Nicole Staudenherz
Neue Wege
einer gewaltfreien Landwirtschaft
Essay

Tierleid, Methan-Emissionen, Biodiversitätskrise: Die konventionelle Landwirtschaft mit ihrem Fokus auf Tiernutzung ist nicht zukunftsfähig. Deshalb braucht es mutige Pioniere, die neue Wege gehen. Ihre Mission besteht darin, Bewusstsein für Tierethik zu schaffen, klima- und ressourcenschonende pflanzliche Lebensmittel zu produzieren und zugleich zum Erhalt der Ökosysteme beizutragen. Einige dieser Betriebe sollen hier vorgestellt werden.


Lebensräume schaffen: Der Naturschutzhof

2014 fassten Maria Schmidt und Harald Stoiber den Entschluss, aufs Land zu ziehen. Denn sie hatten eine ganz besondere Vision: die Gründung eines Naturschutzhofs, um möglichst viele Menschen vom Erhalt der Artenvielfalt zu überzeugen. Mit diesem Ziel übernahm das engagierte Paar den Hof von Marias Urgroßmutter in Going am Fuße des Wilden Kaisers.

Die ersten Schritte folgten bald nach der Übernahme: Ein Bauerngarten wurde angelegt, Bäume wurden gepflanzt und gerettete Hühner bekamen ein neues Zuhause. Hier dürfen die Tiere einfach leben, ganz gleich, ob sie noch produktiv sind.

Zeitgleich entstanden mehrere Naturschutzprojekte: Maria, Harald und ihr Team legten Blühflächen und einen Naturteich für Frösche und Libellen an, setzten über 1.000 Heckenpflanzen und errichteten eine Trockensteinmauer für Eidechsen und Käfer. Nisthilfen für Vögel und eine insektenschonende Mahd tragen darüber hinaus dazu bei, den Hof in ein Paradies für unzählige Tierarten zu verwandeln.

Zur Herstellung wertvoller regionaler Lebensmittel wurde der Bauerngarten erweitert, außerdem wurden zusätzliche Obstbäume und Beerensträucher gepflanzt. Die Naturschutzprojekte werden teilweise von öffentlicher Hand gefördert und haben bereits mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten. Einige der Projekte werden wissenschaftlich begleitet.

Außerdem bietet der Naturschutzhof mittlerweile Platz für etwa 30 gerettete ehemalige Nutztiere. Interessierte Personen können den Hof besuchen oder sogar dort Urlaub machen.


Ökologischer Ackerbau: Der Biohof

Der Ackerlhof in Gallneukirchen verbindet Tradition mit Innovation. Seit dem 17. Jahrhundert wird auf dem Mühlviertler Vierkanthof schon Landwirtschaft betrieben. Rinder prägten das Geschehen am Hof über Jahrhunderte.

Als Gregor Mittermayr im Jahr 2015 den Bio-Hof von seinen Eltern übernahm, änderte sich so manches. Er stellte von Grünland auf ökologischen Ackerbau um und veredelt seitdem die angebauten Hülsenfrüchte handwerklich zu schmackhaftem Mühlviertler Bohnenkas.

Heute werden am Ackerlhof auf zehn Feldern verschiedene Getreidesorten und Sonderkulturen wie Hanf angebaut. Ein Feld ist dabei für den Anbau der Sojabohnen reserviert. Als Bio-Betrieb setzt der Ackerlhof auf Fruchtfolge, Gründüngung und Kleebrache zur Erholung der Ackerflächen. Oberstes Ziel ist die langfristige Sicherung der Bodenfruchtbarkeit.


Tierschutz-Botschafter: Der Lebenshof

Juliane und Josef Habersatter sind Landwirte aus Leidenschaft. 2015 übernahmen sie den Familienbetrieb im Salzburger Land mit Mutterkuhhaltung und nachhaltiger Forstwirtschaft. Seit vielen Generationen werden Tiere am Hof landwirtschaftlich genutzt, aber das Paar traf die ethisch motivierte Entscheidung, eine andere Richtung einzuschlagen. So entstand das Projekt Lebenslänglich.

Im Jahr 2020 stiegen die beiden aus der Nutztierhaltung aus, stoppten die Vermehrung der Tiere und lassen die Rinder einfach leben, ohne Nutzen, ohne Zwang, ohne Leistung, wie sie auf ihrer Webseite betonen. Die schöne Landschaft wird weiterhin gepflegt, es werden aber keine Kälber mehr produziert, die dann im System nur noch als Ware behandelt werden. Dafür gibt es gute Gründe:

Weil wir denken, dass unsere Erde nicht noch mehr gezüchtete Tiere, noch mehr Landraub und noch mehr Ressourcenverschwendung braucht. Zudem ist es unsere Gesundheit wert, neue Wege zu gehen und bewusster mit Lebensmitteln umzugehen. In der heutigen globalisierten Welt ist es möglich, sich pflanzlich vollwertig und gesund zu ernähren.

Auch auf diesem Hof können Tierfreunde ihren Urlaub verbringen, inmitten von Wiesen, Wäldern und glücklichen Tieren, die zu Botschaftern für ein friedliches Zusammenleben aller Lebewesen geworden sind.


Transfarmation und postletale Landwirtschaft

Höfe wie diese gibt es viele. Und sie werden immer mehr. Einerseits steigen zunehmend Betriebe auf den Anbau von Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Kräutern oder Nüssen um. Interessante Nischen sind beispielsweise auch der Safran-Anbau in der Schweiz oder die Erdnussfelder von neuland.bio im niederösterreichischen Weinviertel.

Andererseits entstehen mehr und mehr Refugien für gerettete Tiere. Wer sich in das Thema vertiefen möchte, findet in der sehr sehenswerten Dokumentation Lebenshöfe: Visionen für eine friedlichere Welt weitere Einblicke und Denkimpulse.

In diesem Kontext ist oft von Transfarmation die Rede. Das ist der Sammelbegriff für alle Formen der Veränderung von herkömmlichen agrikulturellen Praktiken hin zu einer nachhaltigen, gewaltfreien und pflanzenbasierten Form der Landwirtschaft.

Eine pflanzenbasierte Agrarwende bringt zahlreiche Vorteile mit sich, unter anderem die folgenden: Schutz von Böden und Grundwasser vor Verschmutzung, indem auf überhöhten Einsatz schadstoff- und nitrathaltiger Dünger verzichtet wird; Reduktion klimaschädlicher Methan- und CO2-Emissionen; Freiwerden von Flächen, die bisher für die Produktion von Tierfutter benötigt wurden, und damit auch Schutz und Regeneration von Wald-Ökosystemen; Produktion gesunder, klimafreundlicher Lebensmittel; Fokus auf eine wertschätzende Haltung den Tieren und der gesamten Mitwelt gegenüber.

Darüber hinaus nehmen die umgestellten Höfe mit ihren Tieren eine Vermittlerfunktion ein und sind Vorbild für eine friedlichere, nachhaltigere Welt als Teil eines gesellschaftlichen Wandels hin zu mehr Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit.

Weltweit gibt es viele Organisationen, die diesen Wandel begleiten und unterstützen. Im deutschsprachigen Raum sind es vor allem die NGOs Hof Narr in der Schweiz, bevela in Deutschland und landvirte in Österreich. Sie bieten Information, Rat und konkrete Unterstützung für Betriebe, die aus der Tierhaltung aussteigen wollen.

So nimmt die Vision einer postletalen Landwirtschaft, die sich von der willentlichen Nutzung und Tötung empfindungsfähiger Lebewesen verabschiedet hat, konkrete Gestalt an.


Ausblick: Landwirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen

Die Beweggründe für die Transfarmation sind sehr stark tierethisch fundiert. Wie jedoch weiter oben bereits angedeutet wurde, ist eine Reform des Agrarsystems auch für uns Menschen und für all die anderen Lebewesen auf diesem Planeten überlebenswichtig.

Martin Schlatzer, Experte am Forschungsinstitut für biologischen Landbau Österreich, stellt fest:

Wir haben es derzeit mit multiplen Krisen zu tun, die auch das Ernährungssystem, die Gesundheit und die Klimakrise umfassen. Wenn wir den Druck von unseren verfügbaren Flächen nehmen wollen und zugleich die Gesundheit von Mensch und Tier profitieren soll, dann ist die Transformation zu stark pflanzenbetonten Ernährungsweisen essentiell.

Nur durch eine drastische Reduktion der landwirtschaftlichen Tierhaltung lässt sich gewährleisten, dass wir die international vereinbarten Klimaziele erreichen können. Eine Weiterführung des Status Quo können wir uns schlichtweg nicht leisten, wenn die Erde für uns auch in der nicht allzu fernen Zukunft noch bewohnbar bleiben soll. Die Wissenschaft spricht in dieser Hinsicht eine sehr klare Sprache, auch in Bezug auf Österreich.


Durch ein pflanzenbetontes bzw. rein pflanzliches, regional geprägtes, ökologisches Ernährungssystem lassen sich die klimaschädlichen Emissionen in diesem Bereich um bis zu 70 Prozent reduzieren.

Eine Abkehr von der fleisch- und milchlastigen österreichischen Durchschnittskost hin zu einer pflanzenreichen Planetary Health Diet würde Millionen Tieren ein unwürdiges Leben und einen grausamen Tod ersparen. Darüber hinaus würden Studien zufolge große Flächen für die Produktion pflanzlicher Lebensmittel frei werden und zusätzlich auch Flächen, die renaturiert und aufgeforstet werden könnten.

In einem der berechneten Szenarien könnte Österreich weitgehend ernährungsautonom werden und noch dazu alle wesentlichen Lebensmittel in Bio-Qualität im Inland erzeugen.

Höchste Zeit also, auch in Österreich entschlossene Schritte zu einer zukunftsorientierten Agrarreform einzuleiten. In den Worten der großartigen Tierethikerin Friederike Schmitz:

Solange es Chancen gibt, die große Transformation zu schaffen, müssen wir es probieren, nach bestem Wissen und Gewissen. Und auch wenn wir nur ganz kleine Fortschritte erreichen, lohnt es sich, gerade weil so viel auf dem Spiel steht. Wir können die Klimakatastrophe nicht mehr aufhalten, aber es kommt noch immer auf jedes Zehntelgrad an, weil jedes Zehntelgrad an zusätzlicher Erwärmung mehr Leid und Tod bedeutet. […] Jeder Hektar Fläche, der renaturiert oder nicht erst gerodet wird, kann ein wertvoller Lebensraum sein. Und jedes einzelne Tier, das aus der Tierindustrie gerettet oder gar nicht erst in dieses Elend hineingeboren wird, macht einen Unterschied.

Bücher:
Mann, Stefan (2022): Postletale Landwirtschaft. Zur anstehenden Reform unseres Agrarsystems.
Schmitz, Friederike (2022): Anders satt. Wie der Ausstieg aus der Tierindustrie gelingt.

Videos:
„Lebenshöfe: Visionen für eine friedlichere Welt“, youtube.com/watch?v=8Vu3xleWVkc
„Vegane Bauern – Landwirtschaft ohne Nutztiere“, youtube.com/watch?v=YjQ3qFT9ats

Höfe:
ackerlhof.bio
going-artenreich.at
lebenslaenglich.at

NGOs:
bevela.de
hof-narr.ch
landvirte.at
neuland.bio

Wissenschaftliche Quellen zum Thema Klima & Ernährung:
Bruckner, M. et al. (2023): Ernährungspyramide 2.0.
Für eine gesunde und nachhaltige Ernährung in Österreich. wwf.at/artikel/ernaehrungspyramide
Schlatzer, M., Lindenthal, T. (2022): Die Auswirkungen einer Reduktion des Fleischkonsums auf Tierhaltung, Tierwohl und Klima in Österreich – unter Berücksichtigung eines 100% Bio-Szenarios. vier-pfoten.at/studie-reduktion-fleischkonsum
Lauk, C. et al. (2022): Demand side options to reduce greenhouse gas emissions and the land footprint of urban food systems: A scenario analysis for the City of Vienna. Journal of Cleaner Production 359. sciencedirect.com/science/article/pii/S0959652622016717
Zamecnik, G. et al (2021): Klimaschutz und Ernährung – Darstellung und Reduktionsmöglichkeiten der Treibhausgasemissionen von verschiedenen Lebensmitteln und Ernährungsstilen. orgprints.org/id/eprint/42833
Schlatzer, M./ Lindenthal, T. (2020): Einfluss von unterschiedlichen Ernährungsweisen auf Klimawandel und Flächeninanspruchnahme in Österreich und Übersee. fibl.org/fileadmin/documents/de/news/2020/startclim_endbericht_2012.pdf
Willet, W. et al. (2019). Food in the Anthropocene: the EAT-Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)31788-4/fulltext
Poore, J./ Nemecek, T. (2018). Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers.
science.org/doi/10.1126/science.aaq0216

Sonstige Quellen:
safranzunft-mund.ch/safranmund.html

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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

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