Alois Schöpf
Das Publikum kam,
Funktionäre und Kapellmeister fehlten!
Tirols Blasmusikanten verpassten die Chance,
um von den Konzerten
der Innsbrucker Promenadenkonzerte
zu lernen.
Essay

Der psychologische Vorgang ist einfach zu erklären: Die Leitung eines Musikvereins ist sowohl für seine Funktionäre als auch für den künstlerischen Leiter ein derart aufreibender und im Übrigen un- bzw. schlecht bezahlter Job, dass, um ihn überhaupt bewältigen zu können, eine gehörige Portion Fanatismus dazugehört. Dieser wiederum speist sich aus der intrinsischen Überzeugung, dass das Ergebnis aller Anstrengungen zumindest im Rahmen der vorgegebenen Bedingungen ausgezeichnet und vorbildlich ist, eine Beurteilung, die nicht nur von unseren in Sachen Kultur meist ahnungs- bzw. interesselosen, in Sachen Marketing jedoch sich rücksichtslos anbiedernden Kommunalpolitikern nach Konzerten oftmals durch peinliches Lob bestätigt wird. Dies geschieht übrigens auch indirekt durch die Tourismusverbände, welche die sogenannten Platzkonzerte unserer Musikkapellen selbst dann finanzieren, wenn scheußlich gespielt wird, Programme und Moderation, sofern überhaupt vorhanden, fragwürdig ausfallen, und im Übrigen kaum jemand kommt, um den Darbietungen zuzuhören.

Was ist also verständlicher, dass angesichts dieser emotionalen Gemengelage die immer öfter von professionellen Orchestern präsentierten Darbietungen der Innsbrucker Promenadenkonzerte im Innenhof der kaiserlichen Hofburg wie eine gefährliche Krankheit gemieden werden, könnte sich doch durch den Besuch derselben gleichsam infektiös die Erkenntnis breitmachen, trotz aller Bemühungen im unheilbar Amateurhaften steckengeblieben zu sein und daraus über keinen Ausweg zu verfügen.

Solch trübe Aussichten sind nur auf zwei Arten zu therapieren: zum einen durch provinzielle Abschottung und zum anderen durch das anstrengende Bekenntnis zur Kunst und zur Musik – trotz aller Mühen und Hindernisse.

Es ist beschämend, nein es ist traurig, dass sich Tirols Blasmusikanten unter Anführung ihrer Kapellmeister und höchsten Funktionäre so offensichtlich zur provinziellen Abschottung bekennen, was zur Folge hat, dass im Schatten der landesüblichen Selbstüberschätzung sogar jene Kapellmeister seit bald Jahrzehnten durch Abwesenheit glänzen, die schon oft im Rahmen der Konzertreihe auftreten durften und das nunmehr immer höhere spielerische Niveau der Orchester nicht als Ansporn auffassen, selbst besser zu werden und sich der internationalen Orchesterbesetzung anzupassen. Nein, die Tatsache, dass sie nicht mehr eingeladen werden, ist vielmehr Ursache nachhaltiger Empörung, was sich im Vorwurf äußert, die Veranstalter hätten jegliche Bodenhaftung verloren, seien arrogant und gegen die Blasmusik in Tirol insgesamt eingestellt.

Leider werden diese Vorwürfe von den höchsten Funktionären der Dachverbände nicht hörbar zurückgewiesen, sondern geradezu freudig benützt, um sich ebenfalls den Schock professioneller Leistungen zu ersparen und die Wahrnehmung der Innsbrucker Promenadenkonzerte, wenn überhaupt, auf einen einzigen Pflichtbesuch zu beschränken. Zwei Ausnahmen zu nennen gebietet die Gerechtigkeit: Peter Kostner, ehemaliger Kapellmeister der Wiltener und jetzt in Hatting tätig, und der über neunzigjährige, immer noch von musikalischer Neugier beseelte Herbert Ebenbichler, ehemaliger Landeskapellmeister, waren auch heuer wieder oft und gern gesehene Gäste der Konzertreihe.

Besonders traurig ist der Umstand, dass die hohe Abwesenheitsquote unserer Blasmusikelite auch das Konzert des Regimentsorchesters Wien unter Helmut Zsaitsits betraf, das die 800 Zuhörer im Innenhof der kaiserlichen Hofburg stark berührte und zuletzt zu Standing Ovations veranlasste, wobei abgesehen vom eleganten Dirigat die spielerische Qualität des nur 22-köpfigen Orchesters keineswegs als professionell einzustufen war und daher von jedem guten bis sehr guten Amateurorchester, wie es in Tirol viele gibt, erreicht werden kann.

Der Erfolg resultierte also, und genau daraus hätte gelernt werden können, nicht aus der spielerischen Qualität, die lediglich akzeptabel war, sondern aus der Dramaturgie des gesamten Abends, der Moderation, die aus kabarettistischen Einlagen bestand, und vor allem aus der Qualität der Stücke, die aus dem Weltkulturerbe der altösterreichischen Unterhaltungs- und Militärmusik ausgewählt wurden.

Innsbrucker Promenadenkonzerte

Dramaturgie

Das Konzert bestand aus zwei Teilen, die durch eine Pause getrennt waren, in der man Erfrischungsgetränke zu sich nehmen und miteinander ungezwungen plaudern konnte. Der erste Teil begann mit zwei Märschen der Altmeister Johann Strauß und Julius Fucik, die zum ersten umfangreichen Werk hinführten, dem Wiener Bürger Walzer von Carl Michael Ziehrer. Nach Marsch und Walzer folgte sodann eine Arie aus der Operette Die Fledermaus von Johann Strauß, danach mit Der alte Dessauer ein Bravourstück für Trompete, vom Dirigenten höchstpersönlich exekutiert, in der Folge eine humoristische Aufführung des Triumphmarsches aus der Oper Aida, womit nach einer Polka schnell und einem weiteren Marsch der erste Teil des kurzweiligen Programms beendet war.

Der zweite Teil wurde gleich einmal mit einem Klassiker der Transkriptions-Literatur eröffnet, mit Leichte Kavallerie von Franz von Suppé, an den sich der nicht minder berühmte und beliebte Kaiserwalzer von Johann Strauß anschloss. Für Auflockerung nach zwei solch eher schweren Brocken sorgte das Schwipslied aus der Operette Die Fledermaus, das Bravourstück für 3 Trompeten Bugler´s Holiday, worauf das Programm mit der kabarettistisch vorgetragenen Feuerfest Polka von Josef Strauß und dem Welthit Adieu, mein kleiner Gardeoffizier von Robert Stolz in die Zielgerade einbog, um den Abend mit dem viel zu selten gespielten und nach wie vor genialen Alte Kameraden Marsch zu beenden.

Mit dieser Auswahl der Stücke bewies der Dirigent Helmut Zsaitsits eindrücklich, dass durch die Abwechslung der Genres, die Abfolge von längeren und kürzeren Stücken, mit Humor und Soloauftritten auch dann ein hochinteressantes Konzert gestaltet werden kann, wenn sich die Literatur auf den Werkkanon der altösterreichischen Blasmusik beschränkt. Im Übrigen lag auf allen Stühlen ein Folder mit der Programmabfolge und einer kurzen Darstellung des Orchesters.

 

Moderation

Dass der Auftritt des Wiener Regimentsorchesters von Anfang bis zum Ende von einem professionellen Regisseur, von Peter Bacher, der auch an der Wiener Staatsoper tätig ist, vorab durchkomponiert war, ist natürlich als ein besonderer Luxus zu betrachten, der sich vor allem in einigen lustigen und grotesken Blödeleien des als Lakai des Dirigenten fungierenden 1. Klarinettisten niederschlug. Ebenso trugen, wie schon erwähnt, ein bewusst falsch gespielter Triumphmarsch aus Aida und eine mit Schmied und Amboss zum Bauerntheater erhobene Feuerfest Polka zur Unterhaltung und Erheiterung des Publikums bei.

Leider werden die Elemente Dramaturgie und Moderation, die vorerst nichts mit der musikalischen Leistungsfähigkeit eines Orchesters zu tun haben, oft sträflich unterschätzt, ja, geradezu im Gegensatz dazu verfügen sehr prominente Tiroler Kapellen über Standardmoderatoren, die von sich selbst in einer Weise überzeugt sind, dass sie nicht bemerken, wie sehr sie die musikalischen Leistungen ihres Orchesters mit dem Schimmel ihrer Eitelkeit beeinträchtigen. Ich würde sogar die Behauptung wagen, dass in der Regel mehr Konzerte durch eine schlechte Dramaturgie und Moderation ruiniert, statt aufgewertet werden.

Die Werke

Um es noch einmal gebetsmühlenartig zu wiederholen: Die Wiener Philharmoniker erreichen mit ihrem Neujahrskonzert, dessen Werke fast ausschließlich der altösterreichischen Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts entnommen sind, weltweit hunderte Millionen Zuhörer. Der Niederländer André Rieu wiederum, als Person keineswegs ein Sympathieträger und als Musiker durchaus anzweifelbar, begeistert ebenfalls mit altösterreichischer Musik Millionen Menschen. Im Übrigen macht kein Musikliebhaber einem klassischen Orchester den Vorwurf, wenn es vor allem Mozart, Beethoven, Brahms und Mahler spielt. Wenn man all dies bedenkt, ist es schlicht unbegreiflich und traurig, dass unsere in Trachten gewandeten, sich auf eine lange Tradition berufenden Blasmusikkapellen im verfehlten Bemühen, sich dem Publikum gegenüber als auf der Höhe der Zeit zu präsentieren, die Werke aus dem altösterreichischen Werkekanon nahezu gänzlich aus ihren Programmen eliminiert haben. Dabei hat gerade das Konzert des Wiener Regimentsorchesters erneut bewiesen, dass mit dieser Literatur das Publikum emotional erreicht werden kann und die Zuhörerinnen und Zuhörer beglückt und gesättigt mit musikalischer Seelennahrung ein Konzert beklatschten, das, wie schon gesagt, von vielen Tiroler Musikkapellen in ähnlicher Qualität aufgeführt werden könnte, jedoch leider landauf und landab fast nirgendwo mehr aufgeführt wird.

 

Bilanz

Es wird wahrscheinlich lange dauern, um die heimischen Blasmusiker und ihre narzisstisch verletzten Eliten als Zuhörer wieder zu Konzerten zu bringen, bei denen sie aufgrund sehr strenger Qualitätsmaßstäbe selbst nicht mehr mitspielen können. Man kann nur um Verständnis bitten, dass für die Veranstalter der Innsbrucker Promenadenkonzerte auch im Hinblick auf die Subventionsgeber und die Medien ein Zurück zum Amateurhaften schlicht und einfach aus Gründen des Markenschutzes und der internationalen Reputation ausgeschlossen ist. Dennoch wäre es schön, wenn die Konzertreihe irgendwann einmal als sozusagen musikalisches Eichamt anerkannt würde, bei dem man sich alljährlich durch einen Besuch wieder in Erinnerung ruft, was alles im Universum der geblasenen Musik an großartigen Leistungen von der Harmoniemusik über Brass-Ensembles, Brass Bands und Bigbands bis hin zum großen Blasorchester möglich ist.

Aufgabe der Tourimusverbände

Eine Beschleunigung, diese inneren Widerstände zu überwinden und bereit zu sein, von den Besten der Besten zu lernen, könnten übrigens die Tourismusverbände dadurch bewirken, dass sie, auch um die aus den Tourismusbeiträgen der Bevölkerung finanzierten Honorare zu rechtfertigen, endlich eine strengere Evaluierung der Platzkonzerte im Land durchführen und dabei die Frage stellen, wie die jeweiligen Herausforderungen in Sachen Location, Akustik, Werbebemühungen der Vereine und die hier analysierten Elemente Dramaturgie, Moderation und Werkauswahl im Sinne des touristischen, aber auch einheimischen Publikums bewältigt werden.

Ganz abgesehen davon, dass es keine Schande, sondern eine Pflicht ist, wenn traditionelle österreichische Blasmusikkapellen sich ihrer Tradition bewusst bleiben und daher eine Literatur pflegen, die das Publikum live sonst kaum irgendwo zu hören bekommt, wodurch auch strenge Maßstäbe der Aufführungsqualität in einem etwas milderen Licht gesehen werden können.

Fotocredit: Kreativstadl und Amir Kaufmann
(https://www.promenadenkonzerte.at/de/impressionen/impressionen/19-0.html)

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hermann Sonnleitner

    Auch ich finde es traurig, dass bei den heurigen Promenadenkonzerten, teilweise sehr wenige Leute waren. Viel bessere Blasmusik, kann einem nicht mehr geboten werden.

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