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Alois Schöpf
Warum ich der ÖVP bei den Landtagswahlen
eine Niederlage wünsche.
Essay

Leute aus gutem Hause, die ich, wie auch immer dieses auf jeden Fall mit reichlich finanziellen Mitteln ausgestattete Haus ausschauen mag, als Bürgerliche bezeichnen möchte, haben meist, wie es ihr großes Vorbild, der Deutsche Biedermann Johann Wolfgang von Goethe, in den Gesprächen mit seinem Adlatus Johann Peter Eckermann vorgemacht hat, zu allem und jedem eine Meinung. Oftmals sogar eine sehr dezidierte.

Wenn man sie allerdings angesichts solcher Meinungsäußerungen, vor allem dezidierter, bei einem abendlichen After-Dinner-Plausch zu bitten wagt, und sei es auch nur, um das Geistesleben eines volkskulturell verblödeten Landes zu beleben, sich in einem Medium schriftlich zu äußern oder gar politisch aktiv zu werden, eröffnet sich schonungslos der Blick in die Tiefen eines Standes, dessen Haupteigenschaft neben Selbstüberschätzung, der Selbstbefähigung also, zu allem und jedem eine Meinung zu haben, Feigheit ist.

Sofern die ÖVP nicht nur und zunehmend weniger die Partei der Bauern ist, sondern auch die Partei der Bürgerlichen, ist sie eine Partei von Feiglingen und wurde als solche diesem intrinsisch schlechten Charakter in den letzten Monaten in einer Weise gerecht, dass sie nur noch das verdient, was Feiglingen gebührt: Verachtung und Nichtbeachtung.

Um selbst moralisch glänzen zu können, ließ die Partei ihren Ausnahmepolitiker Sebastian Kurz, der (wie man ihn auch immer als außerhalb der ÖVP Stehender beurteilen mag) das seit Jahrzehnten beste Wahlergebnis eingefahren hatte, beim ersten Gegenwind fallen. Und dies, obgleich die Staatsbürger eines Rechtsstaates, auch Politiker, als unschuldig zu gelten haben und entsprechend zu behandeln sind, solange sie nicht von einem ordentlichen Gericht inklusive aller Instanzen verurteilt wurden. Feig und in prinzipienloser Anbiederung an den Zeitgeist unterwarf sich die ÖVP dem Diktat moralistischer Putschisten aus Medien und Politik, die nach einem halben Jahrhundert sozialdemokratischer Verhaberung und Korruption vor allem in der Kultur und im Journalismus die berechtigte Angst haben mussten, den weiteren Zugang zur Macht und zu hohen Gehältern für sich, die Kinder und Kindeskinder durch das machtbewusste Agieren einer jungen türkisen Regierung zu verlieren.

Weder wurde dem Narrativ von einer in Ibiza angeblich bewiesenen und in Folge niemals juristisch per Gericht festgestellten Totalkorruption des Regierungspartners entgegen getreten und ein mieses „Politiker-in-die Falle-Locken“ als krimineller, auf jeden Fall zutiefst unethischer Akt verurteilt. Noch wurde das Zusammenschustern eines Fünfminuten-Clips aus Stunden von Material als übelster Journalismus aus der Schule eines Josef Stalin des Platzes verwiesen. Und schon gar nicht wurde mit der notwendigen Beharrlichkeit darauf bestanden, dass die noch immer nicht eruierte Herkunft von 600.000 Euro in südafrikanischen Goldmünzen als beispielloser Huren-Lohn für einen Staatsstreich in Österreich durch ausländische Medien endlich aufgeklärt wird.

Des Weiteren wurde nach der Wiederwahl der Regierung Kurz trotz aller pastoralen Klagen über Datenmissbrauch und den gläsernen Menschen weder die illegale Veröffentlichung von Chatprotokollen noch die ebenso illegale Suche nach strafrechtlich relevanten Zufallsfunden in den Schätzen des Chat-Archivars Thomas Schmid verhindert, sondern in den Chor jener Moralistinnen und Prediger miteingestimmt, die das verächtliche Geschwätz über die Konkurrenz, das sie selbst perfekt beherrschen und dessen sie sich selbst ununterbrochen selbst befleißigen, plötzlich als offizielle Regierungskommunikation umdeuteten, um sich darüber einer umso authentischer wirkenden Empörung hingeben zu können.

Zu all dem fiel den bürgerlichen Feiglingen nicht mehr ein als ihre Handys besser zu verschlüsseln, statt mutig über das Private im Unterschied zum Öffentlichen und die Frage nachzudenken, ob die Hauptqualifikation eines Politikers ganz im Sinne Adolf Hitlers darin zu bestehen habe, ein Heiliger (Nichtraucher, Antialkoholiker, Vegetarier und Frauennichtbelästiger) mit fallweise menschenverachtenden gefährlichen Wahnideen zu sein, oder nur ein fehlerbehafteter, biederer Normalbürger, der sich an die Gesetze hält, und sich in der Politik im Dienste eines aufgeklärten Humanismus für seine Bürger engagiert.

Mit der Schäbigkeit, um ihre provinziellen Positiönchen nicht zu gefährden, den Retter der Partei rasch fallen zu lassen, nachdem er noch kurz zuvor mit fast 100 Prozent zum Parteiobmann gekürt worden war, hat das Schauspiel zumindest im derzeit laufenden Wahlkampf in Tirol noch kein Ende. Es übersiedelt lediglich auf eine von Laiendarstellern bespielte Bauernbühne, auf der ein Dorfcharmeur als Landeshauptmann mithilfe seiner Landler und ihren Schützen, der Musigg, den Schnapseln und einer Welt von Gestern die Wahlen gewonnen und sich als Koalitionspartner die Grünen auf den Heuboden geholt hat, wo in einer Mischung aus gesellschaftspolitischer Rückschrittlichkeit und technologiefeindlicher Natur-Idyllik fast ein Jahrzehnt der Totalstagnation eingeläutet wurde.

Die zunehmende Missgelauntheit selbst jener durch ein Pöstchen belohnten Paladine des bürgerlichen Lagers, für die bekanntlich die honorige Außenfassade den höchsten aller Werte darstellt, von den eigenen  Zeitgenossen im Land und flächendeckend vom Rest Österreichs und vom Ausland als Playback singende Alpindodel wahrgenommen zu werden, wurde in Folge durch immer weiter sinkende Umfragewerte im Hinblick auf die Wahlchancen der ÖVP ergänzt.

Statt nun mutig genug zu sein, die bittere Ernte seines Regierens selbst einzufahren, beschloss unser Dorfcharmeur als Landeshauptmann, obgleich er gerade noch das Gegenteil behauptet hatte, nicht mehr erneut zur Wahl anzutreten, sondern diesen Leidensweg einem Bürgermeisterlein aus dem fernen Paznauntal umzuhängen. Statt mit einem Rest von Loyalität seiner Partei gegenüber sofort den Platz zu räumen und seinem armen Landeselektromeister im Wahlkampf zumindest durch den Amtsbonus eines Kurzzeit-Landeshauptmanns zu helfen, fuhr er, ganz Ego, lieber zum Parteitag der Brüder im Süden und hat die Absicht, bis zuletzt im Glanz seines barocken Regierungssitzes auszuharren.

All dies kann er sich nur leisten, weil er genau weiß, dass seine Parteikollegen genauso feig sind wie er selbst und sich nicht aufzumucken trauen, sondern wütend stillhalten und zuschauen werden, wie ihr geschätzter Toni die Partei dorthin fährt, wohin Feiglinge, wie schon gesagt, gehören: ins Out!

Bleibt nur noch die Frage, wie es nach so viel Nieder-Tracht mit den Bürgerlichen in Tirol weitergeht? Ob Herr Mattle, wenn er mit unter 40, 35 oder 30 Prozent Zustimmung absäuft, verkünden wird, dass er nicht einer sei, der die Partei in dieser schwierigen Stunde allein lässt, weil er zu feig ist, aus einer Niederlage die einzig richtige Konsequenz zu ziehen. Oder ob er mutig und intelligent genug ist, doch noch einzusehen, dass schon seinem Vorgänger das Amt des Landeshauptmanns eine Nummer zu groß war und ihm ebenso zu groß ist.

In diesem wohl eher nicht anzunehmenden Fall dürfen wir uns über die Fortsetzung der Komödie mit dem Titel „Ein Frächter und seine Aufstiegshilfen“ freuen. Bis zur Premiere selbiger wird es aber wahrscheinlich noch dauern. Zu unser aller Schaden!

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Christoph Themessl

    Die Feiglinge und Ignoranten wurden glänzend beschrieben. Diese schweigen sich mithilfe ihrer Medien ohnehin selbst ins Grab. Hoffentlich. Feigheit ist eine schwere Sünde, weil Verrat. Bravo Alois, das erinnert an gute, alte Zeiten eines besseren Journalismus.

  2. Ronald Weinberger

    Diese Verve! Dieser Furor! Dieses Deutsch!
    Du wirst, lieber Alois, solltest du derartige Auslassungen fürderhin perpetuieren, den partiell bereits vor sich hin glimmenden Zorn nicht eben weniger Landsleute auf dich zu einem Lodern anfachen. Es geriete dir, beim Barte des Propheten (wobei ich selbstredend deinen Bart und dessen Träger meine) zum Vorteil, solltest du vor allem abends und nächtens bei dir sich von hinten nähernden Schritten die Ohren spitzen und über deine Schulter spähen. Würde nämlich hinter dir gar ein Trachtenjanker tragender Volksmusikant mit Bewaffnung, sprich Instrument, traben, dann gilt: Obacht! Gefährlicher noch, wenn du dabei eines Mattle-Verschnitts ansichtig wirst, also eine trotzig ihr mächtiges Kinn vorgeschoben habende, stämmige, mit Stiernacken ausgestattete unbebrillte Gestalt, sprich, einen kernigen, mithin typischen, Tiroler, wahrnimmst.
    Daher: Sei wachsam – und bleibe bitte a) gefälligst unbehelligt und b) weiterhin ein schreibender Finger-auf-schwärende-Wunden-Legender

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