Andreas Niedermann
Lass dich nicht beirren in dieser irren Zeit.
Essay

In meinem Leben gibt es eine Konstante, die alle anderen überragt, wie der Mont Blanc die anderen Alpengipfel; nämlich die, dass mir jemand etwas anschaffen will, meine Moral korrigieren; meine Einstellung und mein Verhalten kritisiert, die es beide dringend zu verändern gelte.

Begonnen hat es mit Gott. Gott war ein Agent und Spion meiner Eltern. Der Mother sah einfach alles, wusste alles, und vor allem: er strafte sofort. Kleine, lässliche Sünden wurden durch schmerzhafte Ungeschicklichkeiten vergolten.

Ich war noch keine fünf Jahre alt, als ich mir das nicht mehr gefallen ließ. Ich marschierte ins Elternschlafzimmer, griff mir ein Jesus-Bild hinter Glas, warf es zu Boden und zertrampelte es. „So, jetzt hab ich Gott auch mal gestraft“, soll ich gesagt haben.

Dass ich nur den Sohn drankriegte, war ein bisschen schade, aber Gott ließ sich ja, feige wie er ist, nie blicken.

Später trat Gott etwas in den Schatten von allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen: Keine langen Haare (ist unmännlich), keine Jeans mit Schlag, keine Rockmusik, kein Hippizeugs und ja keine Drogen.

Und genau das war es, was ich wollte – und was ich tat. Lange Haare, Jeans, Rock, Hippiezeugs, Drugs.

Ich war sechzehn oder siebzehn, und meine Freunde aus dem Lehrlingsheim waren Kommunisten und sprachen mehr und mehr nur noch in abgepackten Sätzen. Zusehends redeten sie mir ein, dass mein Lesestoff, meine Musik, mein romantisches Wesen einfach nur falsch waren und dem Klassenfeind nützten; dem amerikanischen Hegemon und seinem zionistischen Büttel Israel. Atomkraftwerke (es war Anfang der 70er) waren nur schlecht, wenn sie im Kapitalismus betrieben wurden. Ansonsten waren sie ein Segen für das Proletariat.

Ich entzog mich durch Ortswechsel. Aber nur etwas später fand man es kaum tragbar, dass ich nicht bei den Anti-Atom-Demos auftauchte. Ich hielt und halte AKWS nicht für Teufelszeug, und man kann mir jederzeit ein Fässchen Atommüll zur Aufbewahrung vorbeibringen. Ich war nicht technikfeindlich. Ich hatte einen technischen Beruf erlernt.

Dann ging es darum, die RAF gut zu finden und die BRD als faschistischen Staat zu begreifen. Ich gestehe, dass ich so halbwegs dieser Meinung war. Nicht, dass es mich durchdringend interessiert oder ich mich ausgekannt hätte. Aber meine Stimmung war gerade radikal und mein Blickfeld verengt. Man war der Meinung, dass ich nicht mehr Bob Dylan hören sollte, und dass Johnny Cash sowieso ein rechtsradikaler, bigotter Pimpf sei. Ich tat es trotzdem. Vorwiegend heimlich.

Dann ging es gegen die Stationierung von Pershing-Raketen in der BRD. Peace, Peace, Peace! Dass die Russen ihre Raketen gegen uns gerichtet hatten, war okay. Schließlich bedrohte die NATO die guten Kommunisten hinter dem Vorhang. (Hat sich kaum was geändert, im Mind von vielen Linken.)

In den späten Neunzigern und frühen Zweitausendern, in der „Haider-Ära“ Österreichs, durfte niemand mehr kritisiert werden, der links stand. „Das nützt nur Haider“, hieß es. Aber es hätte da einiges zu bekritteln gegeben.

Allmählich dämmerte mir, dass es immer jemand geben würde, der sich berufen fühlte, mich (und andere) zu korrigieren, Vorschriften zu machen und mir meine/unsere vermeintliche Torheiten aufzuzeigen.

So wie es heute die autoritären Woken versuchen.

Junge schwarze, reiche, privilegierte Absolventinnen von Eliteunis sehen sich berufen mir und anderen zuzurufen, dass wir alte, weiße Cis-Männer gefälligst die Fresse zu halten haben, weil wir (wie es die reiche, privilegierte, unendlich geschäftstüchtige, weiße Cunt namens Robin DiAngelo in ihrem Buch White Fragility behauptet), schon von Geburt an Rassisten sind.

Dabei hat die schwarze junge Lady mit einer gleichaltrigen Schwarzen in irgendeinem Flüchtlingslager so viel zu tun wie ein 70 Jahre alter, weißer, in seiner Seiche liegender obdachloser Bulgare mit den Weißen-Mann-Privilegien eines Donald Trump.

Der Meinung der Lady schließen sich auch Linkskapitalisten an, die alle Hände voll zu haben, Besitz zu erwerben.

Und schon haben wir wieder jemanden, der darüber bestimmen will, was ich zu denken, zu sagen, zu lesen, zu sehen, zu tun habe. Schätze, es wird nicht das letzte Mal sein. Und es ist auch bestimmt nicht das letzte Mal, dass ich sage: Go fuck yourself!

Aber in einem haben die Woken sicher recht. Ich sage es mit den Worten eines meiner Lieblings-Comedians, dem Briten Jimmy Carr: Schwarze dürfen Witze über Schwarze machen. Juden über Juden. Lesben über Lesben, Schwule über Schwule. – Gehn zwei Päderasten in den Park …

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Susanne Preglau

    Lieber Herr Niedermann,
    ich bin fast gleich alt wie Sie und fühle mich in vielem, das Sie in Ihrem Beitrag schreiben, an meine Jugend erinnert und kann Ihnen in vielem zustimmen.
    Außerdem habe ich viel dazugelernt – da ich in Wikipedia einige Begriffe gesucht und gefunden habe, die ich vorher noch nie gehört hatte.
    Vielleicht ist das auch für andere Leser des schoepfblog hilfreich.
    woke: erwacht; afroamerikan. Englisch: erwachtes Bewußtsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus
    Cis-Männer: cis- (lateinisch) diesseits, in dem Geschlecht bleibend, das einem zugeschrieben wurde, im Gegensatz zu trans- : darüber hinaus, jenseits.

    1. Andreas Niedermann

      Interessant ist im Zusammenhang mit „Woke“, dass dieses Wort – wie Sie richtig recherchiert haben – aus der afroamerikanischen Kultur stammt, und die „Woken“ sich gegen jede kulturelle Aneignung wenden.
      Aber wie schon Orwell wusste: Alle sind gleich. Aber einige sind gleicher …

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