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Am Beispiel Seeber

Die Justiz gilt derzeit als heilige Kuh. Wer sie zu kritisieren wagt, wird zu den Freunden von Autokraten gerechnet. Dabei darf in einer Demokratie wohl alles der Kritik der Bürger unterzogen werden, vor allem wenn die Missstände so himmelschreiend sind wie im vorliegenden Fall. So wurden die Vorwürfe gegen den EU-Abgeordneten Richard Seeber, der zwischen 2006 und 2010 im Europäischen Parlament tätig war, im Jahre 2013 zum ersten Mal offiziell erhoben.

Dieser Tage wurde Seeber nun freigesprochen, worauf die nachgerade schon berüchtigte Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Nichtigkeitsbeschwerde einlegte. Der gesamte Verfahrensverlauf erstreckt sich also bereits über elf, zumindest jedoch über acht Jahre, zu denen aufgrund der Nichtigkeitsbeschwerde wahrscheinlich noch einiges hinzukommt.

Wenn man davon ausgeht, dass ein Mensch 45 Jahre beruflich aktiv ist und durch einen Prozess wie den vorliegenden während eines Viertels seiner Lebensarbeitszeit schwer beeinträchtigt und benachteiligt wird, ist dies eine menschliche Tragödie, aber auch ein volkswirtschaftlicher Wahnwitz. Vor allem deswegen, weil der Staat das Strafausmaß im Falle eines Schuldspruchs aufgrund langer Verfahrensdauer abmildert und damit einbekennt, dass den Jahren des Abwartens die Qualität einer Strafe zukommt. Wenn diese Strafe einen Unschuldigen trifft, ist das Staatsversagen perfekt!

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Peter Winkler

    Hallo Hr. Schöpf,
    wieder mal ein großes Bravo zu Ihrem Artikel !
    Ich konnte dieses Urteil auch nicht fassen, es erinnerte mich an das Sprichwort: Vor Gericht und auf hoher See ist man allein in Gottes Hand.
    Immer wieder liest man Urteile, wo man nur mehr den Kopf schütteln kann.
    Ich hatte schon mal vor Jahren begonnen, solche skurrilen Urteile zu sammeln, unter dem Titel „Die Narrenfreiheit der Richter“ – es aber dann mit der Zeit wieder aufgegeben.
    Es wäre durchaus wünschenswert, wenn es ein unabhängiges Gremium gäbe, die Richtern mit solch eklatanten Fehlurteilen einen Job in der Aktenverwaltung im Kellerarchiv o.ä. zuweisen – für RECHTsprechung sind sie ungeeignet und schaden dem Ansehen der Justiz.
    Schönen Gruß

  2. Manfred Heisler

    Arme Politiker, armer Präsident Sobotka !
    Niemand zwingt jemanden ein politisches Amt anzustreben. Was die Frage aufwirft, was ist die Motivation von Bürgern, eine Politkarriere zu starten. Wie so viele Beispiele in den letzten Jahren und Jahrzehnten zeigen, sind das vielfach Leute, die weder dazu fähig, noch geeignet sind, weil sie vorrangig nur den Eigennutz, sowie das eigene, möglichst schnelle und auch rücksichtslose Vorwärtskommen im Auge haben.
    Ausbildung und Befähigungen werden in Parteikadern „erlernt“. Also kein Wunder, dass am Ende ein wesentlicher Teil an praktischen Erfahrungen, Wissen und auch gesellschaftlichen sowie moralischen Grundsätzen fehlt.
    Ein Anforderungsprofil gibt es praktisch nicht.
    Also kommen erst viel zu spät ( wie die Beispiele der zitierten Chat`s ) die wahren Gesichter jener Politiker ans Tageslicht, die ihren Job gröblich missverstehen. Also trotzdem wichtig, solche Vorgänge öffentlich zu machen. Die Betroffenen sollten sich daher selbst an die Nase fassen und statt zu jammern, Selbstkritik üben.

  3. Markus Rieser

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    Sie zündeln wieder!
    Diese Kolumne gegen die Korruptionsstaatsanwaltschaft schürt den Verdacht einer türkisen Anbiederung. Sie schreiben über den Fall Seeber, die Länge und die Kosten der Verfahren, meinen aber die Causa Kurz, dem ähnlich viel bzw. noch mehr Ungemach droht.
    Eine Staatsanwaltschaft ist immer verpflichtet jeder Anzeige nachzugehen und Ermittlungen aufzunehmen. Das erwähnen Sie nicht.
    Herrn Seeber, den ich als einen der engagierteren WK Vertreter kennengelernt habe, hat die Causa als eine Intrige aus dem eigenen Parteiumfeld bezeichnet. Auch darauf verweisen Sie nicht.
    Herr Seeber hat es selbst verabsäumt Unterlagen für eine lupenreine Entlastung zu liefern. Daher musste die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen den Freispuch einlegen.
    Sollte ich mit Herrn Seeber deshalb Mitleid haben? Nein.
    Sonst müsste dies auch für Grasser, Meischberger, Strache und Kurz gelten.
    Die Justiz wurde unter ÖVP geführten Ministern zu Tode gespart, was auch die Verfahrenslänge erklärt.
    Es gibt Justizurteile für die ich mich schäme.
    Die haben komischerweise alle mit Freisprüchen oder Verfahrenseinstellungen bei Liftkatastrophen wie in Kaprun oder in Sölden zu tun.
    Da habe ich schon über Entscheidungen einer Bananenrepublik nachgedacht. Ist es Ihnen nicht ähnlich ergangen?
    Sie verstehen viel mehr vom Thema Sterben.

  4. Thomas Gasser

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    Stimme mit ihrem heutigen „Apropos“ wieder einmal vollinhaltlich überein, wie wahr!
    Wie traurig zu erleben, was für ein seltsames Land Oesterreich geworden ist.
    Im sonstigen „Blatt“ liest man leider fast nur mehr einseitige Propaganda, bin gespannt wie lange sie noch „dürfen“…..
    Alles Gute und liebe Grüße.

  5. Richard Lipp

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Danke, dass Sie sich dieses Themas annehmen. Der von Ihnen geschilderte Fall zeigt das Versagen des österreichischen Justizsystems und ist leider kein Einzelfall. Wenn von verschiedensten Seiten derzeit das bedingungslose Vertrauen in die österreichische Justiz gepredigt wird, ist das mehr als nur hinterfragenswert, sondern höchst bedenklich. Staatsanwälte haben den gesetzlichen Auftrag, auch das zu erheben, was für den Beschuldigten spricht. In Wirklichkeit generieren sie sich als reine Verfolgungsbehörden ähnlich der Inquisition.

  6. Josef R. Steinbacher

    Versuchter Rufmord auf Verdacht?
    Die WKStA erinnert in ihrem derzeitigen Wirkungsbild an eine Behörde aus der System-Zeit, die nur mit 2 Buchstaben Schaudern, Angst und sofortiges Untertauchen auslöste. Rechtsstaatlichkeit wird suspekt und löst sofort Großalarm bei jedem Bürger aus, der auf Demokratie und Rechts“sicherheit“ für alle vertraut. Das Zerrbild, das sich um einen sehr dubios belegten Langfristfall des Richard Seeber ergibt, ist konkret Anlass, sich an den Satz, „die Wahrheit, die ich meine“ zu erinnern und langsam aufsteigende Zweifel zu bedenken. Es entsteht dabei der ‚kafkaeske‘ Eindruck, einer unangreifbaren, entpersonalisierten Rechtsmaschinerie recht- und hilflos ausgeliefert zu sein.
    Wenn dem so ist, dann Gnade uns Gott und gute Nacht Demokratie.

  7. August Penz

    Geschätzter Alois Schöpf!
    Ich lese immer gerne mit großer Neugierde Deine hervorragenden Kolumnen. Bei diesem Artikel hast Du die zurecht angeprangerte Situation deutlich gemacht.
    Mir ist unsere Justiz manchmal nicht mehr geheuer. Ich kann den Fall „Richard Seeber“ nicht beurteilen. Aber dass sich ein Verfahren über so viele Jahre hinzieht, darf in einem funktionierenden Rechtsstaat nicht sein. Ein Verfahren über so viele Jahre vernichtet die berufliche Existenz und belastet eine Familie ungeheuer. Deine Forderung: auch die Justiz muss sich, wenn notwendig, vor allem die wild gewordene WKStA, Kritik gefallen lassen, findet die Zustimmung vieler Bürger/innen.
    Gratulation zu Deiner mutigen und viel beachteten Kolumne.

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