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Manfred A. Schmid
Effektvolles Regietheater?
Zu Martin Kusejs „Tosca“-Inszenierung
im Theater an der Wien


Ein Gespenst geht um in Europas Opernwelt, das Regietheater. Mit Martin Kusejs „Tosca“-Inszenierung im Theater an der Wien hat dieser Spuk nun, wie es scheint, seinen eiskalten Gipfel erreicht.

Da oben in der Ödnis wird die Luft lebensbedrohlich dünn. Gleichzeitig ist damit aber auch die Verpflichtung des Regisseurs gegenüber dem Werk und seinem Schöpfer an der Talsohle des Zu- und Erträglichen angelangt. Tiefer geht’s nicht. (Möchte man wenigstens hoffen dürfen!) Der kindisch-trotzig zur Schau getragene Hochmut des Regisseurs kann kaum noch gesteigert werden. Sein zufriedenes Grinsen beim Buhorkan nach der Premiere bekundet seine Freude darüber, dass es ihm gelungen ist, das Publikum ordentlich zu verschrecken.


Der Gewöhnungseffekt

Von seiner Warte aus hat Herr Kusej natürlich recht, denn einen Skandal provozieren zu wollen und dieses Ziel tatsächlich zu erreichen, ist heutzutage eine Leistung. Das Publikum wurde über die letzten zwei, drei Jahrzehnte mit der Verabreichung von immer stärker werdenden Dosen regietheaterlicher Zumutung konfrontiert. Als Folge davon erträgt es inzwischen erstaunlich viel. Viel zu viel. Die Schwelle zur Erregungsäußerung ist deutlich nach oben geschnellt. Nacktheit, Kopulation auf offener Bühne, nicht nachvollziehbare Umdeutungen, die Einführung neuer Personen und fremder Texte – all das lockt längst keinen mehr aus der Reserve. Das Publikum scheint – von zu viel Konsum dieser Art von Theater-Kost – abgehärtet und abgebrüht, vielleicht auch abgestumpft worden zu sein.

Die Droge wirkt. Über das Gefühlskostüm und ästhetischen Prinzipien hat man sich einen Panzer wachsen lassen. Fazit: Die üblichen Aufreger und Erreger des Regietheaters scheitern an der zunehmenden Herdenimmunität der Zuschauerinnen und Zuschauer. Das ist die gegenwärtige Herausforderung der Protagonisten des Regietheaters: Es braucht immer härterere Dosen. (Oder auch nicht!)


Der Anpassungseffekt

Es gibt freilich auch Entwicklungen, die es dem Regietheater leicht machen. Man kennt sie, die auf den höheren Rängen gut verteilten heftig klatschenden Bravorufer, die sich – besonders bei Premieren – lautstark hervortun: Das übliche „Claque“-Unwesen, das seit eh und je zum Theaterbetrieb gehört.

Doch heute wirkt diese Taktik ansteckender denn je. Man kennt den dadurch ausgelösten Effekt von TV-Aufzeichnungen von Shows mit Publikum: Die Leute werden vor Beginn der Show von „Einpeitschern“ eingeschult, wie sie auf deren Zeichen hin beifallsmäßig im weiteren Verlauf zu reagieren haben. Und brav folgen sie den Instruktionen. Man will ja dazugehören.

Diese Rolle übernehmen in Theatern und Opernhäusern die Claqueúre. Sie finden immer mehr verunsicherte Geister, die sich ihnen anschließen und es ihnen nachtun: Man könnte ja etwas übersehen haben und will sich keinesfalls blamieren und als „hinterwäldlerisch“ (dalmontisch) und Modernem gegenüber nicht aufschlossen dastehen.


Der Avantgarde-Effekt

Natürlich gibt es auch Menschen, die prinzipiell alles, was anders ist als gewohnt, für gut halten. Je mehr Leute im Publikum dagegen sind, umso mehr fühlen sie sich herausgefordert und dazu verpflichtet, das Dargebotene mit Überzeugung zu feiern. In der unerschütterlichen Gewissheit, das Konzept des Regisseurs und dessen Umsetzung besser erkannt und in seiner Folgerichtigkeit einschätzen und würdigen zu können, als die anderen, fühlen sie sich der breiten Masse überlegen. Die elitäre Avantgarde probt ihren Aufstand.


Der Hauptsache-alles-ist-anders-Effekt

Eine Bekannte hat mir gegenüber, nachdem sie von meinem bevorstehenden Besuch der Kusej-Inszenierung erfahren hatte, ihr Bedauern ausgedrückt, dass ich eine „Tosca“ ohne die Kirche Sant’Andrea della Valle, ohne Palazzo Farnese und Engelsburg werde erleben müssen.

Da liegt sie ganz falsch. Ich erwarte nicht, dass alles so ist wie immer. Ganz im Gegenteil. Die Geschichte rund um die Erpressung der Tosca durch den brutalen Despoten Scarpia, bis hin zu sexueller Nötigung, sowie die politische Verfolgung, Folterung und Hinrichtung von politisch missliebigen, freiheitsliebenden Menschen kann auch in einem anderem Milieu und zu einer anderen Zeit sinnvoll und nachvollziehbar dargestellt werden.

Und ich gestehe freimütig, dass ich mich an der seit 1958 an der Wiener Staatsoper gezeigten Inszenierung von Margarethe Wallmann schon längst sattgesehen habe. Das habe ich auch schon mehrmals zu Papier gebracht. Ende Dezember war ich bei der 626. Vorstellung. Es fühlte sich tatsächlich an wie meine 626. Aufführung!


Der Beurteilungseffekt

Gerne hätte ich mich daher von einer neuen Produktion mit neuen Deutungen und Erkenntnissen überraschen lassen. Dass Kusej das kann, hat er schon oft bewiesen. In bester Erinnerung seine „Weibsteufel“-Inszenierung am Burgtheater, auch wenn das schon einige Zeit her ist.

Was von ihm aber nun dargeboten wird, hat mit der Oper, die von Giacomo Puccini – nach dem Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama „La Tosca“ von Victorien Sardou – komponiert wurde (demnächst übrigens am Wiener Akademietheater zu sehen), leider überhaupt nichts mehr zu tun. Der Umgang mit der Vorlage ist respektlos. Eine Zumutung.

Sollte Kusej diese Zeilen lesen, würde er sich gewiss freuen und begierig verfolgen, was ich nicht noch alles gegen seine Inszenierung einzuwenden hätte. Eine Inszenierung, die – außer ganz anders zu sein – keine weiteren Meriten vorzuweisen hat.

Diese Genugtuung werde ich ihm nicht verschaffen: Es gibt keine Rezension, weil es keine ernsthafte und damit ernstzunehmende Basis dafür gibt: Thema verfehlt, Herr Kusej. Damit entzieht sich Ihre Inszenierung jeglicher Wertung!

Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Franz Mathis

    Danke für den treffenden Kommentar! Auch wir trauern den Zeiten von Hartmann im Burgtheater nach, als wir 7 Stunden Königsdramen von Shakespeare am Stück genießen, uns „Maß für Maß“ und „Was ihr wollt“ gleich mehrmals zu Gemüte führten etc. etc.
    Kusej verleidet uns den weiteren Besuch.

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