Print Friendly, PDF & Email

Manfred A. Schmid
Wiens neue „Salome“
Es reicht weder für einen Skandal
noch für einen Triumph.
Aus der Wiener Staatsoper

Nach 50 Jahren war es Zeit für eine Neuinszenierung. Das schwelgerische Jugendstil-Ambiente, das Jürgen Rose in Boleslaw Barlogs Produktion aus dem Jahr 1972 auf die Bühne zaubert, konzentrierte sich vornehmlich auf nur einen Aspekt des 1905 uraufgeführten Werks. Oscar Wildes Drama, das in der Übersetzung von Hedwig Lachmann als Libretto dient und die Geschichte in schwelgerischen Adjektiven schildert, inspirierte 1894 den Illustrator und Graphiker Aubrey Beardsley zu einem Zyklus von Zeichnungen, der, von japanischen Holzschnitten beeinflusst, durchaus der art nouveau der Jahrhundertwende zuzurechnen ist und die Rezeption der Vorlage lange Zeit geprägt hat.

Auch die Musik von Richard Strauss trägt gewiss Züge des Jugendstils. Gerade in den verzweifelten Liebesbetörungen am Schluss der Tragödie finden sich schwelgerische, traumverlorene Passagen in massiver Ballung. Doch die heftigen, erschütternden Dissonanzen, die dieses packende Musikdrama zu einem Tor zur neuen Musik machten, lassen keinen Zweifel daran, dass Strauss in seinem Opernerstling dem zur Entstehungszeit als junger Wilder auf sich aufmerksam machenden Oskar Kokoschka viel näherstand als etwa Gustav Klimt mit seinen schillernden, goldverbrämten Gemälden. Gegenüber dem Jugendstil gewinnt der Expressionismus in diesem Werk letztlich eindeutig die Überhand.

Auf die Neuinszenierung an der Staatsoper konnte man daher zu Recht gespannt sein. Doch Cyril Teste kümmert sich in seiner Arbeit weder um die geschichtliche Epoche zur Zeit der Regierung von Herodes II. Antipas in Galiläa, die der Handlung zugrunde liegt, noch um die Entstehungszeit der Oper, sondern versetzt die Handlung an den Hof eines Potentaten in der Gegenwart.

So einfach ist das, und so einfach – zu einfach – nimmt sich das dann auch aus. Übrig bleibt die beliebig erzählte Geschichte einer jungen – sehr jungen, etwa 16-jährigen – Frau, die den Blicken ihres Stiefvaters ausgeliefert ist, diese nicht länger ertragen will, sich immer mehr vom Treiben im Haus (alles zentriert sich rund um einem festlich gedeckten Tisch) absondert, in ihrer Verzweiflung emotionale Nähe zum eingekerkerten Propheten Jochanaan sucht und, von ihm schroff zurückgewiesen, seinen Kopf auf einem Silberteller serviert bekommt, diesen küsst und – auf Geheiß des Stiefvaters – schließlich getötet wird.

Dass dahinter Missbrauch stehen dürfte, findet sich angedeutet in dem Umstand, dass sich Salome verdreifacht und eine sehr junge und eine pubertierende Salome an ihre Seite gestellt bekommt. Nicht ganz klar bleibt jedoch, ob das nun der Fantasie ihres Stiefvaters Herodes zuzurechnen ist, der in ihr immer noch die leichter manipulierbare Salome in ihrer Kindheit sieht bzw. diese herbeisehnt, oder ob damit auf eine bi- bzw. tripolare Störung hingewiesen wird: Kinder erschaffen, um psychisch-traumatische Erfahrungen ertragen zu können, weitere Ausgaben ihrer Person. So werden die Belastungen und Qualen gewissermaßen auf mehrere Personen verteilt.

Handgreifliche Deutungen sucht man bei Cyril Teste freilich vergeblich. Er begnügt sich mit vagen Andeutungen, legt sich nicht fest und stellt dem Publikum anheim, die möglichen Schlüsse zu ziehen.

Während man der dreifachen Salome also durchaus einiges abgewinnen kann, fällt der Tanz der drei Salomes doch ziemlich fragwürdig aus. Getanzt wird eigentlich nicht, auch Schleier sucht man vergeblich. Die drei Salomes streichen vielmehr abwechselnd um den Tisch herum, gestikulieren, verrenken ihre Gliedmaßen und verwirren mit wechselnden Gesichtsausdrücken. Lasziv nimmt sich das alles nicht aus, obwohl die Musik das deutlich nahelegt. Es kommt vielmehr zu aggressiven Ausbrüchen, wenn etwa ihre Hände mit Trinkgläsern auf eine nicht vorhandene Person – der übergriffige Stiefvater? die Mutter, die dem Treiben zuschaut, ohne einzugreifen und ihr Kind zu schützen? – zuschlagen.

Was hier tatsächlich vorgeht und von mit Live-Kameras in Nahaufnahmen im Hintergrund großflächig zu verfolgen ist, das zu entschlüsseln bleibt ebenfalls jedem einzelnen im Zuschauerraum überlassen.

Überaus merkwürdig und verstörend gestaltet Teste die nervenzerrüttende, ausladende Schlussszene: Salomes Umwerben des abgeschlagenen Kopfs von Jochanaan und den finalen Kuss. Erst am Schluss wird der Kopf, wie von Salome gefordert, auf einem Silberteller überreicht. Zunächst taucht der mit seiner Tötung beauftragte Mann, den Kopf am Schopf in der Hand haltend, aus der Tiefe des Brunnens auf. Dann merkt man, dass es eigentlich nicht der ganze Kopf sein kann, sondern nur sein Gesicht. Denn Salome klatscht dem Mann dieses, wie eine Maske, auf sein Haupt, und sie umschlingen einander wie ein Liebespaar. Das wird wohl auch etwas zu bedeuten haben. Operndirektor Roscics Chefdramaturg Sergio Morabito wird das gewiss beredt erklären können.

Ob man sich an die Neuinszenierung von Cyrus Teste gewöhnen wird wie an die seines Vorgängers, bleibt abzuwarten. Eine gewisse Enttäuschung beim ersten Kennenlernen ist nicht zu leugnen. Das groß angekündigte Versprühen eines vom Meisterparfümeur Francis Kurkdjian eigens für diese Inszenierung kreierten Dufts in der in ein dunkles Rot getauchten Schlussszene kann eine gewisse Fadesse jedenfalls nicht überdecken.

Musikalisch gibt es dafür gute Eindrücke zu vermelden. Gerhard Siegel ist ein stimmkräftiger, ausdrucksstarker Herodes, Michaela Schuster als Herodias die sich von ihm immer mehr entfremdende, keifende Gattin an seiner Seite.

Wolfgang Koch, in den Meistersingern im Herbst an diesem Haus ein wundersamer Beckmesser, scheint als Jochanaan keinen guten Tag erwischt zu haben. Zunächst meint man, dass die nicht so profunden Töne aus der Tiefe des Brunnenverlieses mit der Unterbringung des Sängers zu tun haben könnten. Aber auch nach seinem Auftauchen an die Oberfläche klingt sein Bariton blass, etwas unsicher und in den tiefen Lagen ziemlich verhuscht, was ihm beim Schlussapplaus einige Buhrufe einbringen wird.

Malin Bystöm in der Titelpartie wird den großen Erwartungen, die man an ihr Rollendebüt geknüpft hat, weitgehend gerecht. Ihr Sopran zeigt sich den enormen stimmlichen Herausforderungen – bis auf ein paar Unsicherheiten bei den tiefen Tönen – gut gewachsen und ist auch darstellerisch ein Ereignis.

Direktor Roscic will sie, die als Salome weitgereist ist, in Wien aber erst einmal, als Elisabeth de Valois im französischem Don Carlos, zu erleben war, in Hinkunft öfter einbinden. Das kann Opernliebhabern nur recht sein.

Aus dem umfangreichen Ensemble herauszuheben wären u.a noch Daniel Jenz als helltönender Narraboth, Patricia Nolz als Page, Thomas Ebenstein als Erster Jude, Clemens Unterreiner als Erster Nazarener und Ilja Kazakov als Erster Soldat.

Philippe Jordan erhält für die von ihm geleitete, packende und die Sängerinnen und Sänger doch nie empfindlich übertönende Aufführung beim Schlussapplaus drei Blumensträuße und viel und lang andauernden Beifall. Das gilt, bis auf Koch, auch für alle Sängerinnen und Sänger.

Bei Erscheinen des Leading Teams gib es einige Missfallensbekundungen. Für einen Skandal reicht es an diesem Abend aber ebenso wenig wie für einen triumphalen Erfolg. Wien hat eine neue Salome, die sich erst bewähren muss.


Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

Schreibe einen Kommentar