Alois Schöpf
Zur Dramaturgie der Abendnachrichten
Essay
Nicht nur meine Kollegen H.W. Valerian und Elias Schneitter betrachten vor allem die TV-Abendnachrichten als unnötige psychische Belastung, weshalb sie als Therapie den Vorschlag machen, einfach abzudrehen oder die gezeigten durch die weltweit zeitgleich stattfindenden Gräuel zu relativieren.
Mein Versuch, mich von der abendlichen Ritualplage zu distanzieren, widmet sich eher der stillen Grundlage jeder erfolgreichen Medienarbeit: der Dramaturgie. Denn nicht nur die Politiker sind von Quoten, ihrem Wahlerfolg also, abhängig, sondern auch Medienleute. Da können sie noch so treuherzig eine Unabhängigkeit beteuern, die in Wirklichkeit aus der Menge der Abonnenten, den Werbeeinnahmen und den Einschaltziffern resultiert, also immer nur eine sehr beschränkte ist.
Denn wo es um die eigene Existenz geht, hat die Aufklärung zu pausieren: Dies gilt für die Vierte Gewalt im Staate und ihre Privilegien ebenso wie für jeden einzelnen Journalisten, der sich in den Beißgemeinschaften der Redaktionskonferenzen und sodann vor dem Publikum als erfolgreich zu erweisen hat, wenn er von seinem Job gut leben möchte.
Erfolg jedoch bedeutet: Wahrgenommen werden! Durch Leseranalysen bei den Zeitungen einerseits und die Berechnung der Einschaltziffern in den elektronischen Medien andererseits.
Daraus jedoch folgt, dass es niemals der Information selbst, der nüchternen Darstellung eines Sachverhalts also, überlassen werden darf, wie erfolgreich etwas beim Publikum ankommt, sondern dass alles dramaturgisch so aufzubereiten ist, dass die Chancen gewahrt bleiben, sich am Markt der Aufmerksamkeit unter allen anderen ebenso manipulierten Informationen durchzusetzen.
Sollte eine Information für derartige dramaturgische Zurichtungen nicht geeignet sein, fehlt ihr die Qualität des Berichtenswerten und sie unterbleibt.
Berichtenswert sind Informationen hingegen dann, wenn sie über folgende Eigenschaften verfügen:
1. Sie sollten den Redakteuren die Möglichkeit geben, zu begründen, dass sie wichtig sind und gewusst werden müssen. Gerade im Rahmen der TV-Kulturberichterstattung ist es immer wieder ein geradezu delikates intellektuelles Vergnügen, die Herren und Damen der Hochkultur etwa im Rahmen des „Kulturmontag“ in ORF2 dabei zu beobachten, wie sie aus gehypten Bedeutungslosigkeiten in ihren Moderationen Aspekte heraus zu destillieren versuchen, die es dem interessierten Zuschauer und Zuhörer unmöglich machen sollen, den Fernsehkasten auszuschalten und ins Bett zu gehen.
2. Informationen sollten der Einfachheit halber Schrecken verbreiten, da es wesentlich leichter ist, dem Publikum Angst einzujagen, als es etwa zu erheitern oder mit Schönheit zu konfrontieren. Das Erheiternde ist auf den nur durch Humor zu induzierenden, gleichsam objektiven Lacher angewiesen, die Schönheit wiederum auf meist teure Produktionsbedingungen, die in keinem Verhältnis zum stillen Vergnügen eines Publikums stehen, das durch Grauenhaftes, das die Weltgeschichte alltäglich liefert, wesentlich billiger bei der Stange zu halten ist.
3. Sollte es sich als schwierig erweisen, einerseits die Wichtigkeit einer Information plausibel darzulegen, andererseits auf Apokalypse-Clips verzichten zu müssen, gilt es, massiv die Moral zu mobilisieren, um dem Publikum bei Verweigerung der Kenntnisnahme sündhaftes Verhalten nachzuweisen. In dieses Feld gehört übrigens auch jene als guter Journalismus vor allem von unseren in den geschützten staatlichen Medienwerkstätten tätigen Hofjournalisten geübte Praxis, Politiker von vornherein unter Verbrechensverdacht zu stellen, um sich mit der Mehrheit jener rachsüchtigen und frustrierten Kleinbürger, die im Leben nicht erreicht zu haben glauben, was sie erreichen hätten sollen, als Wächter des Guten und Wahren zu solidarisieren.
4. Sofern auch der Missbrauch von Moral zum Zwecke höherer Einschaltziffern nicht anwendbar ist, bleibt als letzter Ausweg, wie ServusTV ihn in rücksichtslosem und unverzeihlichem Zynismus fast täglich beschreitet, die Bereitschaft, die Bühne all jenen Obskuranten zu überlassen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie schlicht und einfach stets das Gegenteil von dem behaupten, was allgemein als erwiesen angesehen wird. Auf diese Art und Weise werden unter dem Vorwand demokratischer Debatten und öffentlicher Meinungsbildung zumindest all jene narzisstisch gestörten Persönlichkeiten erreicht, denen es nicht möglich ist, die Erkenntnisleistung anderer aufgrund der klugen, das Ego jedoch beleidigenden Einsicht anzuerkennen, dass nicht in jedem kleinen Bürgerkopf das gesamte Weltwissen Platz haben kann.
5. Die beste Information ist naturgemäß jene, in der sich Wichtigkeit, bildhafter Schrecken, moralische Hochrüstung und der allgemeinen Erwartung Zuwiderlaufendes vereinigen. Wenn von einer Information lediglich dieser Eindruck entsteht, obgleich er sich bei genauer Überprüfung der Tatsachen als unberechtigt herausstellen würde, erreicht die Virtuosität des Infotainments seinen absoluten Höhepunkt.
Nun wäre es unfair, nicht auch darauf hinzuweisen, dass die genannten Methoden, wie Informationen manipuliert werden müssen, damit sie erfolgreich sind, in vielen Medien lediglich als lauerndes Hintergrundrauschen der billigen journalistischen Versuchung präsent sind und zum Glück meist nicht flächendeckend zur Anwendung kommen. Für den guten Journalisten besteht die Aufgabe eben darin, seinem Ethos verpflichtet zu bleiben, die Menschen zum Selbstdenken zu bewegen, und zugleich durch ständige Selbstreflexion die Gefahr dramaturgischer Tricks zu durchschauen und sie, wo sie überschießend zu werden drohen, trotz aller Verlockungen abzuweisen.
All jene jedoch, die zu sehr unter dem Konsum der täglichen Nachrichtensendungen und ihrer Schrecken leiden, sollten sich zwecks therapeutischer Entlastung wie ein Mantra in Erinnerung rufen: Alles ist nur Dramaturgie! Weigern Sie sich, ihr malträtiertes Opfer zu sein!
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