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Werner Schandor
Das Patriarchat als Scheinriese
2. Teil
Das Opfer-Abo
Essay

Durch das neofeministische Beharren auf dem weiblichen Opferstatus kommt es zu ideologischen Verzerrungen, die einem kritischen Betrachter ins Auge springen. Nur werden sie der guten Sache willen meist nicht offen angesprochen.

Zwei Dinge könnten einem aber auffallen.

Die Weltsicht des herrschenden Medien-Feminismus ist derart verengt, dass sie zu völliger Einseitigkeit neigt. Die Proponentinnen sehen die Reste der männlichen Macht, sind aber blind für Benachteiligungen, die im Schatten der Macht und im Rückbau der Sozialsysteme auch sehr vielen Männern widerfahren.

Das Bemerkenswerte daran: Während sich die Männer der Aufklärung und des Humanismus (zumindest im Rahmen ihrer Denkhorizonte) für die Rechte aller Menschen einsetzten, unabhängig vom Geschlecht, geht es den meisten Feministinnen, die heute medial eine Stimme erhalten, allein um die Sache der Frauen. Und damit diese als Mehrheitsanliegen dasteht, nimmt man sich noch der Anliegen von Schwulen an und von Personen, die sich als non-binär begreifen. Hauptsache, keine heterosexuellen Männer.

Nun liegt es in der Natur der Sache, dass sich der Feminismus für die Sache der Frau einsetzt. Auffällig ist es dennoch, wie konsequent feministische Positionen den Umstand ausblenden, dass in sehr großer Zahl auch Männer gesellschaftlich auf der Strecke bleiben: politisch Verfolgte, Arbeitsmigranten in Sklavenjobs (z. B. in Spanien bei der Gemüseernte oder in Katar beim Errichten der WM-Bauten), miserabel bezahlte (Leih-)Arbeiter, Obdachlose, Alkohol- und Suchtkranke.

Ich vermute, diese Klientel mitzudenken, würde das Narrativ von der allzeit unterdrückten Frau und dem allzeit privilegierten Mann untergraben und zwänge dazu, das „Patriarchat“ neu zu definieren. Oder überhaupt mal zu sagen, was sich hinter dem Schlagwort, das auf jede Lebenslage zu passen scheint, solange man es nicht hinterfragt, eigentlich verbirgt.

 

Den LGBTQ+ geht es in der Türkei schlecht

Vor einiger Zeit hatte ich eine Unterhaltung mit einer Studentin der Politikwissenschaften. Sie stellte fest, dass es Feministinnen und LGBTQ-Menschen (also Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle sowie Queere) in der Türkei aktuell sehr schwer hätten und dass sie bitter verfolgt würden. Dem galt ihre ganze Sorge.

Ich war perplex und dachte: „Aja, und was ist mit den Zigtausenden Normalos, die Erdogan politisch nicht zu Gesicht stehen, und die ihren Job verloren haben, willkürlich inhaftiert und dabei vielleicht auch ein bisschen gefoltert wurden?“ –

Die männlichen politischen Gefangenen der Türkei, die ihr Dasein sicher nicht in Luxuszellen fristen, waren jedenfalls nicht am Radar der jungen, feministisch bewegten Politikwissenschaftlerin.

Solidarität mit dem anderen Geschlecht? – Fehlanzeige!

Die kleine Begebenheit hat mir Folgendes verdeutlicht: Die herrschende dritte Welle des Feminismus ist eine Ideologie, die solidarische Gedanken über Geschlechter hinweg weitgehend ausschließt. Dafür ist sie hochkompatibel mit den narzisstischen, um sich selbst bzw. die eigene Gruppe kreisenden, identitätsversessenen Tendenzen unserer Zeit.

Bei vielen feministischen Wortmeldungen hat man ohnehin den Eindruck, Männer würden allein unter den Vorzeichen der Unterdrückung, Ausbeutung und potenziellen Vergewaltigung als prinzipiell Tatverdächtige betrachtet.

Diese erschütternde Diagnose stellt auch der französische Philosoph Pascal Bruckner in „Ein nahezu perfekter Täter“ nach der Lektüre US-feministischer Basisliteratur. Ihre Misandrie macht den neuen Feminismus blind für die Tatsache, dass Männer im globalen Gesellschaftsgefüge ebenso in Massen unter die Räder kommen wie Frauen.

 

Brustschwache Utopien

In Mitteleuropa geht die unterkomplexe Kritik am „Patriarchat“ mehr oder weniger am Kern der gesamtgesellschaftlichen Probleme vorbei und entwickelt daher auch keine brauchbaren Perspektiven für ökologische, soziale und wirtschaftliche Herausforderungen.

Bei all dem Gerede über „das Patriarchat“ wird selten klar, was die Feministinnen 3.0 politisch eigentlich anstreben – außer flächendeckend Gendersterne in Texte streuen, damit sich alle möglichen gefühlten Geschlechter in der Sprache „repräsentiert“ sehen.

Aber wo ist die politische Utopie, die tragen würde? Für gewöhnlich wird die absolute, am liebsten auch biologische Gleichstellung von Frau und Mann als selig machende Antwort auf die großen Fragen der Gegenwart hingestellt, dazu kommen die Inklusion von benachteiligten („vulnerablen“) Gruppen sowie kulturelle und sexuelle Diversität.

Manche Wortmeldungen lassen darauf schließen, dass diese Dreieinigkeit aus Gleichstellung, Inklusion und Diversität alle brennenden Themen wie von himmlischer Hand in Friede, Freude, Eierkuchen verwandeln könnte. So als würde sich ein destruktives System, das ums Goldene Kalb des ewigen Wirtschaftswachstums tanzt, von allein in ein positives System umformen, nur weil Frauen verstärkt am Gewinn mitschneiden.

 

Ökofeminismus als Wunderwaffe

Der feministische Heilsgedanke basiert auf der romantischen Ansicht, dass Frauen bessere Entscheidungen träfen als Männer, und dass Frauen sich anders/sozialer verhielten, wenn sie an der Macht sind.

So wurde beispielsweise am heurigen Weltfrauentag auf orf.at im Beitrag „Frauen als Speerspitze gegen die Klimakrise“ die Meinung wiedergegeben, der Klimawandel und der drohende Ökokollaps gehe auf das Konto des Patriarchats. („Logisch“, möchte man anfügen. Aber vielleicht haben auch der „Teufel“, die „Bourgeoisie“ und das „Weltjudentum“ ihre Finger im Spiel.)

Der Grund: In der Ausbeutung der Frau und der Ausbeutung der Natur zeige sich dasselbe strukturelle Schema, so eine Genderforscherin. Ergo: Solle die Welt gerettet werden, gelte es, „das Patriarchat“ zu überwinden. Der Ausweg aus der Klimakrise liege daher im sogenannten „Ökofeminismus“. Das bedeute: Frauen müssten stärker in politische Entscheidungen zur Abmilderung des Klimawandels eingebunden werden.

 

Zwischen Opfer und Superheldin

Die dem Artikel zugrunde liegende Analyse der strukturellen Ähnlichkeiten ist haarsträubend, denn auch zwischen einer Banane und einem Bumerang zeigt sich bei entsprechender Betrachtung das gleiche strukturelle Schema. Trotzdem sollte man nicht erwarten, dass die Banane zu einem zurückkommt, wenn man sie von sich schleudert.

Das Frauenbild, das in diesem ORF-Beitrag zum Ausdruck kommt, erinnert zudem – man muss es leider sagen – an eine bipolare Störung: Es pendelt zwischen den Zuschreibungen „totales Opfer“ und „Superheldin auf Weltrettungsmission“, als gäbe es nichts dazwischen. Und das ist erstaunlich einfallslos angesichts des behaupteten Ziels der feministischen Genderbewegung, sie wolle überkommene Rollenbilder aufbrechen.

Dem Artikel ist trotzdem zuzustimmen: Frauen sollten viel stärker in politische und wirtschaftliche Entscheidungen eingebunden werden. Auch wenn es ein Irrglaube ist, dass sie weisere Entscheidungen treffen oder eine bessere Politik machen als Männer oder weniger anfällig für Machtmissbrauch seien.

Um diesen Irrglauben zu entkräften, reicht der Blick auf die österreichische Regierungsbank der letzten sechs Jahre mit Aschbacher, Kneissl, Tanner, Karmasin, Schramböck, Lunacek et al.: Die Mehrzahl der Ex- und Noch-Ministerinnen und -Staatssekretärinnen stellt(e) eindrucksvoll unter Beweis, dass österreichische Frauen in Machtpositionen genauso planlos, inkompetent, missglückt und teils sogar skrupellos agieren wie ihre männlichen Amtskollegen.

Warum ich dennoch meine, dass Frauen – kompetent oder nicht – unbedingt zu gleichen Teilen wie Männer in Entscheidungszirkel und Vorstandsetagen gehören: Weil sich dort seit jeher Horden von inkompetenten, ahnungslosen, machtgeilen Männern tummeln. Warum soll man sie nicht paritätisch durch inkompetente, ahnungslose, intrigante Frauen ersetzen? Schlimmer kann es kaum werden.

Umgekehrt wäre aber zu fordern, dass die offiziellen Genderstellen und -gremien des Landes mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Funktionärspöstchen nach 25 Jahren weiblicher Dominanz ebenfalls pari-pari mit Männerbeauftragten besetzen.

 

Das Patriarchat als Superkraft des Feminismus

So ist festzuhalten: Die himmelschreienden Ungerechtigkeiten der Welt betreffen nicht nur Frauen. Sicher sind sie in der Gruppe der Unterprivilegierten weltweit in der Überzahl. Nur: Männer werden in Kriege geschickt, ob sie wollen oder nicht; sie bekommen wirtschaftliche Aufgaben aufgebürdet, die sie sich oft gar nicht ausgesucht haben; und im Fall der Unbrauchbarkeit werden sie vom System ausgespuckt und landen auf der Straße. Rund vier Fünftel der Obdachlosen sind Männer.Benachteiligte Männer haben in einer schönen neuen Welt des Feminismus mit keinerlei Unterstützung oder auch nur Empathie zu rechnen.

Solange also der Feminismus nicht auch das Elend benachteiligter Männer im Blick hat und stattdessen vom „Patriarchat“ oder „patriarchalen System“ redet, als würde das hierzulande noch irgendetwas erklären oder einen realen Ausweg aus herrschenden Dilemmata aufzeigen, muss man ihm als Humanist die Solidarität versagen.

Auch ausgleichende Ungerechtigkeit ist ungerecht – diese schlichte Moral scheint im langen Schatten des Scheinriesen „Patriarchat“ unterzugehen. Um die Zukunft zu bewältigen, brauchen wir komplexere Lösungsansätze, als nur den Blick wie gebannt auf die geschlechtliche Identität zu richten.

Das Schlagwort vom „Patriarchat“ ist im laufenden Diskurs vor allem die Superkraft, die dem Medien-Feminismus den Treibstoff für seine einseitigen Betrachtungen liefert.

Artikel und Quellen:
• https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/ukraine/6129741/Vergewaltigungen-als-Waffe_Das-Patriarchat-zeigt-seine?from=rss
• https://orf.at/stories/3250204/
• https://www.diepresse.com/1356306/richtig-weiblich-die-top-ten-der-frauenstudien#slide-8
• https://www.diepresse.com/696044/maennerlos-die-top-ten-der-frauenstudien#slide-3
• https://www.tuwien.at/tu-wien/ueber-die-tuw/zahlen-und-fakten
• https://www.tuwien.at/fileadmin/Assets/tu-wien/Ueber_die_TU_Wien/Berichte_und_Dokumente/Wissensbilanz/wb07.pdf

Werner Schandor

Werner Schandor ist Texter und Autor in Graz. Er ist seit 1995 in der PR tätig und hat Lehraufträge am Studiengang „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum sowie am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz. 2020 erschien sein Buch „Wie ich ein schlechter Buddhist wurde. Essays, Glossen und Polemiken“ in der Edition Keiper, Graz. Weitere Infos: www.textbox.at

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Angelika Dobernigg

    Sie tun ja so als hätte der Feminismus sich die Beseitigung aller Ungerechtigkeiten dieser Welt auf die Fahnen geschrieben.
    Sie schreiben „Die dritte Welle des Feminismus hat ohnehin keine wirklich brauchbaren Ideen zur Rettung der Welt auf Lager.“ Also was tausende Jahre Patriarchat verbockt hat, soll noch nicht einmal 200 Jahre Feminismus in Ordnung bringen?
    Sie schreiben weiters „Die Weltsicht des herrschenden Medien-Feminismus ist derart verengt, dass sie zu völliger Einseitigkeit neigt“.
    Einseitigkeit will ich jetzt Ihrem Essay auch unterstellen. Diesen Text zu lesen hat mir fast körperlich weh getan.

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