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Manfred A. Schmid
Dieses Musical war noch niemals in New York.
Zur Neuproduktion von Leonard Bernsteins
„West Side Story“
an der Volksoper Wien

Die ikonische Broadway-Uraufführung 1957 in der Choreographie von Harold Robbins sowie die mit 10 Oscars ausgezeichnete Verfilmung 1961, ebenfalls mit Jerome Robbins als Choreograph, mit Nathalie Woods in der Rolle der Maria, sind schwer zu toppen. Das musste auch Steven Spielberg zur Kenntnis nehmen, dessen Remake 2021 eher enttäuschend ausfiel.

Oliver LIebl (Riff) und Lionell von Lawrence (Chino). Oliver Liebl (Riff) und Lionell von Lawrence (Chino)

Lotte de Beer hat in ihrer Inszenierung des von Shakespeares Romeo und Julia inspirierten Stücks daher erst gar nicht versucht, an die Maßstäbe des Broadways anzuknüpfen, sondern einen eigenen Weg eingeschlagen.

Das Musical West Side Story der Volksoper ist also sicherlich keine Hommage an das Broadway-Original. Schon die Bühne von Christof Hetzer hat wenig mit New York zu tun. Die Straßen und Hinterhöfe, wo sich die Sharks und die Jets herumtreiben und ihre Kämpfe austragen, könnte man auch in jeder anderen beliebigen Stadt vorfinden. 

Mag sein, dass das auch die intendierte Botschaft ist. Und wenn man daran denkt, wie es nach einem Fußballmatch in Wien zugehen kann, wenn die Ottakringer Sharks und Jets aufeinandertreffen, kann man diesem Ansatz schon etwas abgewinnen. 

Aber da sich das fehlende Flair der Stadt, die bekanntlich niemals schläft, auch auf Marias Schlafzimmer, Docs Drugstore bis hin zum Brautmodengeschäft erstreckt, bringt der radikale Verzicht auf ein ortstypisches Ambiente schon eine deutliche Einschränkung für die Zuschauer mit sich. 

Eine Augenweide ist das, was hier geboten wird, jedenfalls nicht, wozu auch der hartnäckige Grauschleier beiträgt, in den alles getaucht ist. Nicht zu vergessen die Kostüme von Jorine de Beck, die auch nur allzu monoton und blass ausfallen. 

Die beiden Jugendbanden heben sich zwar voneinander durch angedeutete Blau- und Brauntöne ab, etwas mehr Farbigkeit und Differenzierung, vor allem aus der Distanz, hätte aber nicht geschadet. Aber auch hier dürfte das wohl beabsichtigt sein, und will uns sagen: Es sind alle im Grunde die gleichen (jungen) Menschen, egal welcher Herkunft, Religion, Haut- oder Kleidungsfarbe. 

Doch die Handlung und ihre tragische Zuspitzung ist gerade dem Umstand geschuldet, dass die in das Geschehen involvierten Jugendlichen das eben nicht so wahrnehmen wollen. Und dem Publikum das Gegenteil vorzumachen, ist eine allzu politisch-korrekte Pflichtübung. Und das Theater im Übrigen keine Besserungsanstalt.

Der erste Akt beginnt ziemlich holprig und bleibt auch weitgehend zäh, was nicht nur dem tristen Setting, sondern auch der Choreografie von Bryan Arias geschuldet ist, die – insbesondere in der Eröffnungsszene – nicht allzu gelungen scheint, was bei einer tanzlastigen Show wie der West Side Story eben enttäuschend ist. Man erwartet, in die Welt der Sharks und Jets hineingezogen zu werden, aber gerade das passiert nicht. Es fehlt – mit Ausnahme der eindrucksvoll dargebotenen Nummer Cool – an Glanz und immersivem Schwung.

Nach der Pause fühlt man sich wie in einem anderen Stück, so als ob in der Halbzeitpause der Coach die Mannschaft eindringlich dazu ermuntert hätte, mit etwas mehr Begeisterung und Siegeswillen ans Werk zu gehen. 

Die Traumsequenz rund um das zunächst von einem jungen Mädchen (Hannah Lehner) gesungenen Somewhere geht unter die Haut. Vielleicht etwas zu nahe am Kitsch, aber unglaublich aktuell. Der Traum von einem friedlichen Miteinander ohne Diskriminierung, 1963, also sechs Jahre nachdem Leonard Bernsteins Somewhere erstmals erklang, von Dr. Martin Luther King ersehnt, ist eine Gebot der Stunde und leider noch immer weit von seiner Erfüllung entfernt.

Beeindruckend gestaltet wird auch das hervorragend choreographierte Officer Krupke, das in Action and the Jets einen geradezu hysterischen Höhepunkt erreicht und, genial-komisch vorgetragen, den stärksten Eindruck des Abends hinterlässt.

Roberta Monção (Teresita), Sophia Gorgi (Rosalia), Danai Simantiri (Francisca), Jaye Simmons (Maria) Roberta Monção (Teresita), Sophia Gorgi (Rosalia), Danai Simantiri (Francisca), Jaye Simmons (Maria)

Die Besetzung in dieser Produktion ist zufriedenstellend und, was die Rolle der Maria betrifft, mit Jay Simmons geradezu sensationell. Anton Zetterholm als Tony kommt nicht an die einnehmende Ausstrahlung seiner Partnerin heran, ist aber eine durchaus sympathische Erscheinung. 

Erwähnung verdienen u.a. noch Myrthes Monteiro als Anita, Axel Herring als besorgt-bekümmerter Doc, Besitzer des Drugstores, und Nicolaus Hagg als zynischer, einschüchternder Polizeileutnant Schrank.

Ben Glassberg als musikalischer Leiter der Aufführung setzt auf zügige, manchmal etwas gehetzte Tempi und – beim Blech – auf gerade noch zuträgliche Lautstärke. 

Auch wenn die erste Hälfte der neuen Wiener West Side Story nicht gerade aufregend ist, lässt die zweite Hälfte das Warten mehr als wert erscheinen. Das Publikum zeigt sich die ganze Aufführung lang aber ohnehin als sehr angetan und spendet am Schluss, aber auch schon zuvor, ausgiebigen Beifall.

Foto Copyright: Volksoper Wien / Marco Sommer

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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