Nachgefragt:
Ergänzungen zu Paul Dietls
"Sicher sein, was wirkt.
Wie unterscheiden wir in der Medizin
Glauben von Wissen?"

 Zur Einführung: https://schoepfblog.at/paul-dietl-sicher-sein-was-wirkt-wie-unterscheiden-wir-in-der-medizin-glauben-von-wissen-essay/

Sehr geehrter Dr. Dietl, nach Lektüre ihres Essays ist die Frage unabweisbar, ob Sie der Ansicht sind, dass FPÖ Parteichef Herbert Kickl mit seinem Kampf für das auch von ihnen beschriebene Pferdeentwurmungsmittel richtig liegt?

Das glaube ich insofern nicht, dass er richtig liegt, weil es vermutlich keine adäquate Alternative zur Impfung ist. Man will ja nicht Monate lang so ein Zeug präventiv schlucken. Allerdings darf man aus wissenschaftlicher Sicht das „Wurmmittel“ nicht komplett verteufeln, weil eine positive Wirkung zur richtigen Zeit (Beginn einer Infektion) nicht ausgeschlossen werden kann, und aus zellulärer Sicht sogar eine gewisse Plausibilität für einen Schutzeffekt vorliegt.

Leider ist das Thema ideologisch so aufgeheizt, dass sich die Autoren von klinischen Studien und Metaanalysen gegenseitig Interessenskonflikte und Unredlichkeiten vorwerfen, sodass es schier unmöglich ist, aus vorhandener Literatur zu extrahieren, wie gut das Mittel tatsächlich wirkt. Mir ging es nur darum, aufzuzeigen, dass man eine Wirkung sicher nicht ausschließen kann, wie das vielfach versucht wird.

Und wie ist die Tatsache zu beurteilen, dass Dänemark, fast vollkommen durchgeimpft, inzwischen eine der höchsten Inzidenzen der Welt hat? Man wird natürlich sagen, dass durch die Impfungen die Krankheitsverläufe wesentlich milder ausfallen.

Nicht nur durch die Impfungen! Schweden hatte ja schon bei noch weit höheren Inzidenzen als Deutschland eine gleiche bis niedrigere Letalität zu einer Zeit (Beginn 2021), als es noch gar keine Impfung gab. Ich vermute, dass das eben der Effekt einer sogenannten „stillen Feiung“ (1) ist: die unterschwellige, symptomlose Immunisierung durch repetitive Virenkontakte, die natürlich in Schweden besonders im Jahr 2020 besonders hoch waren.

Corona Vergleich Deutschland-Schweden

Aber ich weiß nicht, ob diese Behauptung dem von Ihnen formulierten wissenschaftlichen Anspruch entspricht. Man könnte auch sagen, dass sich die Krankheitsverläufe auch ohne Impfung nicht wesentlich anders gestaltet hätten.

Ich stimme Ihnen zu 100% zu. Den Einfluss der Impfung kann man retrospektiv nicht abschätzen, da die „Kontrollgruppe“ fehlt. Leider haben sich ja auch die Schweden impfen lassen … Ich denke, man kann der Literatur glauben, dass die Impfung sehr schwere Krankheitsverläufe abschwächen kann. Aber wenn man die Wirkung der Impfung auf die Inzidenz bzw. Verbreitung analysiert, muss man zwangsweise zum Schluss kommen, dass die Datenlage keinen dramatischen Effekt zulässt.

Und übrigens gibt es dafür auch nur eine sehr geringe Plausibilität, wenn man es von zellbiologischer Seite betrachtet. Kickl legt in diesem Punkt klar den Finger in die Wunde der Impfpflichtbefürworter, in dem er von der fehlenden „sterilen Immunität“ spricht.

Glauben Sie bitte nicht, dass ich Sie als einen Querdenker einschätze, wie das Wort derzeit, wie Sie richtig monieren, gehässig verwendet wird. Ich bin es auch nicht.

Einstein war ein typischer Querdenker! Ich bin leider nicht so genial!

Interessieren würde mich schon hingegen Ihre Beurteilung der konkreten politischen Maßnahmen, zu denen Sie ja nur ein sehr vorsichtiges und höfliches Urteil abgeben.

Ich denke, wir befinden uns in einem Stadium der Pandemie, in der Krankheitsverläufe durch o.g. Effekte zwangsläufig milder werden sollten. Es gehen ja auch die Todesfälle in Österreich schon wieder stark zurück. Ich halte daher die politischen Maßnahmen für total überzogen.

Man sollte unter anderem nicht immer den „Zusammenbruch des Gesundheitssystems“ herbei reden. Michael Iohannidis hat ja kürzlich in der Tiroler Tageszeitung sehr treffend dargelegt, dass es sich bei der komplexen Covid-Therapie und Altersverteilung nicht um eine „Triage“ im engeren Sinn, sondern eher um eine „Priorisierung“ handelt.

Die invasive Beatmung bei Covid19 hat ja eine extrem hohe Letalität. Viele Patienten, die nicht die Maximaltherapie bekommen, lässt man ja nicht sterben, sondern sie würden auch bei Maximaltherapie sterben. Was würden denn andere Länder tun, die viel weniger Intensivbetten haben als wir?

Eine Impfpflicht halte ich für unsinnig und teilweise (Kinder, Jugendliche, bestimmte Risikogruppen) sogar verantwortungslos. Aber ich fürchte der Zug ist abgefahren, denn man hat den Menschen zu lange die Lösung aller Probleme exklusiv durch die Impfung eingeredet … Dass bei den Umfragen mehr als 50 Prozent der Menschen für eine Impfpflicht sind, sagt ja schon alles.

Das Interview führte über Email Alois Schöpf

 

(1) Unter Feiung versteht man den bakteriologischen Vorgang der Immunisierung durch Infektion mit erwünschten Keimen. Der Geburtsvorgang beim Menschen ist von Natur aus so vorgesehen, dass das Kind sich beim Geburtsvorgang dreht und dabei mit dem Gesicht zum After der Mutter zur Welt kommt. (Wikipedia)

Als stille Feiung (auch stumme Feiung, stille Durchseuchung oder stumme Durchseuchung) bezeichnet man in der Infektionsepidemiologie den unbemerkt entstandenen Immunschutz nach einem symptomlosen Verlauf einer Infektion (klinisch inapparente Infektion).[1][2][3] Da eine „Durchfeiung“ der Bevölkerung zu einer latenten Durchseuchung führt, wird die „stille Feiung“ auch als stille Durchseuchung bezeichnet. (Wikipedia)

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Paul Dietl

Dr. Paul Dietl, geb. 25.3.1960 in Innsbruck. Studium der Humanmedizin 1978 –1983 in Innsbruck. Postpromotionelle Ausbildung bei Herbert Braunsteiner (Innere Medizin) und Peter Deetjen (Physiologie) in Innsbruck, sowie in Würzburg und den USA (Dartmouth College). Seit 2004 Vorstand des Instituts für Allgemeine Physiologie der Universität Ulm. Von 2015–2019 Vorsitzender der Senatskommission „Verantwortung in der Wissenschaft“ der Uni Ulm. Paul Dietl’s Forschungsschwerpunkt ist die zelluläre und molekulare Physiologie und Pathophysiologie des Lungenbläschens.

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