Manfred A. Schmid
Götter, Helden und Normalsterbliche
im vollgeräumten Möbellager
Zur Premiere von
IL RITORNO D’ULISSE IN PATRIA
an der Wiener Staatsoper
Der dreiteilige Monteverdi-Zyklus an der Wiener Staatsoper findet mit Il ritorno d’Ulisse in patria einen zwiespältigen Abschluss. Musikalisch gelungen, wofür vor allem der vortreffliche Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Pablo Heras Casado verantwortlich zeichnet, aber auch das bis in die kleinsten Nebenrollen durchwegs hervorragend besetzte Gesangsensemble.
Die Inszenierung durch das Duo Jossi Wieler & Sergio Morabito hingegen bleibt unbefriedigend. Da kann in den Ankündigungen, Programmheften und Interviews noch so klug dahergeredet und geschrieben werden, die Enttäuschung ist groß, wenn man dann verwundert zur Kenntnis nehmen muss, wie dürftig die szenische Umsetzung ausfällt.
Die Auftritte der abwechslungsreichen Personen – Götter, die in das Geschehen eingreifen, allegorische Gestalten, die das Geschehen kommentieren, die menschlichen Träger der Handlung – und die damit verbundenen Szenenwechsel sind gewiss eine Herausforderung. Doch die angebotene Lösung, eine in der Mitte positionierte Drehbühne, die für die jeweilige Situation und Konstellation die passenden Möbel herbeiholt, schafft es nicht, für ein jeweils stimmiges Ambiente zu sorgen, sondern bleibt höchst willkürlich.
Das Bühnenbild von Anna Viebrock sieht jedenfalls aus wie das vollgepackte Depot einer karitativen Organisation. Da wundert es nicht, dass dafür auch die Unterstützung eines Ko-Bühnenbildners (Torsten Köpf) nötig war, denn – wie schon Georg Danzer wusste – „einer allein kann ja nicht…“
Zu sehen sind Möbel aller Art, Tische, Sessel, Truhen, Rampen, Abgewetztes und Neues. Durchwegs ohne spezifische Aussagekraft. Mit Ausnahme des in der Mitte platzierten Webstuhls, der mythische Qualität ausströmt. Immerhin ohne Verweise auf die Antike, wenn man von der archaischen Maske Ulisses im 3. Akt und dem ebenfalls archaischen Bogen, mit dem Ulisse die Freier an seinem Hof besiegt, absieht.
Es gibt jedenfalls keine griechischen Säulen und Torsi, sondern die Handlung spielt – vielleicht – in einer Art erweiterten Gegenwart, was auch die ebenfalls von Anna Viebrock stammenden Kostüme nahelegen würden, die von Anzügen mit Krawatte (Telemaco) bis zu futuristischen Sci-Fi-Kleidern reichen, die die Götter bedecken.
Minerva, die sich für Ulisse einsetzt, tritt überhaupt als blaugesichtiges extraterrestrisches Wesen in Erscheinung. Was in dieser kunterbunten Vielfalt aber fehlt, ist eine Einbindung in ein Konzept, das das Durcheinander von Fantasy, Geschichte und Mythologie ordnet und glaubhaft erscheinen lässt. So aber herrscht bis zum Schluss absolute Willkür.
Immerhin bietet die musikalische Seite dieser Neuproduktion Anlass zu Freude und Zufriedenheit. Claudio Monteverdis erhaltene Abschrift erlaubt der Realisierung sehr viel Freiraum, denn es gibt große Lücken in den Ensemblestimmen und keine feste Instrumentierung.
Da trifft es sich gut, dass sich die Staatsoper, wie bereits in den beiden vorangegangenen Produktionen von Monteverdis Orfeo und L’incoronazione di Popea, auf das auf Barockmusik und Originalinstrumente spezialisierte Ensemble Concentus Musicus Wien verlassen kann, das schon vor Jahrzehnten unter Nikolaus Harnoncourt wegweisende Aufnahmen dieses Werks erarbeitet hat.
Unter der Leitung von Pablo Heras Casado kann die Musik im Orchestergraben die rasante Action und die emotionalen Konstellationen auf der Bühne variantenreich grundieren. Die Continuo-Linien befinden sich, ebenso wie die rezitativischen Dialoge, in einem ständigen Flow. Die – inklusive Pause – dreieinhalb Stunden vergehen, nach einem inszenatorisch verursachten, etwas zähen Start, wie im Flug.
Ab der Heimkehr des Ulisse an den Hof wird das Ganze, vor allem musikalisch, zu einem erregenden Thriller. Das liegt vor allem an Georg Nigl und Kate Lindsay, die das durch zwanzigjährige Abwesenheit des Ehemanns schwer geprüfte Paar, dessen Wiederbegegnung mit schweren Hypotheken belastet ist und zunächst nur mühsam in Gang kommt, mit viel Liebe und Anteilnahme darstellen.
Die Gefühlsausbrüche des Ulisse werden von Nigl fein gestaltet, auch die vorsichtige, skeptische, fast schon gänzlich verzweifelte Penelope von Lindsay wirkt, in ihrer unverbrüchlichen Treue und Keuschheit, überaus glaubwürdig. Klare Textverständlichkeit ist ein weiteres Plus ihrer Kunst.
In den weiteren Rollen kommen fast ausschließlich gelungene Hausbesetzungen zum Zug. Der helle, jugendfrische Tenor von Josh Lovell verleiht Telemaco, dem Sohn des Paares, starke Präsenz. Isabel Signoret ist als Mondgöttin Minerva eine engagierte Kämpferin, die alles tut, um die Heimkehr Ulisses zu einem Happyend werden zu lassen.
Hiroshi Amako und Daria Sushkova (aus dem Opernstudio) sind als Eurimaco und Melanto ein recht freizügiges Liebespaar, starke Auftritte als Freier um Penelope haben Kathleho Mokhoabane (Pisandro), Andrea Mastroni (Antinoo), der aber seinen mächtigen Bass auch dem Meeresgott Neptun verleiht, und Hiroshi Amako, der außer dem bereits erwähnten Eurimaco auch Anfinomo, einen weiteren Freier verkörpert und singt, am Programmzettel als dieser aber nicht angeführt wird. Der Tenor Jörg Schneider ist Iro, der als tölpelhafter Schmarotzer in Gesellschaft mit den Freiern am Hof lebt.
Von den vielen weiteren Mitwirkenden seien noch Helene Schneiderman als Ericlea, Penelopes sorgsame Amme angeführt, aber auch als Die Menschliche Zerbrechlichkeit eingesetzt wird und einen bleibenden Eindruck hinterlässt, sowie Anna Bondarenko und Daniel Jenz als Juno und Jupiter.
Großer, weit über zehn Minuten anhaltender Applaus, Buhrufe für das leading team und ein vereinzelter, schwer einzuordnender Buhruf auch für Dirigent Heras Casado.
Barockoper an der Staatsoper ist offenbar – als gelegentliche Abwechslung – sehr willkommen. Inszenierungsmäßig aber gibt es noch viel Luft nach oben.
Foto-Nachweis: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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