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Manfred A. Schmid:
Eine neue Oper, bühnen- und bergtauglich!
Zur Uraufführung von BERGKRISTALL
nach Adalbert Stifter
am Tiroler Landestheater
Besprechung

Opern, die in der Bergwelt spielen, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Zu nennen wären etwa Donizettis La fille du Régiment, La Wally (Geierwally) von Alfredo Catalani, die Oper Tiefland von Eugene D’Albert sowie – aus der jüngeren Vergangenheit – Hans-Werner Henzes Elegie für junge Liebende.

Mit der Oper Bergkristall, nach der gleichnamigen Erzählung von Adalbert Stifter, die vor wenigen Tagen in den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters uraufgeführt wurde, steuern der Autor Alois Schöpf und der Komponist Michael FP Huber ein weiteres Werk dieser Kategorie bei.

Uraufführung der Oper BERGKRISTALL nach Adalbert Stifter Bildnachweis: Tiroler Landestheater.

Die ausverkauften Vorstellungen zeigen, dass ihre Oper, bei der sich der Librettist weitgehend an die Vorlage hält, gut angenommen wird und durchaus Chancen hat, nachgespielt zu werden. Dass die Erzählung dramatisches Potenzial hat, ist durch Verfilmungen des Stoffes schon mehrmals, zuletzt durch Joseph Vilsmaier, eindrücklich bestätigt worden.

Die Geschichte von den beiden Kindern, die sich am Weihnachtsabend beim Heimweg vom Besuch ihrer Großeltern, die an der anderen Seite des Bergs wohnen, im Schneegestöber verirren, sich aber klug verhalten, überleben und am nächsten Tag gefunden werden, wird von Schöpf durch eine Rahmenhandlung eingeleitet.

Der Lehrer Stifter, der gerade dabei ist, mit den Schülern ein Frühlingslied einzustudieren, fragt die Kinder, ob ihnen die Geschichte der beiden Unglücke in den Bergen – der Tod eines Bäckers und das glücklich ausgehende Weihnachtswunder rund um Konrad und Sanna – bekannt seien, was von einigen bestätigt wird.

In einer Rückblende läuft dann der Hergang des Geschehens nochmals ab. Die etwas kauzig angelegte und doch Autorität ausstrahlende Figur des Lehrers (Dale Albright), ein klarer Verweis auf den Dichter Adalbert Stifter, der bekanntlich Schulinspektor war, greift auch später noch einmal inszenatorisch ordnend und anordnend in den Ablauf ein.

Uraufführung der Oper BERGKRISTALL nach Adalbert StifterBildnachweis: Tiroler Landestheater.

Alois Schöpf, der mit seiner 2008 uraufgeführten Oper Die Sennenpuppe, Musik von Ernst Ludwig Leitner, bereits eine erfolgreiche Berg-Oper herausgebracht hat, legt großen Wert auf die Herausarbeitung der sozialen Spannungen, die zwischen den beiden Gemeinden bestehen.

Es geht dabei vor allem um Standesdünkel und Geringschätzung: Einstellungen, die ihren Grund wohl in der unterschiedlichen materiellen Basis der jeweiligen Bewohner haben. Die Ortschaft Milsdorf, wo die Großeltern von Konrad und Sanna leben, wird offenbar von wohlhabenden Menschen bewohnt. Ihre Mutter, die von dort stammt, wird von den Bewohnern in Gschaid weiterhin als Fremde behandelt und geschnitten. Die Sorge um das Schicksal der Geschwister und der glückliche Ausgang der Suche führt dazu, dass sie sich endlich aussöhnen und die gegenseitigen Vorbehalte aufgeben. Bei manchen Konstellationen würde man sich wünschen, dass die gesellschaftlichen Konflikte nicht benannt, sondern gespielt und vorgeführt würden.

Leider vertraut der Regisseur Thomas Gassner dem Libretto nicht, sondern baut in die Handlung immer wieder Brüche ein, relativiert sie durch ironische Hinterfragungen und nimmt sie – wohl aus Angst vor Idyllisierung und Kitsch, für die das Libretto allerdings keinerlei Anlass bietet – nicht ernst.

Dabei beruft er sich auf Prinzipien aus dem Epischen Theater von Bert Brecht, was aber gar nicht überzeugt. Für Stifter und Brecht gibt es keinen gemeinsamen Nenner.

Auch die Bühne von Esther Frommann verfremdet die dörfliche Welt, indem sie etwa eine nagelneue Waschmaschine aufstellt und einen Hauseingang im Dorf Gschaid surrealistisch bemalt. Warum der Großvater, ein reicher Färber und Tuchhändler, in einer schäbig aussehenden Hose stecken muss, dafür liefert Frommann, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, ebenso wenig einen hilfreichen Hinweis wie für die merkwürdigen Uniformen von Suchtrupp 2.

Uraufführung der Oper BERGKRISTALL nach Adalbert Stifter Bildnachweis: Tiroler Landestheater.

Zum Glück ist es die tonale, rhythmisch stark differenzierende und – wo das gefragt ist – auch von folkloristischen sowie weltlichen und kirchlichen Liedern inspirierte Musik von Michael F. K. Huber, die das Ganze zusammenhält und die verfremdeten, befremdlichen Einschübe übertönt.

Geschickt verpasst der Komponist den von den Bewohnern Gschaids als von oben herab empfundenen Auftritten der Milsdorfer Bürger auch ein gesangliches Attribut, das sie von den schlichten, direkten Äußerungen der Gschaider abhebt: Verzierungen in ihren Gesangslinien, Koloraturen genannt, verweisen auf ein geziertes Gehabe.

Dafür, dass das stille Gesetz, auf das sich Adalbert Stifter beruft, auch in der Musik ihren Niederschlag finden könnte, ist die Handlung allerdings wohl zu hektisch und emotionell zu aufgeladen. Immerhin gibt es ein paar Chorlieder, die zwischendurch für Ruhe sorgen, bis es dann wieder losgeht.

Alec Avedissian als der Schuster aus Gschaid und Vater von Konrad und Sanna, ist ein etwas hilfloser Ehemann, der seine Frau, die schöne Schusterin aus Milsdorf (die als sorgengeplagte und ob der Vorurteile ihr gegenüber verunsichert auftretende Annina Wachter), im Regen der Ausgrenzung stehen lässt und erst spät öffentlich für sie eintritt.

An Hänsel und Gretel erinnern die im Mittelpunkt der Erregungen stehenden Geschwister Konrad (Lisa-Marie Hilber) und Sanna (Hannah-Therés Weigl).

Susanna von der Burg ist eine selbstbewusste, zu Beruhigung und Gelassenheit in der zu einer Panik ausartenden Herausforderung auffordernde Großmutter.

Hansjörg Sofka am Pult des nicht immer ganz perfekt aufspielenden Tiroler Ensembles für Neue Musik (TENM) sorgt für markige Klänge im großen Blech, abwechslungsreiche Akzente im Schlagwerk, ländlich tönende Holzbläser und hat auch die Chöre gut im Griff.

Ein vor allem musikalisch wie auch inhaltlich gelungener, herzlich applaudierter Opernabend.

Weitere Aufführungen: 04.06.2023/07.06.2023/09.06.2023/16.06.2023/24.06.2023/08.07.2023

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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