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Susanne Preglau:
"Café Schindler"
am Tiroler Landestheater
Wie kann ein Theaterstück die Geschichte
eines Jahrhunderts umspannen?

Meriel Schindler hat ihr Buch Café Schindler –Meine jüdische Familie, zwei Kriege und die Suche nach Wahrheit 2021 auf Englisch und 2022 auf Deutsch publiziert. 

Die Geschichte umfasst mehr als 100 Jahre vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts über beide Weltkriege bis zur aktuellen Lebensgeschichte der 1964 geborenen Meriel und verknüpft die historisch-politische Entwicklung mit der Familiengeschichte der Autorin rund um das legendäre Café Schindler in Innsbruck.

In dem gleichnamigen Theaterstück – das am 6.März 2024 im Großen Haus des Tiroler Landestheaters in Innsbruck uraufgeführt und als Hommage an die anwesende Autorin gefeiert wurde – wird der erstaunliche Versuch unternommen, die Generationen übergreifende Geschichte als dokumentarische Erzählung von sieben Personen ( Tommy Fischnaller-Wachtler, Christoph Kail, Sara Nunius, Julia Posch, Marion Reiser, Philipp Rudig, Cansu Siya Yildiz) darstellen zu lassen.

Von links nach rechts: Christoph Kail, Marion Reiser, Tommy Fischnaller-Wachtler, Philipp Rudig. (c) Birgit Gufler

In einem Bericht zur Entstehung des Stücks (die Dramatisierung der 450 Seiten langen Erzählung ist der Regisseurin Jessica Glause zusammen mit Veronika Maurer ausgezeichnet gelungen), in das die – in London lebende und dort als Anwältin tätige – Buchautorin eingebunden war, stellte sie zur Theaterfassung zunächst spontan die Frage: Wo sind denn die Dialoge?

Das Stück verzichtet gänzlich auf die Dialogform und ich war vor meinem Theaterbesuch ziemlich skeptisch, ob das auf der Bühne funktionieren kann. Es kann – ich war nicht nur sehr positiv überrascht, sondern ungemein emotional berührt von dieser Kette an Lebensgeschichten.

Die Spurensuche beginnt mit dem Tod von Meriels Vater Kurt Schindler 2017 im Alter von 91 Jahren in England – er hinterlässt ihr alte Fotoalben und sie macht sich auf die Suche nach der verzweigten Familiengeschichte.

Meriels jüdische Urgroßeltern Samuel und Sofie Schindler kommen um 1880 aus Preußen und Böhmen nach Innsbruck und bauen als Schnapsbrenner, Likör- und Marmeladefabrikanten ein kleines Imperium auf. In der Andreas-Hofer-Straße 13 wird sogar ein nach dem Tiroler Freiheitskämpfer benannter Andreas Hofer Kräuterlikor produziert.

Die Familie legt großen Wert darauf, sich in Tirol zu assimilieren. Sie lieben die Berge – Meriels Großvater Hugo ist begeisterter Alpinist und kämpft im Ersten Weltkrieg für den Kaiser. Sein Bruder stirbt 22-jährig an der Ostfront. Im Jahr 1922 eröffnet Hugo das Café Schindler in der Maria Theresienstraße. In der Zwischenkriegszeit ist es ein Szenetreff mit Livemusik, Jazz und Tanz in eleganten Salons. 1927 lässt der erfolgreiche Geschäftsmann am Rennweg 10 eine großzügige Villa erbauen, die er mit seiner Frau Edith und seinem einzigen Sohn Kurt, Meriels Vater, bezieht.

Ein Nebenstrang der Familiengeschichte führt nach Linz – zum praktischen Arzt Dr. Eduard Bloch. 1907 taucht in der Ordination eine mittellose Patientin namens Klara Hitler auf – ihr damals 18-jähriger Sohn Adolf pflegt seine an Brustkrebs erkrankte Mutter aufopfernd bis zu ihrem Tod. Er schreibt Dr. Bloch später 2 Dankes-Ansichtskarten aus Wien, wo er vergeblich sein Glück an der Kunstakademie versucht. In der Folge steht der Volljude Dr.Bloch unter Hitlers Schutz und kann letztlich mit Visa ausgestattet in die USA emigrieren.

Tommy Fischnaller-Wachtler, Cansu Şîya Yıldız, Christoph Kail, Sara Nunius, Philipp Rudig, Marion Reiser, Julia Posch. (c) Birgit Gufler

1938 wird Hugo Schindler in der November Pogromnacht halb tot geschlagen. Er kann Frau und Sohn jedoch schließlich nach London folgen. Die Fabrik wird enteignet, das Café wird vom überzeugten Nationalsozialisten Franz Hiebl übernommen und heißt fortan Café Hiebl, die Villa am Rennweg wird der Wohnsitz von NS Gauleiter Franz Hofer (der sich davor vom damals 13jährigen Kurt, der allein zu Hause war, unerkannt das Haus hat zeigen lassen). Hugos Mutter Sofie wird in Theresienstadt ermordet.

Hugo Schindler ist einer der wenigen jüdischen Unternehmer, die nach dem Krieg nach Innsbruck zurückkehren. Er beginnt das durch Bomben beschädigte Kaffeehaus herzurichten und stirbt 1952 an einem Herzinfarkt an seinem Schreibtisch. Sein Sohn Kurt findet den in Deutschland, in Mühlheim an der Ruhr untergetauchten Franz Hofer (im Gegensatz zu den österreichischen Behörden, die ihn strafrechtlich verfolgen). Alles, was Kurt fordert, ist die entgangene Miete für die 7 Jahre, die Hofer in der Villa gewohnt hat. Meriel Schindler bestätigt, dass diese Begegnung tatsächlich stattgefunden hat.

Hugos Witwe Edith verkauft das Haus und die Familie geht wieder nach London, wo 1964 Kurts Tochter Meriel geboren wird.

Diese Familiengeschichte wird nun am Theater umgesetzt. Die Ensembleleistung aller sieben Darsteller ist beachtlich und wert, hervorgehoben zu werden. Sie spielen keine Rollen, sondern erzählen das Buch abwechselnd – Meriel berichtet – die Gleichwertigkeit der Darsteller wird durch die Kostüme in rot-lila Tönen auf der zunächst kargen Bühne unterstrichen, auf der später mit einem riesigen Kronleuchter und verschiebbaren metallenen Treppen schöne Bilder erzeugt werden (Kostüme und Ausstattung Mai Gogishvili).

Von links nach rechts: Marion Reiser, Philipp Rudig, Cansu Şîya Yıldız, Julia Posch, Sara Nunius, Christoph Kail, Tommy Fischnaller-Wachtler. (c) Birgit Gufler

Das Wichtigste sind jedoch die vielen historischen Fotografien, die in Übergröße an die Rückwand der Bühne projiziert werden – es sind nicht Schauspieler, die Rollen spielen, sondern die wirklichen Menschen, von denen erzählt wird und denen man wahrhaftig in die Augen schauen kann. Das erzeugt viel Nähe und Betroffenheit von dem ungeheuerlichen Terror, dem diese Menschen ausgesetzt waren, und dem mit knisterndem Feuer und Schweigen (Wann gibt es das?  Auf einer Theaterbühne!) gedacht wird.

Die Lieder von Eva Jantschitsch lockern die Erzählform der Texte auf (köstlich: Innsbruck, immerhin! zur Aufbruchsstimmung der Roaring Twenties mit Jazz im Café Schindler im provinziellen Innsbruck nach dem 1.Weltkrieg) und bilden eine Brücke zur Gegenwart.

Dem Stück wurde vorgeworfen, eine Geschichtsstunde zu sein, ein Frontalvortrag, eine Ansammlung und Aufzählung von Jahreszahlen und Fakten. Solch eine Geschichtsstunde stünde mehr Menschen gut an als in die geplanten 15 Vorstellungen im Großen Haus des Landestheaters passen. 

Die Absolvierung einer derart berührenden und eindrücklichen Geschichtsstunde kann ich nur allen Menschen ans Herz legen, die aus der Vergangenheit etwas für die Gegenwart und Zukunft lernen wollen. Dazu ein schönes Zitat: Die Geschichte wäre eine großartige Lehrerin, wenn man ihr nur zuhörte.

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Susanne Preglau

Susanne Preglau, geboren 1955 in Wien, Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien, lebt seit 1977 in Tirol. Nach einem Doktoratsstudium bei Prof. Anton Pelinka am Institut für Politikwissenschaft Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen 2013 Veröffentlichung einer Migrationsgeschichte „Ani – Essay eines Lebens“, Verlag Limbus. Ehemalige Korrespondentin von "Blickpunkt Musical", Berlin.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Christoph Themessl

    Hallo Susanne, gratuliere zu dem schönen, interessanten Artikel.
    Liebe Grüße
    Christoph

  2. A U E R Angelika

    Klingt sehr interessant !

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