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Nicole Staudenherz
Ignoranz zum Anziehen
Warum Pelz untragbar ist.
Essay

Eigentlich möchte man meinen, wir wären im Jahr 2022 so fortschrittlich, dass Pelzkleidung ein absolutes No-Go ist. Allerspätestens, seit Covid-19 auf Europas Pelzfarmen wütete und Millionen Nerze getötet wurden.

Doch bei jedem winterlichen Stadtspaziergang fallen sie schmerzlich ins Auge, die pseudo-eleganten Pelzränder an den Kapuzen, die sinnlosen Mützen-Bommeln, die noch viel sinnloseren Taschen-Anhänger.

Es sind Symbole des kollektiven Wegschauens, denn die Fakten über den Horror der Pelzfarmen sind allgemein zugänglich. Im Medienzeitalter kann niemand mehr behaupten, von nichts zu wissen. Die blutige Realität ist nur einen Mausklick entfernt.

Wer also heutzutage noch Pelz trägt, hat entweder sein Gehirn auf Durchzug gestellt oder lässt sich vom Schönwashing der Pelzindustrie einlullen. Oder noch schlimmer: Wer wider besseres Wissen Pelz trägt, stellt eine pathologische Gleichgültigkeit gegenüber Tieren, Natur und öffentlicher Gesundheit zur Schau.


Wer Pelz kauft, sponsert Tierquälerei.

Sommer 2022. Eine Pelzfarm irgendwo im Nirgendwo, und doch im Herzen Europas. Die Anlage versteckt sich in einem Maisfeld. Käfig reiht sich an Käfig, darunter türmt sich der Kot. Es ist schwer zu sagen, was am schlimmsten ist. Ist es das klägliche Fiepen der Welpen, der Gestank der Exkremente? Oder sind es die Blicke aus Hunderten Augenpaaren, die zu sagen scheinen: Hol mich hier raus!

Der bekannte Umweltschützer und Dokumentarfilmer Robert Marc Lehman hat sicherlich schon viel gesehen, aber das Entsetzen ist ihm anzumerken, als er gemeinsam mit einer Tierschützerin die Zustände auf der Pelzfarm dokumentiert.

Es sind die grausamen Details, die sich schmerzhaft im Gedächtnis festhaken: die deformierten Pfoten der Tiere, die ihr ganzes Leben auf einem Drahtgitterboden verbringen müssen. Das halbtote Marderhund-Baby, das auf seinem toten Geschwisterchen liegt. Das vom Ammoniakdunst eingetrübte Auge der Füchsin, die als Gebärmaschine herhalten muss.

All das ist legal im schönen Europa. Aber: „Nur weil etwas legal ist, ist es nicht einmal ansatzweise legitim“, betont die Tierschützerin.

Wer hiervon nicht erschüttert ist, möge sich an einem langen Winterabend als Mutprobe den polnischen Dokumentarfilm Klatki (Käfige, 2018) ansehen. Dieser zeigt noch etwas schonungsloser die brutale Wirklichkeit im weltweit drittgrößten Zuchtpelz-Exportland mit etwa zehn Millionen getöteten Füchsen, Nerzen und Marderhunden pro Jahr.

Auch hier sehen wir verdreckte Käfige, madendurchsetzte Kothaufen und traurige Augenpaare. Wir sehen von der Enge verrückt gewordene, verzweifelt hin- und herspringende, manisch an Gittern nagende Tiere. Wir sehen Tiere, die sich gegenseitig bei lebendigem Leib auffressen. Wir sehen klaffende Wunden, verstümmelte Pfoten, halbverweste Tierleichen. Und wir sehen auch die Kadavertonnen voller gehäuteter Tiere.

Noch eine Steigerungsstufe gefällig? Der Film Slay (2022) dekonstruiert das letzte bisschen Eleganz und Glamour, das sich die Modeindustrie allen Aufdeckungen zum Trotz noch umzuhängen versucht.


Wer von alldem ungerührt bleibt, hat kein Herz.

Herzloses Faktum: Eine ganze Industrie baut darauf, Wildtiere wie Nerze, Marderhunde und Füchse millionenfach in winzige Käfige zu sperren, obwohl diese Tiere in freier Natur riesige Territorien bewohnen würden.

Es ist offensichtlich, dass die Pelzindustrie die grundlegendsten Bedürfnisse dieser Lebewesen mit Füßen tritt. Dass sie überhaupt noch existiert, ist an sich schon ein Skandal.

Doch es handelt sich um eine mächtige und finanzstarke Lobby, die politisch hervorragend vernetzt ist und mit allen Mitteln versucht, Verbote zu blockieren und ihre Aktivitäten vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Die Machenschaften dieser Industrie müssen öffentlich thematisiert werden. Damit niemand mehr wegschauen kann. Denn grundsätzlich lässt sich beobachten, dass Tierschutz in der Gesellschaft einen immer höheren Stellenwert einnimmt, auch wenn viele Menschen ihre Werte wie Tierliebe, Empathie und Gerechtigkeitssinn noch nicht mit dem eigenen Handeln in Einklang gebracht haben.

Wie es ein polnischer Tierschützer im Film Klatki auf den Punkt bringt:

Immer noch glauben viele Menschen, dass die Pelzindustrie etwas ist, das in China stattfindet, oder vielleicht in Russland, aber ganz bestimmt nicht in Polen, nicht in Europa. Ich denke, wir leisten der Gesellschaft einen Dienst. Indem wir aufdecken, was die Öffentlichkeit aufgedeckt haben will


Wer Pelz kauft, zahlt für Naturzerstörung.


Immer noch besitzt die Pelzindustrie die Frechheit, sich als naturnah und nachhaltig zu vermarkten. Diese Behauptungen sind meilenweit von der Realität entfernt.

Denn auch Pelzfarmen sind eine Form von Intensivtierhaltung, mit allen bekannten Problemen: Landverbrauch, Ressourcenverschwendung und Tierexkremente, die Böden und Gewässer verseuchen.

Mögliche Folge: Algenwachstum in Seen und Flüssen, Absterben von Wasserlebewesen bis hin zur Entstehung von so genannten Todeszonen, in denen das Ökosystem kippt.

Kontrollen in verschiedenen EU-Ländern förderten mit schöner Regelmäßigkeit massive Übertretungen der Umweltgesetzgebung zutage. Im Umland einer Pelzfarm zu leben ist auch für die Menschen kein Spaß: kilometerweit in der Luft hängender Gestank, Fliegenschwärme, schreiende Tiere.

Die Bevölkerung im Umland der Pelzfarmen zeigt sich wehrhaft. Allein in Polen kam es zwischen 2012 und 2017 zu über hundert Protesten gegen den verheerenden Einfluss der Pelzfarmen auf die Lebensqualität in ländlichen Regionen.

Abgesehen von den unmittelbaren Auswirkungen auf die Umgebung der Pelzfarmen ist der gesamte Produktionsprozess ein einziges Umweltproblem: So kam eine Vergleichsstudie zwischen Nerz- und Kunstfellmänteln zu dem Ergebnis, dass die ökologischen Folgen der Herstellung eines Nerzmantels bis zu fünfmal so schädlich sind wie bei der Produktion eines auch nicht gerade umweltfreundlichen Pelzimitats aus Plastik.

Beim Verarbeiten und Färben von Pelzen kommen nämlich alle möglichen giftigen Chemikalien zum Einsatz. Die Pelzindustrie ist unter den Top 5 der Industrien mit dem höchsten Ausstoß von umweltschädlichen, toxischen Metallen.

Makabre Randnotiz: Die Pelzproduktion stellt auch eine Bedrohung für die europäische Artenvielfalt dar. Aus Pelzfarmen entkommene Tiere wie der Amerikanische Nerz verbreiten sich in der EU rasend schnell und verdrängen gefährdete, heimische Arten.


Wer Pelz kauft, finanziert die nächste Pandemie.


Im Zuge der Covid-19 Pandemie waren etliche Nerzfarmen, unter anderem in den Niederlanden, in Dänemark, Polen und Spanien von Coronavirus-Ausbrüchen betroffen. Allein in Dänemark wurden im Jahr 2020 etwa 17 Millionen Nerze getötet, auch nicht-infizierte Tiere.

Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass neue Varianten des SARS-CoV-2-Virus von den Tieren auf Menschen übertragen wurden. Die Vorfälle haben bestätigt und verdeutlicht, dass Pelzfarmen eine große Gefahr für die Gesundheit von Tier und Mensch darstellen.

Die Risiken beschränken sich nicht auf dieses eine Virus, im Gegenteil: Wie die Forschung ganz eindeutig belegt, sind alle Tierfabriken – und somit auch Pelzfarmen – eine brandgefährliche Brutstätte für Pathogene, allen voran neuartige Virenmutationen und antibiotikaresistente Bakterien, unter Umständen viel tödlicher als das neue Coronavirus.

Durch gezielte Zucht genetisch ähnliche, gestresste und durch Verletzungen geschwächte Tiere, eng zusammengepfercht mit Tausenden Artgenossen, sind bedauerlicherweise der ideale Nährboden für die Entstehung und Verbreitung von Infektionskrankheiten.


Veränderung ist möglich.

Es ist allerhöchste Zeit, die Grausamkeiten der Pelztierzucht in die Geschichtsbücher zu verbannen. Wollen wir den europäischen Grundwerten treu bleiben, führt der einzig richtige Weg in ein pelzfreies Europa.

Zurzeit bietet sich eine nie dagewesene Gelegenheit, ein Pelzfarmverbot und das Verbot des Verkaufs von Zuchtpelz-Produkten durchzusetzen: In vielen Mitgliedsstaaten sind Pelzfarmen bereits verboten.

Österreich war in dieser Hinsicht ein Pionier: Bereits 1998 wurde die letzte österreichische Pelzfarm geschlossen und das gesetzliche Verbot folgte 2005. In den letzten Jahren folgten etliche weitere EU-Staaten, darunter Luxemburg, Tschechien und die Niederlande.

Aktuellster Neuzugang: Italien. Dort werden die letzten verbleibenden Pelztierhaltungen in den nächsten Monaten geschlossen. Allen positiven Meldungen zum Trotz gehen Zucht, Leid und Tötung in einigen EU-Staaten weiter, unter anderem im oben genannten Polen, aber auch in Ländern wie Finnland und Spanien.

Mehr und mehr namhafte Modemarken, darunter High-End-Label wie Ralph Lauren, Armani, Gucci, Chanel, Versace und Prada, sind den ethischen Forderungen ihrer kritischen Kundschaft bereits nachgekommen und haben sich dazu entschlossen, keine Pelze mehr zu verwenden.

 In der Hall of Shame jener Modehäuser, die sich trotz starker öffentlicher Gegenmeinung noch nicht von Pelzwaren trennen wollen, befindet sich neben anderen auch das Tiroler Unternehmen Sportalm Kitzbühel.

Faktenbasierte Argumentation reicht offensichtlich nicht aus, um die Profiteure der blutigen Pelzindustrie zur Veränderung zu bewegen. Deshalb braucht es neue gesetzliche Vorgaben.

Zurzeit werden die Tierschutzvorschriften der EU als Folge der Bürgerinitiative End The Cage Age überarbeitet. Das ist die optimale Gelegenheit, um ein Verbot der Produktion und des Verkaufs von Zuchtpelz direkt miteinzubeziehen.

Gewöhnliche Unterschriftenaktionen und Petitionen dienen hauptsächlich dazu, die Meinung der Bevölkerung deutlich zu machen und einen Appell an die Politik zu richten. Eine EU-Bürgerinitiative ist hingegen ein direkt-demokratisches Werkzeug, mit dem Wahlberechtigte in allen EU-Staaten die Europäische Kommission dazu auffordern können, neue Rechtsvorschriften zu einem bestimmten Thema vorzuschlagen.

Wenn in der gesamten Europäischen Union mindestens eine Million verifizierte Unterschriften gesammelt und die notwendigen Schwellenwerte an Stimmen in mindestens sieben EU-Ländern erreicht werden, sind die europäischen Institutionen verpflichtet, darauf zu reagieren und Maßnahmen zu ergreifen.

Also: Schreiben wir gemeinsam Tierschutzgeschichte. Unterschrift genügt.

EU-Petition „Fur Free Europe“:
pelzfrei.vgt.at

Videos:
„UNDERCOVER in der Pelzfarm – Mission: PELZ“ Robert Marc Lehmann (2022):
youtube.com/watch?v=6jrvxesnO3w
„Klatki: The Hidden Farms of Europe” (2018):
youtube.com/watch?v=4bM0GTnnMqo
“Slay. The Film that gets under Fashion’s Skin” (2022):
slay.film

Quellen:
asustainablecloset.com/home/the-brands-that-has-ditched-fur-and-the-one-who-hasnt
ethikguide.org/blog/pelzindustrie-in-europa-wo-ist-was-verboten
fashionchangers.de
furfreealliance.com/environment-and-health
peta.de/themen/ist-pelz-nachhaltig
taz.de/Finnland-will-Nerzzucht-weiterfuehren/!5742354
vgt.at/presse/news/2021/news20211028ff.php
vier-pfoten.at/kampagnen-themen/themen/pelz/covid-19-in-pelzfarmen

Lesetipp:
Greger, M. (2020): How to Survive a Pandemic.



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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Nicole

    Sehr geehrte Leser und Leserinnen !
    Aus meiner Sicht finde ich es besser, Pelzmäntel zu entsorgen, als ein solches Produkt aus Tierqual in der Öffentlichkeit zu tragen. Solange Menschen Pelzmäntel anziehen, wird dieses Kleidungsstück salonfähig bleiben und man unterstützt somit diese grausame Pelzindustrie.
    mit freundlichen grüßen, Nicole Staudenherz

  2. c. h. huber

    ich habe ein problem: vor ungefähr 40 jahren habe ich eine nerzjacke und einen persianer-mantel geschenkt bekommen, diese ein paar jahre lang getragen. seither liegen oder hängen sie ungenutzt in meinem kasten – was tue ich damit? kann sie nicht wegwerfen, denn das wäre erst recht eine missachtung der tiere, die damals dafür gestorben sind.

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