Print Friendly, PDF & Email

Manfred A. Schmid
Die Hippie-Bewegung Ende der 60er Jahre
und die Welt von heute.
Essay
anlässlich der Wiederaufnahme von
„Hair“ am Landestheater Salzburg

Das Musical Hair von Galt MacDermot (Musik) und Gerome Ragni und James Rado (Text und Buch) gilt – lange vor Andrew Lloyd-Webbers Jesus Christ Superstar – als das erste Rock-Musical, das sich auf der Bühne durchgesetzt hat. Ein künstlerisches Manifest der Hippie-Bewegung Ende der 60er Jahre, das mit Parolen wie Flower-Power, Make Love, not War und Hare Krishna den Lebensstil einer immer größer werdenden Schar von Aussteigern geprägt hat. 

Der karriereorientierte American way of life wurde radikal in Frage gestellt. Freie Liebe in allen Formen, lange Haare, viel nackte Haut und die Ablehnung des Militärdiensts im Vietnam-Krieg sowie Drogenkonsum sorgten für Skandale.

Der Schreiber dieser Zeilen befand sich von 1967, das als summer of love in die Geschichte einging, bis 1968, als das Hippie-Musical am Broadway herauskam, als Austausch-Schüler in Chicago und bekam viel von dieser Bewegung mit. 

Unvergessen die Freude, als die Gastmutter Maggie ihrem Sohn Monty und ihm Love-Jackets schneiderte, mit einem psychedelischen Muster indischer Prägung, in denen wir fortan bei Partys auftauchten. Dass dann immer auch eine Kette mit dem Peace-Symbol vom Hals baumelte, versteht sich von selbst. Traurig hingegen waren die Nachrichten von Klassenkameraden, die gegen Ende des Senior-Jahrs an der High-School gerade dabei waren, ihr weiteres Leben zu planen, und plötzlich einen Einberufungsbefehl zum Militärdienst erhielten. Gar nicht wenige verbrannten öffentlich, aus Protest gegen den Vietnam-Krieg, die draft cards und emigrierten nach Kanada.

Das ist auch das zentrale Thema des Musicals: Der junge Claude aus England, der auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens ist, findet Anschluss in einer Hippie-Gruppe und beginnt, nach anfänglichen Zweifeln, an ihren Idealen Gefallen zu finden und integriert sich immer mehr in dieses Aussteiger-Milieu. Als er aber den Einberufungsbefehl bekommt, entscheidet er sich letztlich doch dafür, ihm Folge zu leisten und dem Vaterland zu dienen, was ihm von den neuen Freunden nicht übelgenommen wird. Sie sind zwar durchaus auch missionarisch unterwegs, aber jeder ist seines Glückes Schmied.

Fünfundfünzig Jahre danach wieder einmal eine Aufführung des Musicals zu erleben, ist dennoch bedeutend mehr als nur eine nostalgische Angelegenheit. Es geht auch darum nachzuforschen, was davon heute noch von Belang ist. 

Ensemble (Foto: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall ) Ensemble (Foto: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall )

Unerwartete Erfolgsstory

Die Salzburger Inszenierung von Andreas Gergen ist eine unerwartete Erfolgsstory. Sie kam im Vorjahr in der Felsenreitschule heraus, war heuer im Sommer am Deutschen Theater München zu sehen und hatte am 9. September, in einer neuen Fassung, Premiere im frisch restaurierten Landestheater. 

Für einen Regisseur wie Andreas Gergen, der auf über 90 Inszenierungen von Opern, Operetten, Musicals und Schauspielen verweisen kann (was ihn zu einem geeigneten Leiter der Bühne Baden macht, die er im nächstem Jahr auch übernehmen wird), war es kein Problem, die außergewöhnlich breite Bühne der Felsenreitschule zu bespielen. 

Vor allem im ersten Akt, wo die heterogene Schar der Hippie-Gruppe – im Musical tribe (Stamm) genannt – in einer Vielzahl von Aktionen, die rasch aufeinander, zum Teil auch simultan erfolgen, zu sehen ist, mag die Weite der Bühne geradezu ideal gewesen sein. Im Landestheater, wo das Raumangebot beengter ist (die Bühne von Stefan Seitz besteht nur aus den vier Lettern, L O V E), fällt es hingegen oft schwer, den Überblick zu behalten. 

Erst im zweiten Akt der von Andreas Ladvad-Geier besorgten Einstudierung der Wiederaufnahme, als die Kern-Gruppe, die von außen vermehrt durch Polizeieinsätze aus-, ein- und abgegrenzt wird, näher zusammenrückt, wirkt das Ganze fokussiert und nachvollziehbar. Dass ein Hippie-Musical zum Teil aber natürlich auch etwas chaotisch sein darf, steht außer Frage.

Noch bevor die eigentliche Handlung beginnt, stürmen Demonstrantinnen und Demonstranten der Friday for Future-Bewegung durch die Seiteneingänge in den Zuschauerraum, und machen mit Tafeln auf ihr Anliegen aufmerksam. Ein Fanal, das wohl darauf hinweisen soll, dass die Flower-Power-Mantras der 68er-Generation keine nachhaltigen Folgen hatten. Kein Wunder, dass die Mienen der Demonstrierer zorniger und aggressiver sind als die sanften Parolen der Hippies von einst. 

Doch auch die pazifistischen Ziele der Hippie-Bewegung haben sich nicht erfüllt. Gergen lässt Putin, von einer Loge aus, seine kriegerische Intervention in der Ukraine rechtfertigen. Martin Luther King, der 1968 ermordet wurde, kommt ebenfalls zu Wort und erzählt seine Vision einer Welt ohne Rassendiskriminierung. Auch das ein Traum, der noch immer nicht ganz eingelöst worden ist. 

Und da gibt es noch das schwarze Tribe-Mitglied, das berichtet, wie es jüngst als einziger Flüchtling den Untergang eines Rettungsbootes überlebt hat.

Die großen Erwartungen und Versprechungen des innovativen Age of Aquarius (Wassermannzeitalter) wurden nicht eingelöst. Dass die Formel Make Love, not War in der Lage sein sollte, die Welt tatsächlich friedlicher zu machen, kann man nur glauben, wenn man auf einem LSD-Trip ist und, wie es einmal im Musical heißt, unter Pilzen lebt und die Sonne isst. 

Dennoch ist es gerade heute sinnvoll, das Hippie-Musical Hair aufzuführen, denn die Welt braucht Träumer, die ein friedvolles Leben nicht nur predigen, sondern es auch umzusetzen bemüht sind.

Simon Stockinger (Claude) und Denis Riffel (Berger) Simon Stockinger (Claude) und Denis Riffel (Berger)

Ganz anders in Europa

Bei uns, anders als in Amerika, war die sanftmütige Hippie-Bewegung ohnehin nie sehr ausgeprägt. Es gab zwar ein paar Gammler, wie sie genannt wurden, aber in Europa wurden sie, ausgehend von Frankreich, bald von den politisch engagierten 68-er-Revoluzzern verdrängt, die dann den Weg durch die Parteienlandschaft antraten, um einmal als Realpolitiker in Turnschuhen Ministerämter zu übernehmen, nachdem sie ihren Idealen von einst abgeschworen hatten.

Eine Aufführung von Hair ist aber nicht zuletzt gerade heute lohnenswert, weil Lieder, von Aquarius und Easy to Be Hard über Good Morning Starshine bis hin zu Let the Sunshine In, vom Anfang bis zum Ende einen energiegeladenen und stetigen Strom abwechslungsreicher, Mut machender Musik liefern. Von Wolfgang Götz, musikalischer Leiter, und seiner achtköpfigen Band, im Hintergrund auf einem Gerüst platziert, mit Verve interpretiert.

Die Rollen der führenden Tribe-Mitglieder, allesamt Individualisten, die sich aber in der Gemeinschaft entwickeln wollen und sich gegenseitig unterstützen und wertschätzen, sind gut besetzt. Denis Riffel ist ein charismatischer Berger, wie der Anführer des Stammes genannt wird. Immer in Bewegung, immer präsent und ohne Scheu vor Nacktheit und eindeutigen Posen. Auffallend, dass es vor allem die Männer sind, die sich hier entblößen: Toxische Nacktheit der Männer?

Thomas Wegscheider (Tribe Mitglied Thomas) , Sophia Gorgi (Jeannie), Julia-Elena Heinrich Sheila), Simon Stockinger (Laiude), Judith Lefeber (Dionne) und Savio Byrczak (Hud) Thomas Wegscheider (Tribe Mitglied Thomas) , Sophia Gorgi (Jeannie), Julia-Elena Heinrich Sheila), Simon Stockinger (Laiude), Judith Lefeber (Dionne) und Savio Byrczak (Hud)

Ein Familienmusical ist das, was hier auf die Bühne gebracht wird, jedenfalls nicht, obwohl viele Eltern – es ist die Nachmittagsvorstellung – Kinder mitgebracht haben. Da wird im Nachhinein wohl noch einiges zu klären sein.

Simon Stockinger als nicht leicht durchschaubarer, sinnsuchender Claude lässt die innere Unruhe, von der dieser junge Mann aus Manchester angetrieben ist, sichtbar werden. Claude fällt es nicht leicht, sich entscheiden zu müssen. Noch dazu, wo er sich in Sheila verliebt hat und und sich auch von ihr geliebt fühlt.

Julia-Elena Heinrich überzeugt als freigeistige Sheila und brilliert in Easy to Be Hard auch als Sängerin. Gute Leistungen erbringen weiters Aaron Röll als Woof, Savio Byrczak als Hud, Sophia Gorgi als Jeannie und Nicola Kripylo als Crissy. Marco Dott sorgt als Anthropologin Margaret Mead, eine historische Figur, für viele Lacher, tritt aber auch als Politiker, Offizier und George Washington markant in Erscheinung.

Die fließende Choreografie von Stephen Martin Allan bemüht sich um Ordnung im Chaos und setzt auf übermütige, psychedelische Momente. Die Kostüme von Aleksandra Kica sind bunt, wie es zu erwarten war, und zum Teil an die 60er Jahre erinnernd.

Das Rockmusical Hair in Salzburg ist ausgelassen und wild, verkörpert die Überzeugung, den Weg in eine friedvolle Welt gefunden zu haben, zeigt aber auch, dass viele Angst vor der Zukunft haben und sich fragen, wie es wohl weiter gehen wird. 

So war es 1967/68, so ist es heute. Traum oder Albtraum, das ist hier die Frage. Vor allem aber gibt es die hoffnungsfrohe Botschaft, dass der Wunsch nach Frieden, Liebe und Glück allemal einen Versuch wert ist. Etwas davon in das Neue Jahr mitzunehmen, kann, so kitschig es auch klingen mag, jedenfalls nicht schaden: Let The Sunshine In.

Bildnachweis: Alle Fotos Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

Schreibe einen Kommentar