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Manfred A. Schmid
Das Beste kommt zum Schluss.
Wiener Rossini-Mania 2022
mit dem Gastspiel „La Cenerentola“
an der Staatsoper eröffnet.

Warum in den Aussendungen der Staatsoper verschwiegen wird, dass die Ausnahmekünstlerin Cecilia Bartoli schon 1994 in einer Festspielproduktion der Wiener Staatsoper aufgetreten ist, nämlich als Despina in Mozarts „Cosi fan tutte“, ist verwunderlich.

Es stimmt zwar, dass die Aufführungen unter der Leitung von Riccardo Muti damals im Theater an der Wien stattfanden, aber es handelte sich dabei immerhin um eine echte Staatsopernproduktion, während die jetzt im Haus am Ring halbszenisch gezeigte „La Cenerentola“ mit Bartoli in der Titelpartie eine Tourneeproduktion aus dem Umfeld der Oper von Monaco ist, deren Leitung sie im nächsten Jahr übernehmen wird, und mit der die gefeierte Mezzosopranistin bereits 2017 erstmals in Europa unterwegs war.

Staatsoperndirektor Roscic, der in seiner ersten Saison vor allem als Einkäufer von abgespielten, oft umstrittenen und nicht gerade gutbesuchten Regietheaterproduktionen in Erscheinung getreten ist, kann diesmal im restlos ausverkauften Haus seinen bisher größten Publikumserfolg verbuchen. Zwar keine Eigenproduktion, aber immerhin ein gelungener Einkauf, der mit Blick auf die folgenden Aufführungen im Rahmen der Rossini-Mania – „Il turco in Italia“ und die abschließende „Rossini-Gala“ – auf ein fulminantes musikalisches Feuerwerk zum Finale der Spielzeit 2021/22 hoffen lässt.

Wie 2017 ist auch diesmal Gianluca Capuano, Chef des Orchesters Les Musiciens du Prince – Monaco, das auf Originalklang spezialisiert ist und auf Betreiben von Cecilia Bartoli gegründet worden war, als musikalischer Leiter dabei. Das im Sinne der historischen Aufführungspraxis klein besetzte Orchester und der Klang der Originalinstrumente, vor allem des Blechs, sorgt – mit seinen die Aufmerksamkeit in den Bann ziehenden Ecken und Kanten – für ein exquisites Hörerlebnis.

Man lässt sich überraschen und ist gefesselt von ungewohnten, manchmal auch schnarrenden und raunenden Tönen. Achtsamkeit ist angesagt und wird überreich belohnt. Insgesamt wirkt die Musik transparenter und luftiger als üblich, und das musikalische Gewitter im 2. Akt verweist noch auf die barocken Mittel zur Erzeugung derartiger Stimmungen, aber auch auf den Klassiker Joseph Haydn in seinem Oratorium Die Jahreszeiten.

Noch etwas wird erfreut zur Kenntnis genommen: Dieser Orchesterklang ist nicht dazu angetan, die Stimmen auf der Bühne zu übertönen, sondern es herrscht stets höchste Einvernehmlichkeit. Und die historische Aufführungspraxis ist nur ein Ausgangspunkt und kein zwingendes Korsett, und so kann es schon sein, dass an einer passenden Stelle, wenn sich Dandini und Don Magnifico annähern, auf dem Hammerklavier (Luca Quintavalle) kurz Wagners Hochzeitsmarsch angespielt und eingeflochten wird. So soll es sein! Nicht umsonst wählte Rossini für seine Oper den Gattungsbegriff Dramma gioccoso, lustiges Drama.

Dass die quicklebendige, temperamentvolle Cecilia Bartoli das Ereignis des Abends ist, sowohl gesanglich wie auch darstellerisch, war zu erwarten. Auch als Mitfünfzigerin ist sie weiterhin erstaunlich wendig und lebendig sowie von einer imponierenden Natürlichkeit. Von Divenhaftigkeit jedenfalls keine Spur.

Die Läufe über Oktaven hinweg gelingen hinreißend, die Koloraturen klingen frisch und ungekünstelt, Triller und aparte Wendungen verweisen auf ein schier unerschöpfliches Reservoir an Ausdrucksmöglichkeiten. All das, gepaart mit sympathischer Ausstrahlung, Charme, Humor, bezwingender Mimik und Gestik, macht die Eigenart dieser Sängerin aus. Ihrer überschäumenden, aber nie überzogenen Spielfreude und dem Funkeln ihrer Augen und ihrer Stimme kann man sich schwerlich entziehen.

Der mit einer klangschönen, geschmeidigen und dennoch kernigen Stimme ausgestattete Edgardo Rocha als incognito auf Brautschau befindlicher Prinz Don Ramiro hat alles, was einen exzellenten Belcanto-Tenor ausmacht. Flexibilität in den Koloraturen und eine makellose Höhe, aber auch darstellerische Fähigkeiten. Dazu kommt eine Jugendlichkeit in der Stimme wie auch in seiner Erscheinung.

Man könnte fast meinen, dass er dem Staatsoperndirektor Roscic ähnlich sieht. Aber er versteht sein Geschäft. Kein Wunder, dass er schon 2012 als Don Ramiro in einer Opernverfilmung eingesetzt worden ist.

Ein herrliches Gespann sind Nicola Alaimo und Pietro Spagnoli als Dandini und Don Magnifico, beide an der Staatsoper bereits aufgetreten. Spagnoli u.a. als Don Magnifico in der schrill-bunten „La Cenerentola“-Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, die man diesmal ganz und gar nicht vermisst. Unabgelenkt von Gags – wie auf der Bühne kutschierenden Autos – kann man sich diesmal ganz den semiszenischen Interaktionen zwischen den Personen und der Musik widmen, und die werden von diesen Herren besonders komödiantisch gestaltet.

Dandini kostet seine Rolle als angeblicher Prinz voll aus, Don Magnifico schwärmt ausgiebig von seiner Ernennung zum Kellermeister des Königs und lobt seine Kenntnisse als Sommelier. Ihr Duett „Un segreto d’importanza“ ist mitreißend gestaltet.

Der junge bolivianische Bass José Coca Loza, der heuer als Fiorello im „Barbiere di Siviglia“ bei den Salzburger Festspielen debütieren wird, tritt ein als etwas zu verhalten agierender Alidoro in Erscheinung. Da ist noch Luft nach oben.

Als eitle dumme Gänslein treten Rebecca Olvera und Rosa Bove auf und sorgen als Angelinas Halbschwestern Clorinda und Tisbe für Lacher am laufenden Band. Im Sextett „Questo è un nodo avviluppato“ sind sie es, die das komische Spiel mit dem gerollten italienischen „R“ auf die Spitze treiben. Überhaupt sind besonders die Ensembles fein ausgearbeitet, so auch das heiter-gelöste Schluss-Rondo „Nacqui all’affanno“.

Fast die ganze Oper hindurch im Hintergrund sitzend begleitet und kommentiert der Choeur de l’Opera de Monte-Carlo als diverses Hofpersonal das Geschehen.

Die Vorstellung dauert gut eine Viertelstunde länger als die im Repertoire befindliche. Schon während der Vorstellung gibt es viel Szenenapplaus und begeisterte Bravi-Rufe. Die Stimmung im Publikum ist ausgesprochen fröhlich und zeugt von großer Begeisterung. Von Langeweile keine Spur, ganz im Gegenteil.
Über 20 Minuten Schluss-Applaus.

So etwas hat es für eine Opernvorstellung in diesem Haus schon lange nicht mehr gegeben. Das könnte zum Nachdenken anregen. Auch den amtierenden Staatsoperndirektor. Der aber wird seinen konsequent eingeschlagenen Regietheater-Weg unbeirrt weiterverfolgen und den damit einhergehenden Besucherschwund als Bestätigung für die Richtigkeit seines Wegs umdeuten.


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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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