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Thomas Nußbaumer bespricht:
Das 5. Symphoniekonzert
des „Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck“
vom 24. und 25.03.2022

Im Vorfeld des 5. Symphoniekonzerts kam es zu zwei Umstellungen: Der deutsche Dirigent Patrick Lange sprang kurzfristig für seinen lettischen Kollegen Ainārs Rubiķis ein und Tschaikowskis Ouvertüre-Fantasie „Hamlet“ wurde ebenso kurzfristig abgesetzt und durch Jean Sibelius’ patriotische Tondichtung „Finlandia“ (op. 26) von 1899 ersetzt, die unter dem Eindruck des finnischen Widerstandes gegen die russische Fremdherrschaft entstanden war.

Das Tiroler Symphonieorchetser Innsbruck unter der Leitung von Patrick Lange Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Patrick Lange

Bevor sich das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck nach der Pause erneut Sibelius zuwandte und dessen Symphonie Nr. 5 in Es-Dur (op. 82) packend darbot, hörte man mit Artem Nyzhnyks „Maktoub“ für Akkordeon und Orchester das Werk eines ukrainischen Zeitgenossen und mit Ksenija Sidorova eine lettische Solistin.

Wie derzeit vielerorts stand auch in Innsbruck das aktuelle Symphoniekonzert unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine. Allerdings wirkte diese Bezugnahme ein wenig unrund. Vor Beginn des Konzerts rief der Leiter des Orchesterbüros zur Spendensammlung für die Kriegsopfer auf – was ohne Zweifel lobenswert ist – und hob hervor, dass mit Artem Nyzhnyks Werk auch ukrainische Musik auf der Bühne stehe. Allerdings wurde nicht gesagt, dass dieser Programmpunkt unabhängig vom Krieg schon länger so geplant war.

Ksenija Sidorova (Akkordeon) Ksenija Sidorova (Akkordeon)

Nyzhnyk stammt übrigens aus Donezk und lebt derzeit in Russland, wie man wenig später im öffentlichen Interview der Akkordeonistin erfuhr. Sie habe in den vergangenen Tagen mit ihm nicht kommunizieren können, weil die russische Regierung die Social Media teilweise lahmgelegt hat. Die Programmänderung – der Russe Tschaikowski raus, dafür Sibelius’ antirussische Widerstandsmusik rein – wurde hingegen nicht erläutert, der Orchesterbüroleiter sprach nur davon, dass Sibelius’ „Freiheitsmusik“ für Tage wie diese passend sei. Von der Pressestelle war zu erfahren, dass die Programmänderung tatsächlich nur „repertoirebedingt“ und ohne politische Absichten erfolgte.

Der gegenteilige Fall wäre allerdings sehr traurig gewesen, denn das Letzte, was wir jetzt noch brauchen, ist ein Kulturkrieg gegen die Musik verstorbener russischer Komponisten. Das vernünftigste geflügelte Wort dieser Tage – „Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin“ – sollte uns im Kulturleben von nationalistischen Tendenzen abhalten.

Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck allerdings setzte ein sehr beeindruckendes Signal für seine Haltung, indem es außerplanmäßig Werner Pirchners Choral „Abschied?“ für Streichorchester in Gedenken an die Kriegstoten an den Anfang des Konzerts setzte – was das Publikum taktvoll mit Schweigen und nicht störendem Applaus goutierte.

Dirigent Patrick Lange Dirigent Patrick Lange

Der Höhepunkt des Abends lag zweifellos in der beeindruckenden Wiedergabe von Sibelius’ „Fünfter“ nach der Pause. Hier spielte das Orchester unter der gewissenhaften und moderierenden Leitung des eingesprungenen Patrick Lange seine Stärken aus: den schwebenden Streicherklang, die Akkuratesse der Bläsereinsätze sowie die dynamische und klangliche Ausgewogenheit innerhalb der einzelnen Register und im Gesamtklang – Qualitäten, die man zu Beginn des Konzerts, vor allem bei der etwas grob und salopp dargebotenen Sibelius-Tondichtung „Finlandia“ und in den ersten beiden Sätzen von Nyzhnyks „Maktoub“ vermisst hatte.

Sibelius’ „Fünfte“ ist ein raffiniert aufgebautes Werk. Der Komponist selbst verglich seine Symphonie mit einem Fluss, der durch den Zuwachs von Bächen und Seitenflüssen zu einem Strom anschwillt. Und ehe im Schlusssatz das nostalgisch-emotionale „Schwanenthema“ in den Hörnern erstmals seine majestätischen Flügel ausbreitet und den hörenden Menschen in jene in „Abschiedsfarben“ leuchtende, sonnendurchflutete Herbstlandschaft hinausträgt, die Sibelius nach eigenen Worten zu dieser Melodie inspiriert hatte, findet man das Thema und seine Motive längst schon versteckt und sich langsam entwickelnd in den vorhergehenden Sätzen.

Eine Musik, die derart akribisch musikalische Motive erarbeitet und variiert, bedarf neben klanglicher Balance auch einer Gestaltung, die das Detail in der Gesamtheit hörbar macht. Auch in dieser Hinsicht zeigte sich das Orchester brillant, die Symphonie erklang wie aus einem Guss, ein konzentrierter, dramatischer Bogen spannte sich über die gesamte Wiedergabe.

Im ersten Teil des Abends beeindruckte Ksenija Sidorova durch ihre Ausdruckskraft und Fingerfertigkeit am Akkordeon. Artem Nyzhnyks „Maktoub“ – der Titel ist arabisch und spielt auf die angebliche Schicksalhaftigkeit des Lebens an – ist im „Preambula“ barock inspiriert, im „Scherzo“ ein wenig „piazollaesk“, im „Intermezzo“ klanglich experimentierfreudig und im „Finale“ äußerst rhythmisch.

Insgesamt lebt dieses Akkordeonwerk, das in Innsbruck erstmals in einer Fassung für Akkordeon und Symphonieorchester gespielt wurde, von Zutaten, die seine Popularität zumindest für die nächste Zeit sichern können.

Bildnachweis: Alle Fotos Copyright: © www.wefeel.art

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Johann Pörnbacher

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    ich weiß nicht, ob Sie im Symphoniekonzert gewesen sind, ich war wie üblich am Freitag.
    Thomas Nußbaumers Kritik bezieht sich zwar auf Donnerstag, aber ich kann mir nicht vorstellen,
    dass es am Donnerstag so viel anders (besser) gewesen sein soll !
    Ich spreche hier ausschließlich von der „Interpretation“ der Fünften Sibelius !
    Zitat Nußbaumer: „Eine Musik, die derart akribisch musikalische Motive erarbeitet und variiert, bedarf neben klanglicher Balance auch einer Gestaltung, die das Detail in der Gesamtheit hörbar macht. Auch in dieser Hinsicht zeigte sich das Orchester brillant, die Symphonie erklang wie aus einem Guss, ein konzentrierter, dramatischer Bogen spannte sich über die gesamte Wiedergabe.“
    Den ersten Satz kann ich nur doppelt unterstreichen, aber nichts davon entdeckte ich in
    der Wiedergabe am Freitag !! Nur selten habe ich die Fünfte derart unzusammenhängend und ohne jeglichen Spannungsbogen erlebt !
    Sibelius klang genauso, wie er mir als Jugendlicher zum ersten Mal begegnet ist: fade, wirr und ohne jeden Aufbau, klanglich uninteressant, instrumentatorisch fragwürdig…
    Lange Zeit konnte ich meine Ablehnung dieser Musik nicht überwinden, fand ich doch in Mahler einen damals für mich ungleich überzeugenderen Meister bzw. Symphoniker !
    Die damals hochgelobte Einspielung von Lorin Maazel schien mir ein Zelebrieren von nordischer Düsternis und nobler Fadesse, erst viele Jahre später konnten mich andere Aufnahmen (Blomstedt, Segerstam) richtig überzeugen und Sibelius entpuppte sich plötzlich als großartiger Symphoniker, freilich ganz anders als Mahler, aber gerade darum interessant und wichtig !
    Je mehr ich auch die damals nicht immer leicht zu beschaffenden Partituren seiner Musik studierte, desto mehr kristallisierte sich das Bild eines wirklich genialen Symphonikers heraus.
    Aber: diese Musik muss jahrelang geprobt und dann erst verstanden werden, ein Orchester ohne Sibelius-Tradition ist verloren mit dieser Musik !
    Das TSOI hat bei aller Wertschätzung KEINE Sibelius Tradition (sieht man von einigen Finlandia Aufführungen sowie 1. und 2.Symphonien ab, die sich beim Interpretieren weniger sträuben) –
    wie denn auch ? In dieser kurzen Probenzeit, noch dazu mit zahlreichen Corona-Ausfällen, ist eine Aufführung der Fünften eigentlich zum Scheitern verurteilt…das lässt sich auch überprüfen, wenn man die Fünfte Bruckner (letztens gehört) oder die Fünfte Mahler (demnächst) zum Vergleich heranzieht.
    Herr Prof. Nußbaumer, Sie sind ein vornehmer Mensch, aber hier haben Sie es mit wohlwollendem Lob übertrieben!

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