Thomas Nußbaumer:
Ein Grünmandl-Abend
zum 100. Geburtstag des Poeten
am Tiroler Landestheater
Otto Grünmandl wäre heuer hundert Jahre alt geworden. In Erinnerung an den im Jahr 2000 verstorbenen Tiroler Kabarettisten, Schriftsteller und Schauspieler zeigt das Tiroler Landestheater einen Otto-Grünmandl-Abend unter der Regie von Alexander Kratzer und mit Musik von Franui. Als Wappenadler bin ich eine Schildkröte lautet das Motto des unterhaltsamen, kurzweiligen Programms, dessen Premiere gestern Samstag (13.01.2024) im Großen Haus stattfand.
Julia Posch, Philipp Rudig, Petra Alexandra Pippan, Christoph Kail, Kristoffer Nowak, Ulrike Lasta © Birgit Gufler
Was geschah mit dem Kanarienvogel Hansi beim Durchklettern der Nordflanke des Tschuiderer Kars? Was ist die Aufgabe eines Kugelvermessungsamtes? Wie inspiziert man Krawattenknoten? Was bringt der Dorfmusikkapelle und dem Tourismus eine Regenhalle mit künstlichem Regenbogen? Wo liegt das sporthistorische Verdienst der langsamsten Sprinterin aller Zeiten? Was war das größte Erlebnis des weltberühmten Schi-Bergauffahrers Sepp? Welche Effekte der Zeitmessung greifen beim Würstelkochen? Was könnte der Deutsche Alpenverein gegen Hüttensex haben?
„Musicbanda Franui“: Romed Hopfgartner, Andreas Schett, Angelika Rainer, Markus Rainer © Birgit Gufler
Man könnte nun gegenfragend einwenden: Wer will denn das alles wissen? – Keine Sorge, man will, denn Otto Grünmandls Satiredialoge, die er in seinen Kabarettprogrammen Alpenländische Interviews, Alpenländische Erfindungen, Olympische Interviews, Zimmertheater oder Der Einmannstammtisch entwickelte, ziehen unweigerlich in den Bann.
Rasch vergisst man die Absurdität der jeweiligen Fragestellung, die im Detail durchaus vernünftig beantwortet wird. Auf eine klare Aussage jedoch würde man, wenn man es darauf absähe, vergeblich warten, denn klar ist, dass es bei Grünmandl letztlich nie um das Was (also das eigentliche Thema) geht, sondern um das Wie seiner Abhandlung, das sich letztlich und sehr hintergründig als wesentlich entpuppt.
Marie-Therese Futterknecht, Klettererin, Julia Posch © Birgit Gufler
Grünmandl hinterfragt arglos Narrative und Muster der Kommunikation, Rhetorik und des Sozialverhaltens. Gewöhnliche Menschen, jedoch eigentlich Spinner mit einem Faible für absurde Beschäftigungen, werden von einem Reporter vor das Mikrofon gezerrt, antworten zunächst eher widerwillig und zurückhaltend und argumentieren dann umso leidenschaftlicher. Wir tragen alle die Zeichen des Irrsinns in uns, schrieb Grünmandl in seinem lyrischen Text Blick in den Spiegel, es wähne sich keiner frei davon.
Julia Posch, Kristoffer Nowak © Birgit Gufler
Dieser Gedanke ist im Otto-Grünmandl-Abend des Landestheaters genauso zentral wie Grünmandls vielleicht bekanntester, leitmotivisch wiederkehrender Programmtitel: Politisch bin ich vielleicht ein Trottel, aber privat kenn‘ ich mich aus.
Christoph Kail, Marie-Therese Futterknecht, Kristoffer Nowak, Ulrike Lasta, Petra Alexandra Pippan, Philipp Rudig, Julia Posch © Birgit Gufler
Grünmandl war anerkanntermaßen ein exemplarischer Satiriker, unnachahmlich ist seine nasale, tirolisch gefärbte Sprechweise. Wie kann ein Otto-Grünmandl-Abend ohne Grünmandl selbst funktionieren?
Auch hier keine Sorge, denn Regisseur Alexander Gratzer und Andreas Schett als musikalischer Leiter der Musicbanda Franui fanden eine Vielfalt von Lösungen.
Zwar wird Grünmandl gelegentlich auch mal per Video zugespielt, doch die Dialoge werden auf sieben Schauspielerinnen und Schauspieler – Marie-Therese Futterknecht, Christoph Kail, Ulrike Lasta, Kristoffer Nowak, Petra Alexandra Pippan, Julia Posch und Philipp Rudig – aufgeteilt.
Petra Alexandra Pippan, Philipp Rudig © Birgit Gufler
Der unvergessliche, im Zusammenspiel mit Grünmandl kongeniale, erst im Sommer dieses Jahres verstorbene Theo Peer als Reporter mit Schildkappe, anachronistischer Brillenfassung, im langen Mantel und mit Mikrofon wird gelegentlich ebenso vervielfacht wie der Interviewte.
Das ist klug, denn eine Person allein kann den Grünmandl in seiner Individualität schwer stemmen, auch muss man seine köstlichen Texte, um sie für die Ewigkeit zu retten, von ihrem Erfinder-Darsteller loseisen.
Kristoffer Nowak, Christoph Kail, Julia Posch und Marie-Therese Futterknecht © Birgit Gufler
Die äußere Form des Abends erinnert an die Episodenfilme der britischen Comedy-Gruppe Monty Python, scheinbar assoziativ wird Szene an Szene gereiht. Slapstick-Elemente, wie etwa beim immer heftiger werdenden, endlosen Streitgespräch zwischen einem, der nicht politisieren will und jenem, der keinen Standpunkt vertritt, erfolgen wohldosiert und umso wirkungsvoller.
Das Kollektiv der Schauspielerinnen und Schauspieler agiert intelligent, wendig und wie aus einem Guss und es wäre schwierig, innerhalb der insgesamt beeindruckenden Darstellung einzelne herausragende Leistungen auszumachen.
Musicbanda Franui, Julia Posch © Birgit Gufler
Die (Dreh-)Bühne, gestaltet von Katharina Cibulka, gleicht einem riesigen Baustellengerüst, in dem sich genügend Etagen und Ecken finden, um Handlungen zu verorten. Die sehr ansprechenden Kostüme von Alexia Engl vermitteln einerseits Treue zur Lebenshistorie Grünmandls und andererseits Zeitlosigkeit. Auch karierter Stoff – typisch für Grünmandl, der ja lange Zeit Textilkaufmann in Hall war – wird dezent platziert.
Was bietet der Otto-Grünmandl-Abend sonst noch? Großartige, sehr pointierte Musik von Franui im unverkennbaren Franui-Stil! Die aus Osttirol stammende zehnköpfige Musicbanda auf den Instrumenten Klarinette, Bassklarinette (Johannes Eder), Tuba (Andreas Fuetsch), Saxofone und Klarinette (Romed Hopfgartner), Kontrabass, Akkordeon (Markus Kraler), Harfe, Zither (Angelika Rainer), Hackbrett (Bettina Rainer), Trompete (Markus Rainer, Andreas Schett), Ventilposaue (Martin Senfter) und Violine (Nikolai Tunkowitsch), deren Kompositionen von Andreas Schett und Markus Kraler geschrieben werden, sitzt sichtbar vor der Bühne und agiert inspirierend mit dem schauspielenden Kollektiv, das übrigens auch erstaunlich gut singen kann.
Marie-Therese Futterknecht, Petra Alexandra Pippan, Philipp Rudig, Ulrike Lasta, Christoph Kail © Birgit Gufler
Franui legt mitunter Spuren der Erinnerung an das eigene Werk, in dem Bearbeitungen von Mahler, Schubert und (Trauer-)Märschen eine wichtige Rolle spielen. Beim Otto-Grünmandl-Abend erlebt man sie auch mit Mozart. Wer Franui länger nicht gehört hat, wird feststellen, dass sich das Ensemble in puncto Präzision und interpretatorischem Gestaltungsvermögen weiter steigern konnte. Wie Grünmandl besitzt Franui Legendenpotential, und wer weiß, ob nicht eines Tages ein Franui-Abend ohne Franui stattfinden wird.
Ein Zusatz sei noch erlaubt: Der Otto-Grünmandl-Abend bietet auch unbekannte Texte, sowohl vertont als auch rezitiert, darunter Werbesprüche und aphoristische Einfälle, von Franui als Gstanzln bezeichnet, und Ottos Briefe an die nach England emigrierte Schwester Bettina von 1939. Die Familie Grünmandl war jüdisch und konnte die NS-Zeit mit Hilfe von Freunden überleben.
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