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Manfred A. Schmid
Richard Wagners "Parsifal"
frei nach Kirill Serebrennikov
an der Wiener Staatsoper

Seit es Regietheater gibt, weiß man: Nicht überall, wo Wagner oder Parsifal draufsteht, ist auch Wagner bzw. Parsifal drin. Namen und Titel wahlweise ersetzbar.

Kirill Serebrennikov, dessen Wiener Parsifal-Inszenierung derzeit die Gemüter erregt, pfeift bei seiner Regie völlig auf die von Wagner festgelegte Handlung, was bei einem „Gesamtkunstwerk“, bei dem Handlung, Text und Musik aus einer Hand kommen, eine ziemlich unerhörte, respektlose Herangehensweise darstellt.

Dabei steht eines fest: Serebrennikov „kann Theater“, wie Kollegin Renate Wagner jüngst anerkennend festgestellt hat. Was er daher in „seinem“ Parsifal anbietet, ist streckenweise genial, durchaus anregend und unterhaltsam. Faszinierend etwa sein souveräner Umgang mit dem Geschehen auf der Bühne und den dazu parallel laufenden Einspielungen per Video. Das ist nicht zum hundertsten Mal wiederaufgewärmter Castorf, sondern trägt seine eigene Signatur.

Nur: die Handlung von Wagners Bühnenweihfestspiel ist nicht wiederzuerkennen. Was hier das Publikum vorgesetzt bekommt, ist eine von Serebrennikov erfundene, machtvoll erzählte, eigenständige, eigenwillige Geschichte, die meist in einem krassen Widerspruch zu dem steht, was von den Protagonisten auf der Bühne gesungen wird. Wagners Libretto wird damit im einem fort ad absurdum geführt, oder vielmehr: Das Libretto führt den von Serebrennikov alternativ angebotenen Handlungsverlauf gnadenlos ad absurdum.

Sieger in diesem merkwürdigen Wettstreit bleibt letztlich ohne Zweifel Richard Wagner und seine Musik, die in Philippe Jordan am Pult des Staatsopernorchesters einen kompetenten, einfühlsamen, überzeugenden Fürsprecher hat, der – anders als der Regisseur – vom Gesamtkunstwerk Parsifal voll überzeugt ist und ihm nach besten Kräften dient.

Da Serebrennikov Wagners Intentionen nicht ernstnimmt und sie nicht respektiert, denke ich, dass längst ein Versuch fällig ist, bei der Kritik seiner Inszenierung ebenso fantasievoll und respektlos mit dieser umzugehen, wie er es im Falle von Wagners Bühnenweihfestpiel eben lustvoll vorgeführt hat. Daher lautet der Titel der Rezension auch:

„Richard Wagners Parsifal frei nach Serebrennikov“. Alles ist möglich, alles erlaubt.

Serebrennikovs Parsifal spielt auf einem Fußballfeld und in den angrenzenden Mannschaftsräumen des FC Schwanengesang. Die elf Fußballer und ein paar Ersatzspieler bereiten sich in der Kraftkammer unter der Führung ihres Trainers Grunemanz auf ihr jährliches Hauptereignis vor. Es geht um die Enthüllung ihres Grals: das ist ein kostbarer Pokal, den sie vor langer Zeit einmal gewonnen haben. Der wird dann in einer ergreifenden Zeremonie – allerdings erst ganz am Ende und nach der Überwindung einiger Hindernisse – mit Champagner gefüllt und herumgereicht.

Die Erinnerung an das große Ereignis und die dem Champagner vermutlich zugefügten Amphetamine machen jeden Schluck zu einem Wundertrank, der ihnen wieder Kraft verleiht und sie so fit macht für ein weiteres Jahr des Wartens. Denn in der Liga haben sie schon lange nichts mehr gerissen und sind eigentlich nur noch eine Art schrulliger, dafür aber straff organisierter Gedenkverein zur Verklärung längst vergangener Zeiten von Ruhm, Glanz und Ehre. Die Ordnung gerät aber offenkundig immer mehr ins Wanken. Streitereien und aggressives Verhalten stören immer öfter den Teamgeist.

Besucht werden die Spieler bei ihren Vorbereitungen von der Sportreporterin Kundry, die zugleich auch so etwas wie ihre Cheerleaderin ist. Aufgrund ihrer Kenntnisse von Heilkräutern geht sie auch dem Teamarzt bei der Betreuung seiner Schützlinge zur Hand. Vor Jahren hatte sie eine Affäre mit dem Sportdirektor Amfortas, der unter diesem Fehltritt noch immer leidet und ein lästiges Magengeschwür entwickelt hat. Eine medizinisch nicht erklärliche offenen Wunde, die partout nicht heilen will, vergrößert seine Schmerzen.

Das Ganze hängt irgendwie auch mit einem zauberkräftigen Speer zusammen. Wie und warum, weiß man nicht so genau. Diesen Speer soll jedenfalls ein dubioser Herr namens Klingsor einst entwendet haben. Seines Zeichens ein abtrünnig gewordener Fußballer des Vereins und nun als Herausgeber des Skandalblättchens Schlosshund der übergriffige Chef von Kundry.

Mitten in die Vorbereitungen platzt ein junger Mann, der vom Schicksal offenbar zum Nachfolger von Amfortas auserkoren ist. Noch aber weiß er nichts davon und hat auch als Fußballer noch nicht viel Erfahrung. Hat halt nur so in Hinterhöfen herumgeballert und sich dabei einen offenkundig scharfen Schuss zugelegt. Als er dribbelnd den Rasen im Stadion betritt, sieht er einen Fußballer von hinten, der auf seinem Trikot einen Schwan aufgedruckt hat. Der Sponsor des Vereins ist nämlich die Firma Schwanenbräu. Unbekümmert zielt er auf ihn, trifft ihn, und der fällt tot um.

Die Aufregung unter den Mitspielern und in der Vereinsleitung ist groß. Der junge Mann – von Kundry, die seine Mutter kannte, erfährt man später, das er Parsifal heißt – wird als dummer Tor getadelt, aber das Delikt der fahrlässigen Tötung oder gar des Totschlags wird vertuscht, so gut es geht. Der Trainer Gurnemanz ahnt, dass aus diesem Parsifal noch etwas werden könnte, schickt ihn – den er als „reinen Tor“ identifiziert zu haben glaubt– zunächst als Leihspieler zu einem anderen Verein, wo er das Torschießen erlernen und perfektionieren soll.

Da gerät Parsifal unversehens in die Redaktionräume von Klingsor und Kundry, stets begleitet – wie auch schon zuvor im Stadion – von einem älteren Doppelgänger, der ihm seine Stimme verleiht. Wahrscheinlich ist er stumm, aber endgültige Gewissheit gibt es darüber nicht. Dort wird er von putzigen Putzfrauen wie auch von Kundry, die von ihrem fiesen Chef dazu genötigt wird, sexuell bedrängt. Vermutlich um ihn – wie einst Amfortas – erpressen zu können.

Er widersteht jedoch den Verführungen in letzter Minute und liefert damit einen heldenhaften Beweis, dass er nun für höhere Führungsaufgaben im Verein Schwanengesang bereit sein könnte. Bevor er dorthin zurückkehrt, lernt er auf Vermittlung der Esoterikerin Kundry seine Mutter kennen. Die ist zwar tot, kommt dafür aber nun in dreifacher Ausfertigung in die Redaktionsräume. Er ist gerührt, sagt aber nichts. Seine drei Mütter sagen auch nichts. Nur sein Doppelgänger sondert ein paar Kommentare ab.

Inzwischen – es sind Jahre vergangen – ist es hoch an der Zeit, dass Parsifal im Verein die Zügel in die Hand nimmt und Ordnung schafft. Der Vereinsdirektor Amfortas ist schon ganz verzweifelt ob seiner Ohnmacht, die längst fällige Zeremonie der Pokalenthüllung vorzunehmen. Die Spieler sind – wie Titurel, der auf seinen Tod harrende Vater von Gurnemanz – ganz ausgezehrt, weil ihnen das verheißene Dopingmittel schon so lange nicht mehr verabreicht worden ist.

Da endlich erscheint der inzwischen vom reinen Tor zum Helden gereifte Torschützenkönig und waltet würdevoll und mit Verve seines Amtes. In den über dem Geschehen eingespielten Filmsequenzen sieht man Lionel Messi, Cristiano Ronaldo, Alaba und Lewandowski in Aktion, untermalt von der schönen Musik Richard Wagners. Und ganz oben thront Uli Hoeneß und schaut huldvoll herab.

Soweit die Wiedergabe meiner persönlichen Sicht von Serebrennikovs Inszenierung, wie ich sie am 21. Dezember in der Wiener Staatsoper erlebt habe.

Allfällige Angebote zur Übernahme von Regieaufträgen bitte an meinen Manager!


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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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