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Manfred A. Schmid
Nonnen als radikalisierte Glaubenskriegerinnen
im hölzernen Käfig
Zur Premiere von Francis Poulencs
„Dialogues des Carmélites“
an der Wiener Staatsoper

Den historischen Hintergrund von Francis Poulencs Oper Dialogues des Carmélites, die nach 60 Jahren erstmals wieder an der Staatsoper aufgeführt wird, liefert die Französische Revolution. Die darin erzählte Geschichte von der Guillotinierung von sechzehn Nonnen aus einem Convent nahe Paris, die sich geweigert hatten, ihrem Glauben und ihren Gelübden abzuschwören, ist ebenfalls historisch verbürgt und wurde von Gertrud von Le Fort in ihrer Novelle Die Letzte am Schafott literarisch verarbeitet.

Über den Umweg eines nie realisierten Filmdrehbuchs machte Georges Bernanos daraus ein Bühnenstück, das Poulenc als Ausgangspunkt für sein Libretto heranzog.

Entgegen der Anordnung des Komponisten, dass Aufführungen seines Meisterwerks in der jeweiligen Landessprache stattfinden sollten, wird an der Wiener Staatsoper französisch gesungen. Chefdramaturg Morabito wird wissen, warum. Die naheliegende Begründung, weil man das immer so macht, sollte für einen Mann, der alles immer anders macht, wohl kaum genügen.

Der Titel der Oper verweist schon darauf, dass es wenig Handlung, dafür aber umso mehr Worte gibt, mit denen die von politischen Entwicklungen bis vor die Klostermauern bedrängten Ordensfrauen Fragen ihres religiösen Bekenntnisses und ihrer Lebensentscheidung erörtern, aber mit denen sie auch ihren wachsenden existenziellen Ängsten und theologischen Zweifeln Ausdruck verleihen.

Alles mündet letztendlich in der Stunde, in der die Nonnen, beklemmend, berührend und großartig zugleich, das Salve Regina singen, das immer dünner klingt, weil eine nach der anderen zur Hinrichtung schreitet. Man sieht die Hinrichtungen nicht, aber man hört sie, denn Poulenc hat das eindringlich-beunruhigende Heruntersausen der Guillotine in seine Partitur eingearbeitet.

Es geht also um Opfer und Märtyrertum. Sich damit auseinanderzusetzen, ist heutzutage gar nicht so einfach. Du bist ein Opfer! ist bei Kindern und Jugendlichen nur noch eine üble Diffamierung, und bei Märtyrern denken viele an Selbstmordattentäter, die sich in die Luft sprengen, möglichst viele in den Tod mitnehmen und dann als Helden gefeiert werden.

Die Regisseurin Magdalena Fuchsberger nimmt das zum Anlass, die Nonnen als Glaubenskriegerinnen zu interpretieren, die sich immer mehr radikalisieren. So ihre Deutung unlängst in einem Interview mit der Wiener Zeitung.

Um diese überraschende Interpretation auch glaubwürdig oder wenigstens diskussionswürdig auf der Bühne umzusetzen, dazu fehlen ihr offensichtlich sowohl das dafür erforderliche dramaturgische Konzept wie auch die geeigneten inszenatorischen Mittel. Es reicht gerade noch dazu, zwei Schiachperchten im zottig-schwarzen Fell und mit Hörnern einzuschleusen, wie sie sie in ihrer Salzburger Jugendzeit vermutlich kennengelernt hat.

Sie verkörpern wohl die Dämonen, von denen vor allem die Novizin Blanche de la Force, später Schwester Blanche von der Todesangst Christi genannt, heimgesucht wird. In simpler Schwarz-Weiß-Manier gibt es dann auch noch eine engelhaft-weiße Tänzerin mit Flügeln am Kopf (oder sind das doch Anspielungen auf die Hasenohren der von ihrem Vater zu Hause gerne Häsin genannten Blanche?).

Dieser tanzende Engel (Sofiia Stepura) macht Aerobic-Übungen, schwingt dabei stets ein Schwert in die Luft (Choreographie Christian Herden) und ist wohl das kümmerlich Wenige, was der Regisseurin zur von ihr lauthals hinausposaunten Entdeckung radikalisierte Glaubenskriegerin eingefallen ist: An einem Arm schimmert das Bruchstück einer Rüstung.

Ansonsten ist die Inszenierung eher brav und langweilig. Die Personenführung geht gerade noch, verliert sich aber oft in der grotesk-aufwändig aus Holzlatten zusammengebauten Dreh-Bühne von Monika Biegler, mit zahlreichen Nischen und Ebenen, die nur einen einzigen Vorteil hat: Der Schauplatz der jeweiligen Handlung ist in der Bühnenmitte, wenn auch von einem Gewirr von Stäben verdeckt, vorzufinden.

Die Kostüme von Valentin Köhler machen einen willkürlichen Eindruck und überzeugen nicht. Die üppigen Heiligenscheine auf den Köpfen der Nonnen beim Salve Regina sind rätselhaft. Sollen sie die Trägerinnen lächerlich machen und verspotten? Auf einem Oktogon über der Spitze der verwirrenden hölzernen Konstruktion werden in einem fort biblische Szenen und Heiligenporträts projiziert (Video Aaron King). Eine unnütze Fleißaufgabe, denn man ist kaum in der Lage, dieser Bilderflut zu folgen, geschweige denn sie zu deuten.

Immerhin ergeben gelegentliche Stichproben: Wenn vom Tod die Rede ist, sieht man einen Totenkopf eingeblendet, bei Blumen ein Blumenstrauß. Gegen Schluss hin Robbespierre. Sehr originell.

Zum Glück ist die musikalische Seite der Wiener Neuproduktion äußerst gut gelungen. Das liegt vor allem an Bertrand de Billy, der in aller Welt geradezu als Spezialist für die 1957 uraufgeführte Oper gilt und auch bei der Premiere der unvergessenen und diesmal gewiss von vielen Besucherinnen und Besuchern herbeigesehnten Inszenierung von Robert Carsen, 2008 im Theater an der Wien, bereits als Dirigent dabei war.

Die Oper, die ohne Arien komponiert und subtil instrumentiert ist, wird von Bertrand de Billy mit angemessenem Ernst zum Klingen gebracht, ohne je pathetisch zu werden. Hier wird kein Bühnenweihspiel zelebriert, sondern es geht stets um lebensnahe Konstellationen, echte Gefühle und die Artikulation brandheißer, beklemmender Gedanken und Fragen.

Nicole Car ist eine glaubhafte Schwester Blanche, verängstigt und zweifelnd, aber auch selbstgerecht. Wie sie in letzter Minute sich doch noch besinnt, der vermeintlichen Sicherheit entflieht, sich den Nonnen anschließt, und als letzte in den Tod geht, nimmt man ihr ebenso ab wie der Mère Marie von Eve-Maud Hubeaux den Entschluss, daran nicht teilzunehmen und keine Märtyrerin zu werden.

Maria Nazarovas Soeur Constance bezaubert als frohgemute, sonnige, herrlich naive und doch gottergebene junge Novizin, die sich mit der furchtsamen, alles hinterfragenden Blanche gerade wegen ihrer so verschiedenen Charaktere so gut versteht. Michaela Schuster imponiert als erfahrene Priorin Madame de Croissy, die Blanche in den Orden aufnimmt, weil sie in ihr eine verwandte Natur zu erkennen vermeint. Wie sie im Totenbett mit dem Unvermeidlichen hadert und sich nicht hingebungsvoll aufgibt, berührt ungemein.

Maria Motolygina verkörpert als Madame Lidoine eine Ordensschwester, die an Statur und Autorität gewinnt, nachdem Mère Marie sich aus ihrer Verantwortung verabschiedet hat, und sie die Leitung der Kongregation in schwerster Stunde übernimmt und bis zum Ende behutsam und vorbildlich, aber auch energisch ausführt.

Starke Auftritte als Nonnen haben auch Ensemblestütze Monika Bohinec als Mère Jeanne und Alma Neuhaus aus dem Opernstudio als Soeur Mathilde.

In Dialogues des Carmélites stehen die Frauen im Mittelpunkt. Es gibt aber auch wichtige Männerrollen, die bis auf den Chevalier de la Force, Bruder von Blanche, der mit dem Tenor Bernhard Richter besetzt ist und seiner Schwester dominierend verbunden ist, von Kräften aus dem Haus gestaltet werden: Thomas Ebenstein ist der sorgende und besorgte Beichtvater, der mit seiner warmen, klaren Tenorstimme feinfühlig auf die Ausnahmesituation der Nonnen reagiert und auf sie beruhigend einwirkt, ohne die Gefährlichkeit zu vernachlässigen.

Auf der Seite der Revolutionäre treten Andrea Giovannini und Jusung Gabriel Park als Erster und Zweiter Kommissar einschüchternd in Erscheinung, zu nennen sind weiters Jack Lee und Clemens Unterreiner als Offiziere, respektive Kerkermeister, sowie der Kurzauftritt von Iris Karabaczek, Sylvie Jubin und Christian Lenoble als Stimmen aus dem Volk, die über ihre prekäre Lage klagen.

Johannes Gries, als Ludwig XVII. der noch kindliche Sohn des von den Revolutionären bereits hingerichteten Königs, ist eine weitere redundante Zuerfindung der ansonsten ziemlich ideenlosen und überforderten Regisseurin.

Viel und langer Applaus und Bravorufe. Man möchte gerne meinen, dass der Jubel dem Orchester, dem hervorragenden Chor, den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne und dem musikalischen Leiter der Aufführung, dem grandiosen Bertrand de Billy, gilt, sowie dem einzigartigen Werk Francis Poulencs, das eine stimmigere Neuproduktion verdient hätte.

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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