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Nicole Staudenherz
Blutrote Wollknäuel
Ein Drama in fünf Akten


Prolog: Vom Luxus zum Massenprodukt

Das Lamm, der Inbegriff der Unschuld. Wer könnte diesem liebenswerten Wesen ernsthaft etwas zuleide tun? Bühne frei für den Homo Sapiens, der keine Quälerei und Mühe scheut, um sich in fremdes Fell zu kleiden. Die traurige Rolle der Wolle: ein blutroter Faden, getarnt als modisches Statement, reingewaschen durch geschicktes Marketing. Und so entspinnt sich eine Tragödie, bei der das kauflustige Publikum größtenteils wegschaut.

Die historische Kulisse: Bis ins 19. Jahrhundert ist Wolle ein teurer und begehrter Rohstoff und das Tragen von Wollkleidung ein Privileg der Wohlhabenden. Erst als Australien und Neuseeland beginnen, Schafwolle in großem Stil in alle Welt zu liefern, wird der feine Faden für mehr und mehr Menschen erschwinglich. Auch heute sind die beiden Länder bei Wollexporten führend. Zusätzlich mischt China auch auf diesem lukrativen Markt kräftig mit.

Am Beispiel des Schafwoll-Giganten Australien wollen wir nun einige gar nicht so kuschelige Fakten über die Branche ins Rampenlicht rücken. Auf dem Kontinent leben etwa 64 Millionen Schafe (Stand: Mitte 2020), die Herden bestehen oft aus Tausenden Tieren. Wer eine Herde mit 5000 Tieren hat, gilt als Kleinbetrieb. Australien liefert 88% der weltweit gehandelten Merinowolle. Immenses Tierleid zieht sich systematisch durch die gesamte „Produktionskette“.


Erster Akt: Tödliche Vernachlässigung

Das zarte Blöken der neu geborenen Lämmer verhallt ungehört. Für australische Schafhalter lohnt es sich weder finanziell noch zeitlich, alle Geburten zu kontrollieren. Das führt dazu, dass schwangere und neugeborene Tiere oft zu wenig Nahrung bekommen und dazu auch noch der Witterung ausgesetzt sind. Medizinische Versorgung gilt als unnötiger Kostenfaktor. So sterben zahllose Tierbabys bereits wenige Stunden nach der Geburt. Allein in Australien sind das 10-15 Millionen Tiere, die Jahr für Jahr wegen akuter Vernachlässigung qualvoll verenden. Das entspricht bis zu 77% der Neugeborenen innerhalb einer Herde.


Zweiter Akt: Schmerzhafte Verstümmelung

Die Schreie gehen durch Mark und Bein, doch die riesige Schere schnippelt weiterhin am wehrlos fixierten Tier herum. Auf jene Lämmer, die ihre Outdoor-Geburt überlebt haben, wartet noch im Kleinkindalter eine Serie an brutalen Eingriffen: Männliche Lämmer werden kastriert und bei vielen jungen Schafen werden außerdem die Schwanzwirbel abgeschnitten – alles ohne Betäubung. Schmerzmittel erhalten die Tiere häufig nur einmalig oder gar nicht.

Der Gipfel der Grausamkeit ist das so genannte Mulesing: Merinoschafe haben durch gezielte Zucht besonders faltige Haut mit dichter Wolle. In diesen Hautfalten nisten sich gerne Fliegenlarven ein, vor allem am Hinterteil. Die Maden fressen sich ins Fleisch und das endet für Millionen Tiere tödlich. Deshalb ist es in Australien üblich, Merinolämmern große Haut- und Fleischstücke rund um den Schwanz abzuschneiden – auch das ohne Betäubung. Noch lange nach dem Eingriff leiden die Tiere an heftigen Schmerzen. Die offenen Wunden werden nicht versorgt, auch beim langwierigen Abheilen kann es unter Umständen erst recht wieder zum Madenbefall kommen. Über 90% der australischen Wolle stammt von Schafen, die dieser Tortur unterzogen wurden.

Mindestens zweimal pro Jahr taucht man die Tiere vorbeugend in ein Pestizidbad, um weiterem Parasitenbefall vorzubeugen. „Sheep dipping“ lautet der grässliche Euphemismus für die Giftkur. Die massenhaft eingesetzten Chemikalien belasten Tier, Mensch und Natur. Pestizidbäder sind nicht nur in Australien üblich, sondern auch in anderen großen Produzentenländern wie China, Neuseeland oder Großbritannien.


Dritter Akt: Angezüchtetes Leid

Schwitzen, Schnaufen und stilles Leiden: So fühlt sich der Sommer für Australiens Wollschafe an. In der Wildform würde Schafen nur so viel Wolle wachsen, wie sie selbst brauchen. Doch der natürliche Wollwechsel im Frühjahr wurde den Tieren schon vor langem weggezüchtet. Ursprünglich wurde Wolle gewonnen, indem man es den Schafen während der Zeit des natürlichen Fellwechsels auskämmte. Die Zucht zum Zweck des permanenten Vlieswachstums begann erst nach der Erfindung der Schermesser. Für einen möglichst hohen Ertrag züchtet die Wollindustrie den Merinos auch noch deutlich mehr Wolle an, als ihnen von Natur aus wachsen würde. Das ist verheerend, denn schon ab 25 Grad plus leiden Schafe an Hitzestress. Die Thermoregulation verläuft vorwiegend über die Atmung und ist bei Wollschafen vergleichsweise eingeschränkt, auch nach der Schur. In den heißen Sommermonaten sterben viele Tiere deshalb an Überhitzung, bei Kälteeinbrüchen nach der Schur wiederum an Unterkühlung.


Vierter Akt: Brutale Schur

Das Surren der Schergeräte kann die verzweifelten Rufe der Tiere nicht übertönen. Wer sich die Schur als entspannten Friseurbesuch vorstellt, liegt leider völlig daneben. Nur wenn die Tiere von Hand, von geschultem Personal und mit der nötigen Zeit und Sorgfalt geschoren werden, lassen sich Schnittverletzungen vermeiden. Andernfalls ist die Schur eine sehr unangenehme und schmerzhafte Prozedur für die Tiere. Schafe sind Fluchttiere, die in Angst und Panik geraten, wenn sie eingefangen und fixiert werden. Halten die Tiere nicht still, dann schlagen oder treten die Scherer auf sie ein. Zeit ist Geld in dieser Branche, Akkordarbeit der Normalfall. So stehen pro Tier etwa zwei Minuten zur Verfügung. Viele Schafe erleiden Schnittwunden, manchmal werden sogar ganze Körperteile abgeschnitten. Verletzungen werden bisweilen ohne Schmerzausschaltung mit Nadel und Faden notdürftig „zusammengeflickt“.


Fünfter Akt: Todesfahrt übers Meer

Auch dieses Todesröcheln verhallt ungehört und das Blut gurgelt leise in den Ausguss, während das Publikum weiterhin wegschaut. Schafe, die nicht mehr genug Wolle produzieren, werden geschlachtet. Australien verkauft jedes Jahr etwa eine Million „ausgediente“ Wollschafe ins Ausland, größtenteils in den Mittleren Osten oder nach Nordafrika. Zu Tausenden werden die Tiere auf mehrstöckige Transportschiffe getrieben und leiden auf tage- oder wochenlangen Schiffsfahrten unter Hitze, Nahrungs- und Wassermangel. Die Tiere sind gezwungen, knietief in ihren eigenen Fäkalien zu stehen, tote Tiere werden über Bord geworfen. Die Bedingungen auf den Schiffen sind so schlecht, dass im Durchschnitt 10% der Tiere während der Überfahrt sterben. Am Zielort wird jenen, die das Horrorschiff überleben, meist ohne Betäubung die Kehle durchtrennt.


Epilog: Alternativen und Auswege

Die traurige Zwischenbilanz lautet: Wer unhinterfragt im Kaufhaus den schicken Merinopulli ersteht, hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit systematische Tierquälerei gesponsert. Den blutigen Preis für menschliche Ignoranz und Eitelkeit haben die Tiere bezahlt.

Wer auf Wolle nicht verzichten möchte und noch Empathie im Leib hat, sollte zumindest Firmen unterstützen, die bewusst auf Wolle ohne Mulesing setzen. Trotz Gütesiegel bleiben aber gewisse Unsicherheitsfaktoren bestehen, Kontrollen sind niemals lückenlos. Die Lieferkette bleibt vielfach eine Blackbox, bei weitem nicht alle Unternehmen leisten sich Zertifizierungen oder kostspielige Audits. Es lohnt sich also durchaus, Bekleidungsfirmen anzuschreiben und kritische Fragen zu stellen.

Ob man klare Antworten bekommt, steht auf einem anderen Blatt. Doch nur wenn viele Konsumenten bereit sind hinzuschauen und nachzufragen, wird die Modeindustrie reagieren und Druck auf die Wollproduzenten machen. Denn mittlerweile gibt es auch in Australien Schafhalter, die bei Merinoschafen auf fliegenresistente Zuchtlinien setzen oder Mulesing mit anderen Methoden vermeiden. Somit wäre eine Zukunft zumindest ohne diese grausame Praxis vorstellbar.


Viele andere Probleme bleiben allerdings bestehen.

Selbst bei heimischer Wolle von regionalen Familien- und/oder Biobetrieben gibt es viele Fragezeichen. Denn auch hierzulande werden Schafe nicht als Kuscheltiere gehalten. Die allermeisten Weiden und Almen sind keine Lebenshöfe, wo die Tiere bei Nachlassen des Wollwachstums oder der Milchleistung einen sorgenfreien Ruhestand genießen können. Gerade Kleinbetriebe können es sich meist nicht leisten, „unproduktive“ Tiere durchzufüttern. Und das Verdienstmodell inkludiert ganz bewusst auch die Vermarktung von Lammfleisch. Deshalb endet das Leben österreichischer Schafe üblicherweise nicht im Tier-Altersheim, sondern lange vor dem natürlichen Lebensende gewaltsam am Schlachthof.

Wie jüngste Aufdeckungen des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) zeigen, geht es in Österreichs Schlachthöfen alles andere als flauschig zu: Bei zwei Betrieben in Niederösterreich wurden unzählige Schafe sogar betäubungslos geschlachtet. Die zuständigen Kontrollorgane: nicht anwesend.

Insgesamt fehlt es an Überprüfungen, ob geltende Gesetze eingehalten werden. Somit ist groben Verstößen Tür und Tor geöffnet. Dazu kommen Auslandsexporte: So werden in direkt aus der Alpen-Idylle Jahr für Jahr Tausende Schafe mittels brutaler Lebendtransporte in Länder verkauft, wo Tierschutz vielfach ein Fremdwort ist. Was die empfindsamen Tiere dort erwartet, ist überhaupt nicht schön. Dies haben namhafte NGOs vielfach belegt.

Zwar gibt es mittlerweile so genannte „Vegetarierwolle“. Der etwas unglücklich gewählte Name kommt daher, dass die Schafe für Veggie-Wolle nicht getötet werden, sondern eines natürlichen Todes sterben dürfen. Allerdings ist es aus heutiger Sicht nur schwer vorstellbar, dass dieses gut gemeinte Nischenprodukt in jenen gigantischen Mengen produziert wird, wie es bei herkömmlicher Wolle heutzutage der Fall ist. Denn global gesehen ist Wolle ein Milliardenmarkt mit Handelsvolumina von vielen Millionen Tonnen pro Jahr.

Das Tragischste an der Sache: Entgegen allen streichelweichen Werbeversprechen ist Wolle nicht einmal besonders umweltfreundlich. Es beginnt beim Landverbrauch: Dieser ist im Vergleich zu anderen Fasern deutlich größer. In etlichen Herstellerländern führt Überweidung zu massiver Bodenerosion.
Abgesehen von dieser Problematik ist die Herstellung von Schafwolle klimarelevant: Schafe sind bekanntlich Wiederkäuer und wenn viele Millionen Schafe Gras verdauen, dann entstehen gewaltige Mengen an Methan. Dieses Gas ist 25 Mal klimaschädlicher ist als CO2.

Warum also nicht gleich zu ökologisch hergestellten Pflanzenfasern greifen? Vielversprechende Alternativen zu Wolle sind zum Beispiel Kapok, Sisal oder Hanf. Letzterer ist besonders erwähnenswert, zumal diese schnell nachwachsende Pflanze im Anbau meist ohne Pestizide und Düngemittel auskommt. Sogar Plüsch aus Bio-Baumwolle ist bereits bei vielen Anbietern erhältlich.

Auch bei Kunstfaser-Produkten lohnt es sich, genauer hinzuschauen und sie nicht pauschal als umweltschädlich vom Tisch zu wischen. So bieten etliche Modelabels Winterkleidung aus recyceltem Meeresplastik an. Traurig, aber wahr: Wiederverwertbaren Plastikmüll gibt es auf diesem Planeten wahrlich mehr als genug. Auch innovativer Materialmix bietet sich an, wie zum Beispiel Satifur, ein webpelzartiges Produkt aus Hanf und recycelten PET-Flaschen, das sehr gut wärmt und kuschelig weich ist.


Futuristische Fasern gefällig?

Sojaseide: Diese komplett biologisch abbaubare Faser ist weich und glänzend wie Seide, haltbar wie Baumwolle und warm wie Kaschmir. Das Rohprodukt Sojafasern ist ein Nebenprodukt aus der Verarbeitung von Sojabohnen. SeaCell verbindet Zellulose mit Algen und hat durch seine besondere Struktur zugleich wärmende oder kühlende Materialeigenschaften.

Nullarbor ist ein baumwollartiges Material aus fermentierten Kokosfasern. Zur Herstellung werden Abfallprodukte der Kokosnuss-Verarbeitung genutzt. Dieses umweltfreundliche Garn kann innerhalb von knapp drei Wochen hergestellt werden, während die so genannte „Woll-Ernte“ nur zwei Mal pro Jahr stattfinden kann.

Wie bei vielen Fragen der Tierethik lässt sich also auch hier wieder das Fazit formulieren: Wir haben die Wahl. Der Kassenbon ist unser Stimmzettel: Für die Tiere oder gegen die Tiere.


Quellen:
http://www.schafeundziegen.com/detailansicht/article/wenn-hitze-gefaehrlich-wird
https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/schafwolle
https://ethikguide.org/blog/guetesiegel-fuer-wolle-ohne-grausames-mulesing
https://ethikguide.org/infothek/cruelty-free-eco-fashion/
https://ethikguide.org/infothek/die-blutige-spur-der-wolle/
https://ethikguide.org/infothek/was-ist-vegetarierwolle/
https://nanollose.com/products/nullarbor-fibre
https://secure.animalsaustralia.org/take_action/live-export-shipboard-cruelty
https://vgt.at/presse/news/2021/news20210921mn.php
https://www.abs.gov.au/statistics/industry/agriculture/agricultural-commodities-australia/latest-release
https://www.fao.org/faostat/en
https://www.peta.de/themen/nachhaltige-wolle
https://www.peta.de/themen/schafe-scheren
https://www.peta.de/veganleben/vegane-wolle/
https://www.petazwei.de/artikel/ist-wolle-vegan/
https://www.petazwei.de/themen/wolle/
https://www.planet-wissen.de/technik/werkstoffe/wolle/index.html
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0921448816302826
https://www.smartfiber.de/en/seacell-fiber
https://www.vegan.at/categories/wolle
https://www.vegan.at/inhalt/wolle
https://www.vegan.at/wollfakten
https://www.vier-pfoten.at/unsere-geschichten/pressemitteilunge
n/einkaufscheck-merinowolle-nur-wenige-firmen-koennen-grausames-mulesing-ausschliessen
https://www.vier-pfoten.at/unsere-geschichten/publikationen/stricken-mit-herz


Videos:
„Eine Zukunft ohne Mulesing“ https://www.youtube.com/watch?v=8Npdl2kcu5w
„Merino-Boom – Der wahre Preis der Kuschelwolle“ https://www.youtube.com/watch?v=B6DUuVBrIqk

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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Herbert Gufler

    Hallo Alois,
    sehr guter Artikel von Frau Staudenherz!
    Kennst du sie persönlich?
    Möchte den Artikel übersetzen und an Zeitungen schicken.
    Kannst du mir ihre E-mail-Adresse schicken? Brauche ihre Zustimmung dazu.
    Schicke dir auch einen Artikel über das, was sich in Europa zusammenbraut: World War III! Sehr gut geschrieben und sehr leicht möglich. Vielleicht kannst du ihn für deinen schoepfblog verwenden.
    Epidemie noch in vollem Gang – China droht uns jede Woche mit Krieg – keine
    Frohen Weihnachten in Sicht!
    Grüße aus Taiwan.

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