Manfred A. Schmid
Eine aufsehenerregende Rehabilitierung
der Deutschen Spieloper
„Die lustigen Weiber von Windsor“
an der Volksoper Wien
Besprechung
Sie ist aus der Mode gekommen, die Deutsche Spieloper. Bei meinen Opernbesuchen als Gymnasiast in Klagenfurt in der zweiten Hälfte der 60-er Jahre hatte sie noch einen festen Platz auf den Spielplänen des Stadttheaters. Man gab Zar und Zimmermann von Lortzing, Martha von Friedrich von Flotow und natürlich Otto Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor.
Eine Anmerkung so nebenbei: Damals meistens auf der Bühne: ein fescher Bariton aus Rumänien, der sich damals allerdings noch Ioan Holi-Holender nannte, den Damen der Klagenfurter Gesellschaft den Kopf verdrehte und später in Wien Karriere als Künstleragent und dann als Operndirektor machen sollte.
Warum die Gattung der Spieloper schon seit längerer Zeit vernachlässigt wird, hängt wohl mit der gemütlich-betulichen, in Wahrheit aber topgefährlichen Biedermeierlichkeit zusammen, die man ihr zuschreibt und die sich meist auf die Handlung und die dramaturgische Aufarbeitung bezieht.
Martin Winkler (Falstaff). Foto: Volksoper Wien / Barbara Pálffy
So wird dem musikalisch hochwertigen Meisterwerk von Otto Nicolai inhaltlich etwa eine frauenfeindliche Einstellung vorgeworfen – die despotische Unterdrückung der Frau Fluth durch ihren eifersüchtigen und sich als Kontrollfreak aufspielenden Ehemann als Thema einer leichten Komödie zu nehmen, sei nicht tolerierbar! Oder wie in karikierender Art ein Dr. Cajus, Anna Reichs französischer Verehrer, in grotesker Mischung aus überdrehtem Französisch und unsinnigem Deutsch dargestellt werde. Das sei ungebührliche, weil fremdenfeindliche Verspottung von Ausländern!
Dazu kommt dann noch eine lange Liste weiterer Einwände der #me-too-Bewegung, die sich an Sir John Falstaff himself richten.
Unter diesen Vorbehalten ist es inzwischen gar nicht mehr so einfach, diese Oper auf die Bühne zu bringen. Das Team der Volksoper unter der Leitung der Regisseurin Nina Spijkers packt aber den sprichwörtlichen Stier entschlossen bei den Hörnern und entschärft die männliche Dominanz, indem die Handlung in das Jahr 1918 verlegt wird, als Frauen in Österreich das Wahlrecht bekamen.
Damit eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten, die voranschreitende Emanzipation und selbstbestimmte Aktionen der Frauen in die Handlung einzubringen. (Würde Frau Spijkers das Stück an der Zürcher Oper inszenieren, müsste es übrigens im Jahr 1971 spielen, erst dann wurde das Frauenwahlrecht in der Schweiz wirksam.)
Nicht die Männer, sondern die Frauen sind es also, die hier, in die Freiheit entlassen, die Fäden ziehen. Frauenpower machts möglich. Das alles ist aber nicht todernst gemeint, sondern Die lustigen Weiber von Windsor bleiben, auch wenn sie zu gewieften listigen Weibern werden, eine komisch-fantastische Oper.
Es gibt viel zu lachen, das Komödiantische ist der bestimmende Faktor. Nicht ohne Grund ist die gelungene Dreh-Bühne von Rae Smith so gebaut, dass das Ganze auf ein Theater im Theater hinweist.
Schon der Beginn ist eine ungetrübte Freude, wenn die Frauen nacheinander eine bunte Wiese herunterrollen, ausgelassen beisammensitzen, ihre Röcke hochraffen und die Beine dem Sonnenschein preisgeben, aber, sobald sich die Männer nähern, wieder sittsam dasitzen und dann, wenn die Männer wieder weg sind, deren Stolziererei parodistisch nachmachen und vor Lachen glucksen. Da weiß man sofort, dass die Stunde der selbstbewussten Frauen, die die traditionelle Rollenverteilung längst durchschaut haben, geschlagen hat.
Die Regisseurin Spijkers hat noch jede Menge weiterer, höchst origineller Ideen auf Lager, die sie perfekt getimed einsetzt, ohne je den Spielverlauf zu überfrachten.
Eigens hervorzuheben ist die witzige Szene im Schwimmbad mit den drolligen Badeanzügen (Kostüme Jorine van Beck) und den grotesken Synchronschwimmern (Choreographie Florian Hurler). Die drei Stunden (inklusive Pause) vergehen jedenfalls wie im Flug. Beste Unterhaltung, ganz ohne Brachialkomik und pure Blödelei, inzwischen fast schon eine Seltenheit, ist garantiert. Dafür sorgt auch eine exzellente Besetzung.
Ensemble. Foto: Volksoper Wien / Barbara Pálffy
Anet Fritsch ist die wunderbare Frau Fluth, die die Aktionen der Frauen, mit denen sie ihre Männer mit ihren lächerlichen Ansprüchen entlarven, souverän leitet. Ihr Mann ist das eigentliche Ekel der Männerwelt, der mit seinem unerträglichen Machogehabe den düpierten Sir Falstaff bei weitem übertrifft. Daniel Schmutzhard ist bewährter Sänger-Darsteller, der durchblicken lässt, dass die Eifersucht und der Kontrollwahn des Herrn Fluth krankhafte Symptome sind.
Warum ihm seine Frau trotzdem verbunden bleibt, ist – aus der Sicht der emanzipierten Frauenwelt – nicht ganz plausibel und erinnert an das problematische Happyend in der Beziehung der Gräfin zu Graf Almaviva in Mozarts Le nozze di Figaro.
Aber es gibt dennoch einen Hinweis: Frau Fluth ist Repräsentantin der ersten Generation der neuen Frauen. Anna Reich, die Tochter ihrer Freundin Frau Reich, geht da schon weiter und verkörpert die nachfolgende Generation, die sich von Resten traditioneller gesellschaftlicher Schranken wenig beeindrucken lässt, so dass Anna weder den von ihrer Mutter (Stephanie Maitland) noch den von ihrem Vater (Aaron Pendelton) ausgewählten Bräutigam zum Mann wählen wird, sondern eine Liebesheirat mit Fenton (sympathisch JunHo You) willensstark und trickreich durchsetzt. Alexandra Flood gelingt in der Rolle der mit jugendlicher Frische an die Erreichung ihrer Ziele herangehenden Anna ein bemerkenswertes Rollendebüt.
Eine Klasse für sich ist Martin Winkler in der Partie des Sir John Falstaff. Ein komödiantischer Tausendsassa, mit einem prächtigen Bass ausgestattet und von starker Bühnenpräsenz. Seine Arie Als Büblein klein an der Mutterbrust begeistert durch eine abwechslungsreiche Gestaltung mit exzellenter Mimik und Gestik. Anders als gewohnt, erscheint in dieser Inszenierung der heruntergekommene Ritter nicht mit einem großen Bauch, sondern ist eher hager: Der gesellschaftlich durch das Adelsverbot herabgesunkene, verarmte und verfemte Mann muss den Gürtel wohl auch wortwörtlich enger schnallen. Er wird verlacht, und ihm wird böse mitgespielt. Trotzdem aber lässt er in seinem Spiel etwas von einstiger Größe aufblitzen.
Und die Tragik, die Kehrseite jeder Komik, ist auch nicht zu übersehen. Für Sympathie mag das nicht reichen, aber mit Mitleid kann dieser Falstaff allemal rechnen. Und der Darsteller, der dieses Kunstwerk zusammenbringt, wird enthusiastisch gefeiert. Zurecht.
Für komische Akzente und viele Lacher sorgen weiters Alexander Fritze und Carsten Süss als die beiden erfolglosen Brautwerber Dr. Cajus und Junker Spärlich.
Ben Glassberg am Pult zeigt, dass die romantische Partitur voll von Humor und Eleganz ist. Es gibt mitreißende Melodien, wie die Beschwörung des aufgehenden Mondes, dramatische Momente und Augenblicke klassischer Schönheit.
Die Musik unterstreicht zuweilen die Gefühlslage der Personen auf der Bühne, dann macht sie sich wieder über sie lustig. Dass Nicolai nicht nur bei Carl Maria von Webern, sondern auch bei Offenbach einiges abgeschaut hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch der Chor erweist sich als bestens vorbereitet und macht spielfreudig mit.
Eine geglückte, mutige, witzige und begeisternde Rehabilitation der Deutschen Spieloper ist zu vermelden. Bravo.
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