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Manfred A. Schmid
Hals- und Steinbruch
oder:
Nicht nur das Wetter, auch Regie, Bühne und Kostüme
erweisen sich als hinderlich.
Zur Carmen-Premiere in St. Margarethen im Burgenland
Besprechung

Carmen, eine der berühmtesten und populärsten Opern der Welt. Da kann doch nichts schiefgehen. Kann schon: Der Oper im Steinbruch gelingt‘s. 

Schuld ist nicht das Wetter, das während der ersten beiden Akte heiß vom dunklen Sommerhimmel strahlt und dann, nach der Pause, mit angekündigtem Regenguss und Orkan eine Fortsetzung unmöglich macht. 

Die Ursache liegt vielmehr in der überfrachteten Inszenierung von Arnaud Bernard, der die unselige Idee hat, die tragische, von ihm in die Zeit des spanischen Bürgerkriegs der 30-er Jahre versetze Liebes- und Eifersuchtsgeschichte der freiheitsliebenden Tabakarbeiterin Carmen und des etwas unbedarften Soldaten Don José – was schon auf vielen Bühnen so zu sehen war und meistens gut funktioniert hat – noch mit einer Parallelhandlung zu verkomplizieren. 

Oper im Steinbruch / Jerzy BIn Bühnenbild

Gleichzeitig finden auf der Bühne nämlich die in den 50-er Jahren zu verortenden Dreharbeiten für einen Film über jene Zeit statt. Kameramänner, Tonmeister, Assistenten, Schauspielerinnen und Schauspieler schwirren herum und geraten, sobald der hektische Filmregisseur Action! und Cut! ruft, von einem Schauplatz in den anderen. 

Diverse Stunts und Massenszenen lenken vom eigentlichen Operngeschehen ab. Ganz rechts etwa nimmt die aufkeimende Liebe von Carmen und José ihren Anfang, während ganz links die Soldaten gerade darum bemüht sind, die aufsässigen Tabakarbeiterinnen vergeblich in Schach zu halten. 

Micaela kommt zur Kaserne, um José Gruß und Kuss seiner Mutter aus dem Heimatdorf zu überbringen, und wird von ihm dann in abseits positioniertem Quartier, mit zweistöckigem Bett und Spinden, empfangen. Gleichzeitig wird das Zentrum der Bühne intensiv mit einer Massenszene bespielt. 

Vittorio Prato (Escamillo) und Ensemble Vittorio Prato (Escamillo) und Ensemble

Im 2. Akt kommt es, nach dem ersten Streit, ausgelöst von José, der zum Zapfenstreich zurück in der Kaserne sein und Carmen allein lassen will, zu ihrer ersten großen Liebesszene. Am Schauplatz nebenan wird der Leutnant Zuniga von den Ganoven ausgiebig getreten, geschlagen und bespuckt. Ob Carmens Habanera erklingt oder Don Josés Blumenarie: Immer spielt sich irgendwo simultan etwas anderes ab.

Das Ganze wird so zu einem unablässigen Stationentheater. Es gibt insgesamt sechs große Spielbühnen, ein paar kleinere Spielstätten kommen noch dazu. Die durchaus kammerspielartigen Begegnungen der beiden Hauptpersonen gehen so  in allgemeinen Tumulten unter. Man weiß nicht, worauf man sich konzentrieren soll, und verliert bald den Überblick. 

Manchmal bleibt fast die ganze riesengroße Bühne in Dunkel gehüllt und alles konzentriert sich auf das Operngeschehen: Ganz rechts in der Ecke, und winzig klein. Für ein Stationentheater, das wird bald klar, eignet sich Carmen ganz und gar nicht. Daran glaubt letztlich nur der von seinem genialen Konzept geblendete Regisseur aus Frankreich. Er hält verbissen daran fest. Koste es, was es wolle. 

Und es kostet viel, nämlich eine ganze Oper. Im vorliegenden Fall der Premiere nur eine halbe Oper. Denn die Wetterbedingungen und der Abbruch bescheren gnädig ein vorzeitiges Ende.

Unerfreulich ist die Bühne von Alessandro Camera. Wegen der Dreharbeiten zum Film stellt er sechs riesengroße rote Drehbühnen hin, die den Blick auf den Steinbruch, die einzigartige Naturkulisse, gnadenlos fast zur Gänze verstellen und, wenn sie sich nicht gerade dem Publikum als Spielkulisse anbieten, streng abweisend wirken. 

Auch den Kostümen von Carla Ricotti mangelt es an Pfiff und Charme. Ihren ersten Auftritt hat Carmen in einer bis knapp unter den Busen reichenden Arbeitshose zu absolvieren, was jeglicher erotischen Ausstrahlung und damit dem Zauber dieser Figur widerspricht. 

Micaela, das naive, aber auch mutige Mädchen vom Land, kommt daher wie eine ältliche Gouvernante, und Escamillo, als er sich, in brauner Lederjackenkluft, zum ersten Mal unter das Volk mischt und kurz mit Carmen tändelt, sieht aus wie der Chauffeur des Toreros. All das kommt einem jedenfalls alles andere als spanisch vor.

In der Tratoria von Lillas Pastia. Ensemble In der Taverne von Lillas Pastia. Ensemble

Man ist ja nicht in einem Opernhaus, wo einem in einer Regietheater-Aufführung demonstriert wird, wie man alle exotischen Klischees vermeiden kann, sondern bei einem kulturell unbeschwerten Sommerabend, der nicht von Vornherein allen Erwartungen des Publikums gänzlich widersprechen, sondern für ein paar Zugeständnisse offen sein sollte.

Gesanglich kann man mit der Aufführung durchaus zufrieden sein, wenn auch die Tonanlage an diesem Abend nicht immer perfekt ist und nicht ohne Schwankungen funktioniert. 

Joyce El-Khoury, Einspringerin für die zunächst angekündigte Kristina Opolais, ist eine solide Carmen, der es immer wieder gelingt, im Wirrwarr des Geschehens darstellerisch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und mit ihrem tragfähigen, allen tonumfangmäßigen Herausforderungen gut gewachsenen Mezzo zu punkten.

Brian Michael Moore braucht einige Zeit, bis er voll auf Touren kommt, ist dann aber ein verlässlicher Don José, der in der Arie La fleur que tu m’avais jettée sein existenzielles Dilemma angesichts seiner für Carmen entbrennenden Leidenschaft gut zum Ausdruck bringt. Dass er bei der entscheidenden Szene, als Carmen für ihn tanzt, um ihn an sich zu binden, von ihr abgewandt bei Tisch sitzt, einen Teller Suppe auslöffeln muss und sie total missachtet, ist nicht ihm, sondern dem unsensiblen Regisseur anzulasten.

Als Micaela, das Mädchen vom Land, als Gegenentwurf zur allen Konventionen abholden, freiheitsliebenden Carmen, hat Vanessa Vasquez einen guten, auf die weitere Gestaltung ihrer Rollen neugierig machenden Start. Wegen des Abbruchs hat sie aber keine Gelegenheit, die hohen Erwartungen im dritten Akt, wo sie ihre große Arie zum Besten zu geben hätte, einzulösen, was auch für Aleksandra Szmyd und Sofia Vinnik gilt, die im Quartett vor der Taverne von Lillas Pastia einen guten, spiel- und singfreudigen Eindruck hinterlassen. 

So ziemlich dasselbe können auch Marco Di Sapia (Dancairo), Angelo Pollak (Remendado), Nikolaj Bonkowski (Zuniga) und Ivan Zinovjev (Moralès) mit ihren vielversprechenden Einsätzen für sich in Anspruch nehmen.

Dass Vittorio Prato stimmlich eine sichere Besetzung für Escamillo ist, bestätigt er in seiner Auftrittsarie Votre toast, je peux vous le rendre. Ob er auch das Zeug hat, bühnenpräsent den Torero als Publikumsliebling glaubhaft darzustellen, bleibt er vorerst noch schuldig.

Das Piedra Festivalorchester unter der Leitung von Valerio Galli und der Philharmonia Chor Wien klingen tadellos. Musikalisch ein recht gelungener Opernabend-Torso. Inszenatorisch ziemlich mau. Was bei einer Open Air Sommeroper ins Auge gehen könnte. Gerade da hört bekanntlich das Auge sehr genau mit.

Fotovermerk: Oper im Steinbruch / Jerzy BIn

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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