleinigen Verfügung des jeweiligen Landeshauptmannes.
    Es kam ja nicht von ungefähr, dass vor dem Start kein verbindliches HANDBUCH LEBENSRAUM TIROL erarbeitet wurde und verbindliche und klare Richtlinien für die oben erwähnten Herren und ihre Aufgaben und Ziele definiert wurden. Das hätte ja die politische Einflußnahme erschwert oder sogar verhindert.
    Nach mehr als einem halben Jahrhundert liegen nun im 21. Jahrhundert die Interessen des Tourismus und des Lebensraumes Tirol deutlich erkennbar und teilweise weit auseinander. All die vergangenen Jahre waren die Gästesteigerungsraten das klare Ziel. Heute sind Steigerungen im besten Fall durch Qualitätsverbesserungen möglich, wobei Überschneidungen mit nichttouristischen, lokalen Interessen vermehrt auftreten. Da stößt das ‚NOCH MEHR‘ an die natürlichen Grenzen anderer Lebensräume. Das HANDBUCH ‚LEBENSRAUM TIROL‘ muß wohl spät aber doch klare und verbindliche Abgrenzung zwischen Tourismus und gleichberechtigtem Lebensraum deklarieren, ohne ständige Reibungspunkte und die damit vermeidbaren Kollisionen und Gesichtsverluste.

  2. Andreas Altmayer

    Lieber Herr Schöpf, als gelernter Europäer achte ich auf all die Kommentare und Dinge, die mich bewegen. Tirol ist recht eigensinnig im Umgang mit dem schönen Land. Wenn´s nach gewissen „hörl´schen“ Personen ginge, wäre auch der Bergisel schon ein Skigebiet. Doch noch schlimmer ist es, wie man mit der Formensprache der Architektur im Land umgeht. Die „Würfelhäuser“ vermehren sich deshalb, weil es in Innsbruck kein Architekturstudium mehr gibt. Nun genügt der Nachweis 4 Jahre LEGO gespielt zu haben. Kärnten, Elsass, Thüringen, Umbrien etc. haben landesspezifische Bauordnungen. Hier scheint das nicht der Fall zu sein. Oder die Devise lautet, mach, was Du willst, aber schnell. Wir bekommen nun in Mils auch ein verwunderliches Problem vor die Nase gesetzt. Dies betrifft vor allem unsere älteren Mitbürger. Im Norden von Mils wird der Mini M geschlossen, statt dessen wird neben dem Gehörlosen Institut ein großer Mpreis mit Baguette gebaut. Nun müssen die Kunden statt 500 m (vom nördlichsten Wohnhaus) 2,4 km zu diesem neuen Mpreis gehen und mit vollen Taschen wieder nach Hause, aufwärts. Nicht jeder Pensionist hat ein Auto und leistet sich die „günstigen“ Bustickets. In unmittelbarer Nähe vom neuen Mpreis befinden sich aber drei weitere, mehr oder weniger in Steinwurfweite. Habe selten so viel Kopfschütteln unserer Bürger in Mils miterlebt, das Letzte war wohl die rasante Genehmigung der „Pilzfabrik“.

  3. Brigitte Elsnegg

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Zum überbordenden Tourismus in Tirol – ohne Rücksicht auf die hier lebende Bevölkerung – möchte ich noch etwas anmerken:
    • Schaut man sich die Nächtigungszahlen lt. Beilage an (Quelle: Statistik Austria), dann fragt man sich, wozu man in Tirol überhaupt noch zusätzliche Hotelbetten braucht! Will man die Auslastung unbedingt noch weiter herunterdrücken? (Winter 2018/19: 44,6 %, Sommer 2018: 34%) Da stimmt doch etwas nicht – ein Schelm der Böses dabei denkt!
    • Die Entscheidung über den Bau von neuen Hotels/Bettenburgen/Chaletdörfern gehört weg von den Gemeinden und auf eine höhere Ebene verlagert, oder man zieht eine Grenze auf Basis der örtlichen Bettenauslastung ein.
    • Die Betriebe in Tirol haben zumeist einen sehr hohen Standard, die müssen sich doch nicht an Billiganbieter verscherbeln! Ist der dafür Grund etwa, dass es bereits zu viele Betten gibt?

  4. Andreas Maislinger

    Lieber Alois,
    Dein heutiges Apropos „Wozu lange nachdenken?“ gilt aber nicht nur für den Tourismus in Tirol, sondern auch für die Stadt Braunau am Inn und ihr schwieriges Erbe.
    Der von Dir erwähnte Andreas Braun hat natürlich auch darüber nachgedacht und ich durfte ihn bereits am 6. März 2015 als Unterstützer posten.

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