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Thomas Nußbaumer:
Was gehört für dich
zu einem chilligen Nachmittag?
Musik für junge Leute

Jugendliche Menschen im Freien Theater Innsbruck BRUX, Schülerinnen und Schüler – und bereits die erste Challenge, bevor es losgeht: 

Was gehört für dich zu einem chilligen Nachmittag? 

Ein chilliger Nachmittag für Sascha Rathey, Thomas Lackner und Daniel Müller. Foto: Thomas Nußbaumer Ein chilliger Nachmittag für Sascha Rathey, Thomas Lackner und Daniel Müller. Foto: Thomas Nußbaumer

Die schriftlichen Antworten werden gesammelt und später am Nachmittag eines Fauns präsentiert. Sascha Rathey (Querflöte), Daniel Müller (Gitarre) und der Schauspieler Thomas Lackner, sehr erfahren in Musikvermittlung und Theaterpädagogik, nahmen Claude Debussys sinfonische Dichtung Prélude à làprès-midi d’un faune zum Anlass, um episodisch über griechische Mythologie, die Erfindung der Flöte, Musikwettstreite, das Atmen in der Musik und die Unendlichkeit zu reflektieren und zu träumen.

Sascha Rathey, von Beruf Flötistin am Tiroler Landestheater. Foto: Thomas Nußbaumer Sascha Rathey, Flötistin beim Tiroler Symphonieorchester Innsbruck
Foto: Thomas Nußbaumer

Vorweg darf man verraten, dass die angekündigte meditative Reise nach Innen, durch eine Welt voller Musik, Klänge und sprachlicher Bilder sehr lebhaft und durchaus spektakulär verlief. Denn was man in knapp 90 Minuten an Musik (von Debussy, Dienz, Domeniconi, Pujol, Dyens, Mouquet, Callahan, Mangoré, Queen und Beatles), Lyrik (von Ovid, Heine, Gürtler, Henrici, Goethe), Mythologie und theatralischer Darstellung vermittelt bekam, glich einem Füllhorn an bunten Farbtupfern, die erst allmählich, gewissermaßen aus der Distanz, zu einem Bild zusammenfanden.

Sascha Rathey und Daniel Müller, Professor für Gitarre am Tiroler Landeskonservatorium. Foto: Agnieszka Kulowska Sascha Rathey und Daniel Müller, Professor für Gitarre am Tiroler Landeskonservatorium. Foto: Agnieszka Kulowska

Und das Schöne daran: Trotz aller inhaltlichen Herausforderungen wurde niemand überfordert, das Publikum der Sechzehn- und Siebzehnjährigen blieb konzentriert und es gab wahrscheinlich für jede Person etwas, das sie am Ende mitnehmen konnte.

Das künstlerische Trio erschuf das Drehbuch mit dem Titel Der Nachmittag eines Fauns in gemeinschaftlicher Arbeit und wurde wohl von impressionistischen Prinzipien geleitet, denn mit Debussys Prélude à làprès-midi d’un faune, zunächst nur angespielt, dann aber formvollendet und fesselnd von Sascha Rathey und Daniel Müller in einer faszinierenden, die Orchesterklangfarben in die Kleinbesetzung hinüberrettenden Bearbeitung für Flöte und Gitarre durchmusiziert, bildete als Schlüsselwerk des musikalischen Impressionismus den Ausgangspunkt der träumerischen Reise.

Thomas Lackner als Midas mit Eselsohren. Foto: Agnieszka Kulowska Thomas Lackner als Midas mit Eselsohren. Foto: Agnieszka Kulowska

Immer tiefer tauchte man in die Kontexte dieses Werks ein, befeuert vom brillanten Thomas Lackner. Es ging zunächst um Stephane Mallarmés Gedicht L’àprès-midi d’un faune, das Debussy zu seinem Werk inspiriert hatte und in dem ein schläfriger Faun in erotische Halb-Wach-Träume abgleitet. Vom Faun gelangt man rasch zu Pan, halb Mensch und Widder, der der kurzlebigen Verbindung von Hermes mit einer arkadischen Königstochter entsprungen war.

Groß geworden, stellte Pan einmal der Nymphe Syrinx nach, die in höchster Bedrängnis und Panik – ein Wort, das sich von Pan ableitet – die Flucht ergriff und zu ihrem eigenen Schutz in ein Schilfrohr verwandelt wurde. Aus diesem bastelte Pan die erste Panflöte. 

Die antike Figur der Syrinx inspirierte auch Debussy, nämlich zu seiner Bühnenmusik Syrinx für Querflöte solo, und in dieser traumhaften Klangsprache fand sich Sascha Rathey auf eine herausragende Weise wieder.

Doch auch ihr Kollege Daniel Müller, mit dem sie gerne als Duo Ohrwärmer auftritt, hatte seinen großen Soloauftritt, und zwar im nachgespielten musikalischen Wettstreit zwischen Pan und Apollon, den Thomas Lackner in der Wechselrolle Tmolus-Midas entscheiden sollte und den er dann als großer, mit Schimpf und Schande verjagter Esel verließ, weil eine Entscheidung nicht getroffen werden konnte: Zu großartig spielte Hermes alias Daniel Müller das sich in prächtigen, rollenden, rhythmischen Akkordzerlegungen entfaltende Stück Fuoco des früh verstorbenen Roland Dyens (1955–2016).

Sascha Rathey, Daniel Müller und Thomas Lackner. Foto: Thomas Nußbaumer Sascha Rathey, Daniel Müller und Thomas Lackner.
Foto: Thomas Nußbaumer

Der Nachmittag eines Fauns bietet aber nicht nur Spektakuläres. Die Schülerinnen und Schüler anzuhalten, Goethes Heidenröslein unter der Leitung der Chormeisterin Rathey anzusingen, führte zur Überlegung, dass Pan trotz aller schöngeistigen Lyrik und Mythologie, die sich um seine Figur rankt, leider auch als Wüstling und Vergewaltiger zu sehen ist. Dies wird sehr direkt thematisiert, aber als ein momentan nicht lösbarer Konflikt im Raum stehengelassen und über das Bild des Fool on the Hill (Paul McCartney) auf weitere assoziativ anknüpfende Ebenen geführt.

Der Nachmittag eines Fauns ist nach Die Zauberflöte ‚kurz und knackig´ die zweite Musikvermittlungsproduktion, an der Rathey und Lackner wesentlich mitschufen. War das Zauberflöte-Projekt ein Programm für Menschen zwischen 5 und 99 Jahren, so spricht Der Nachmittag eines Fauns ein älteres Publikum ab 15 an und erfüllt aufgrund seiner Tiefgründigkeit auch Ansprüche von Menschen höheren Alters.

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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