Print Friendly, PDF & Email

Thomas Nußbaumer:
Eine "Überschreibung"
von Henry Purcells "The Fairy Queen"
am Tiroler Landestheater

Die aktuelle Produktion des Tiroler Landestheaters, The Fairy Queen, ist eine Überschreibung von Henry Purcells gleichnamiger Semi-Oper durch den Berliner Komponisten Albrecht Ziepert. Texte von Shakespeare, Goethe, Kästner und Mirella Weingarten, die auch für Regie und Bühne zuständig ist, fließen in ein neues Libretto ein, das spartenübergreifend, also durch Gesang, Schauspiel und Tanz umzusetzen ist. 

Sara Nunius (Paula), Stefan Riedl (Lion), Sarah Merler (Thisbe), Oliver Sailer (Demetrius), Bernarda Klinar (Helena) Patrick Ljuboja (Paul), Sascha Zarrabi (Oberon), Anastasia Lerman (Titania), Antonio Tafuni (Coridon), Annina Wachter (Hermia), Jacob Phillips (Lysander), Yi Yu (Sleep), Giorgos Mitas (Indian Boy), Letizia Pignard (Pyramus), Daniela Bjelobradić (Virginie) © Birgit Gufler Sara Nunius (Paula), Stefan Riedl (Lion), Sarah Merler (Thisbe), Oliver Sailer (Demetrius), Bernarda Klinar (Helena) Patrick Ljuboja (Paul), Sascha Zarrabi (Oberon), Anastasia Lerman (Titania), Antonio Tafuni (Coridon), Annina Wachter (Hermia), Jacob Phillips (Lysander), Yi Yu (Sleep), Giorgos Mitas (Indian Boy), Letizia Pignard (Pyramus), Daniela Bjelobradić (Virginie) © Birgit Gufler

Alles in allem überzeugen aber weder das Stück, das eine Collage darstellt, noch die Musik, und auch nicht die wenig einfallsreiche Regie. Durchwegs ansprechend sind nur die sängerischen und schauspielerischen Leistungen.

The Fairy Queen – die Feenkönigin – von Henry Purcell, 1692 uraufgeführt in London, ist eine sogenannte Masque, eine Semi-Oper, in der allegorische, dem Bereich der Mythen und Märchen entstammende Gestalten spielerisch die Freuden und Qualen der Liebe ausloten. 

Sascha Zarrabi (Oberon), Anastasia Lerman (Titania), Giorgos Mitas (Indian Boy), Oliver Sailer (Demetrius) © Birgit Gufler Sascha Zarrabi (Oberon), Anastasia Lerman (Titania), Giorgos Mitas (Indian Boy), Oliver Sailer (Demetrius) © Birgit Gufler

Das Libretto ist eine anonyme Bearbeitung von William Shakespeares Komödie A Midsummer Night’s Dream. Von der herausragenden Musik sind 59 Nummern erhalten, darunter volkstümliche Dances, heute noch beeindruckende Arien, Chöre und einleitende Instrumentalstücke, die dem Usus der Zeit entsprechend eher spärlich notiert sind, wodurch Freiräume für Arrangements und Improvisation offenstehen.

Für die Produktion am Tiroler Landestheater, die als Uraufführung ausgewiesen ist, übernahm der Berliner Komponist Albrecht Ziepert 16 dieser Stücke vollständig und andere fragmentarisch und schuf ein Electronic-Barock-Musiktheater, in dem neben konventionellen Orchesterinstrumenten auch der E-Gitarre (Robert Pockfuß) sowie dem Cembalo und Synthesizer (Mairi Harris Grewar) tragende Rollen zukommen. Zudem wurden manche Stücke von Purcell weiterkomponiert oder anderweitig verändert. Ziepert bezeichnet diesen Prozess als Überschreibung des Originals.

Mingfu Guo (Mystery), Yi Yu (Sleep), Sascha Zarrabi (Oberon), Catherine Jaeger (Puck), Melissa Totaro (Mopsa), Sarah Merler (Thisbe), Letizia Pignard (Pyramus), Antonio Tafuni (Coridon), Anastasia Lerman (Titania) © Birgit Gufler Mingfu Guo (Mystery), Yi Yu (Sleep), Sascha Zarrabi (Oberon), Catherine Jaeger (Puck), Melissa Totaro (Mopsa), Sarah Merler (Thisbe), Letizia Pignard (Pyramus), Antonio Tafuni (Coridon), Anastasia Lerman (Titania) © Birgit Gufler

Gemeinsam mit Mirella Weingarten, die auch für die Regie und Bühne verantwortlich zeichnet, entstand ein Libretto, das Originaltexte mit Texten von Shakespeare, Goethe, Erich Kästner und Mirella Weingarten kombiniert und der Anforderung Rechnung trägt, durch die Einbeziehung auch von Schauspiel und Tanztheater ein für Innsbruck spartenübergreifendes Stück zu inszenieren.

Der Inhalt entspricht in vielen Zügen jenem des Originals, es geht im Rahmen einer teils losen, teils nicht vorhandenen Handlung um diverse Liebespaare, ihre Beziehungsprobleme und um zeitlos gültige Emotionen wie Eifersucht, Leidenschaft, Begehren, Obsession, Machtausübung etc. 

Anastasia Lerman (Titania), Daniela Bjelobradić (Virginie) © Birgit Gufler Anastasia Lerman (Titania), Daniela Bjelobradić (Virginie) © Birgit Gufler

Angeleitet von einer stummen Figur namens Puck (dargestellt von Catherine Jaeger), die als Fädenzieherin meist am Seil über der Bühne schwebt, werden die Paare ineinander vermengt. Manche von ihnen – wie Oberon und Titania, Helena und Demetrius, Hermia und Lysander – verweisen in die Antike, andere wie Paul und Paula, Lion und Wall, Mystery und Sleep, Coridon und Mopsa in jüngere Zeiten. 

Daneben geistern als Einzelfiguren Virginie, die allein bleiben will, und der stumme Indian Boy, den alle vergöttern, der dann von Cold Spirit, dem Tod, sehr dramatisch hinweggerafft und abschließend herzzerreißend betrauert wird, durch die Szenen.

Leider können Ziepert und Weingarten mit ihrer Bearbeitung der Purcell‘schen Collage aus Figurenpaaren, Affekten, Emotionen und Handlungselementen, der die Regie da und dort auch ein bisschen modisches Transgender aufpfropft, keine plausible Geschichte und keinen roten Faden abgewinnen Und vielleicht hatten sie das auch nie im Sinn. 

Annina Wachter (Hermia), Anastasia Lerman (Titania), Daniela Bjelobradić (Virginie), Jacob Phillips (Lysander), Patrick Ljuboja (Paul), Sara Nunius (Paula), Giorgos Mitas (Indian Boy) © Birgit Gufler Annina Wachter (Hermia), Anastasia Lerman (Titania), Daniela Bjelobradić (Virginie), Jacob Phillips (Lysander), Patrick Ljuboja (Paul), Sara Nunius (Paula), Giorgos Mitas (Indian Boy) © Birgit Gufler

Eine Szene reiht sich an die andere, vieles ist verwirrend, da ja Traum und Realität ineinander verschwimmen sollen, und wer sich Tiefgründigeres erwartet, ist hier ohnehin fehl am Platz.

Kompaktheit und innere Logik darf man vermissen. Durch die neuen Textteile entstehen nicht nur Kontraste, sondern macht sich auch eine methodische Unentschlossenheit breit. Auf barocken Formalismus, der dem allegorischen Denken und der Affektenlehre verpflichtet ist, prallt mitunter modernes Psychodrama. Sobald eine moderne Episode wieder verpufft ist, herrscht wiederum Barock. 

Unausgewogen wirkt auch das Verhältnis von Sprech- und Musiktheater. Am Anfang wird mehr deklamiert und kommt die durchwegs überzeugend auftretende Schauspielgruppe (mit Daniela Bjelobradić als Virginie, Giorgos Mitas als Indian Boy, Patrick Ljuboja als Paul, Sara Nunius als Paula und Stefan Riedl als Lion) öfter zum Zug, später wird mehr gesungen.

Catherine Jaeger (Puck), Andrea De Majo (Cold Spirit) © Birgit Gufler Catherine Jaeger (Puck), Andrea De Majo (Cold Spirit) © Birgit Gufler

Sowohl das Stück als auch die Regie sind darauf ausgelegt, sich von einem Effekt zum nächsten zu retten. Zwar sind die Kostüme (von Julia Müer und Verena Polkowski) zauberhaft und fantasievoll und kommen vor der zunächst in Schwarz gehaltenen Bühne, die später von einer strukturierenden Holzkonstruktion dominiert wird, sehr gut zur Geltung, jedoch wirkt die Führung der Singenden, Spielenden sowie der sieben Tänzerinnen und Tänzer, die sich als drehende, tanzende, laufende, liegende Paare und Gruppen im Raum bewegen, äußerst beliebig, dann wieder aufdringlich und sehr oft unergründlich, wenn kein Bezug zur momentanen Handlungsepisode erkennbar ist.

Auch die musikalische Bearbeitung bzw. Komposition spiegelt das Dilemma eines unentschlossenen, gerne auf vordergründige Effekte abzielenden Konzepts. Über weite Strecken hört man Purcells Musik, doch im nächsten Moment schon wummert der Synthesizer aus den Saallautsprechern, breiten sich freitonale Klangflächen aus oder heult die E-Gitarre und man steht abrupt im Genre der Neuen Musik des 21. Jahrhunderts. Ebenso abrupt landet man aber dann wieder bei Purcell.

Es sei nachdrücklich darauf hingewiesen, dass gerade in Innsbruck eine lange Tradition der historisch orientierten Aufführungspraxis besteht und jene Zeiten, als moderne Orchester alte Musik von Komponisten wie Purcell auf modernen Instrumenten und nach den Vorstellungen einer romantischen Klangästhetik spielten, als altbacken und überwunden gelten. 

In der aktuellen Fairy Queen-Produktion jedoch feiert dieser Geist auch deshalb, weil sich der Bearbeiter-Komponist für den originalen Sound nur wenig interessiert, leider wieder fröhliche Urständ. Trotz sehr schöner Soli auf Violine, Cello oder Oboe, trotz der gelungenen Begleitung der Schlussarie und trotz allem Bemühen ist das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Philipp von Steinaecker weder ausreichend spezialisiert noch in der Lage, Purcell auf internationalem Niveau zu spielen. 

Besonders drastisch spürt man dies dort, wo das Blech im Einsatz ist. Und so hört man aus dem Orchestergraben einen alles in allem mittelmäßig musizierten Purcell mit elektronischen Einsprengseln und Einzelnummern.

Die Leistungen der Sängerinnen und Sänger hingegen zählen zu den Pluspunkten der Produktion. Anastasia Lerman ist eine ungemein differenziert und edel artikulierende Titania im Sopranregister und ihr Partner Sascha Zarrabi ein leidenschaftlicher Tenor mit biegsam-weicher Stimme. 

Andrea De Majo, dem in diesem genreübergreifenden Projekt seine Musical-Schulung bestens zugutekam, sang den Cold Spirit (Tod) im Countertenorregister ungemein beklemmend. Sowohl Annina Wachter als Hermia als auch Bernarda Klier als Helena hinterließen durch ihren strahlenden, ausgewogenen Gesang bleibende Eindrücke. Deren Rollenpartner Jacob Phillips als Lysander und Oliver Sailer als Demetrius überzeugten ebenfalls in puncto Ausdruckskraft. 

Anzumerken ist, dass in den Chornummern auch die Kolleginnen und Kollegen der Schauspielsparte mitsangen und sich dabei recht wacker schlugen.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

Schreibe einen Kommentar