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Manfred A. Schmid
Düster, schaurig und rabenschwarz.
Verdis Macbeth
Premiere an der Wiener Staatsoper vom 10. Juni 2021

Die Handlung der Oper, vor allem aber Verdis Musik, so die Erkenntnis des Regisseurs Barrie Kosky, ist düster, schaurig und rabenschwarz. Das haben andere vor ihm auch schon so gesehen. Die ungeheure Spannung erhält das Werk aber gerade dadurch, dass es darin eine Szene gibt, die nicht von vornherein ausschließlich negativ belastet ist, in die aber das Unheil hineinschwappt wie ein Tsunami in eine feiernde Urlaubergruppe am Strand.

Der durch Mord zum König gewordene Macbeth und seine Frau geben ein Fest, zu dem die Hofgesellschaft geladen ist. Mit betont ausgelassener Stimmung wird versucht, den vergangenen Schrecken zu vergessen und einer hoffentlich strahlenden Zukunft entgegen zu sehen. Doch die Dämonen der bösen Taten dringen verstörend in das Geschehen ein. Das Fest endet in einem Fiasko.

Indem Kosky aber auf alles „Beiwerk“ verzichtet, nur das Ehepaar auf der schwarzen, nur von Spots erleuchteten Bühne erscheinen lässt – der Chor singt im Blackout, pardon: im Off, nackte Personen stehen starr und teilnahmslos am Rand der Bühne – verpufft dieser zentrale dramaturgische Effekt ins Nichts. Bei seiner nächsten Inszenierung müsste der Regisseur konsequenterweise überhaupt alles im Dunkeln belassen: Radikale Dunkelheit schärft den akustischen Wahrnehmungssinn bekanntlich immens und wird in Entertainment-Etablissements längst als grandiose Erfahrungsmöglichkeit angeboten.

Noch aber ist es nicht so weit, denn was hier geboten wird, ist ein Aufguss einer zuvor schon in Zürich gezeigten Produktion. Die Wiener Staatsoper untermauert damit ihren seit Herbst beharrlich eingeschlagenen Weg, hinsichtlich Neuproduktionen vornehmlich ein Zweitvermarkter zu sein.

Das Geschehen auf der Bühne ist diesmal also noch nicht ganz in Dunkelheit gehüllt. Außer dass alle Nebenhandlungen, wie z.B. die Ankunft von König Duncan, gestrichen sind, ist dem Regisseur sonst nicht besonders viel eingefallen. Statt des Chores sind auf der Bühne 30 nackte Personen zu sehen, von denen die Frauen Penisse und ein paar Männer eine V-förmige Schambehaarung vorzuweisen haben. Wohl als besonders kühne Umsetzung dessen, was im Libretto als „Frauen mit Bart“ angedeutet ist.

Als Hexenchor bedrängen sie Macbeth, umringen ihn, wälzen sich mit ihm auf dem Boden, treten in dieser Adjustierung schwer begreiflicherweise aber auch als Hofgesellschaft auf. Dazu gibt es noch jede Menge rabenschwarze Raben, die den anfangs am Boden liegenden Macbeth bedecken, vorübergehend entfernt, später auch zerfleddert werden und zu Macbeths schändlichen Überlegungen unaufhörlich mit dem Kopf nicken. – Totenvögel? Auf den Schultern von Hexen sitzende Attribute des Unheimlichen? Ziemlich billig, wenig originell, dafür schier endlos eingesetzt.

Nachdem Macbeth von Macduff erstochen worden ist, unterhält er sich angeregt mit einem Raben. Worüber sie wohl sprechen. Vielleicht über die Abwesenheit des Regisseurs, der beim Schlussapplaus nicht in Erscheinung tritt.

Szenisch gibt das Ganze nicht viel her, stört mit seiner Belanglosigkeit aber auch nicht allzu sehr. Musikalisch hingegen ist die Ausbeute um einiges ergiebiger und wird den hohen Erwartungen, die man an eine Premiere im Haus am Ring setzen kann, weitgehend gerecht.

Philippe Jordan ist ein umsichtiger und kundiger Wegweiser durch Verdis auch psychologische Tiefen der Figuren auslotende Musik. Pompöses Machtgehabe, Hofzeremonien, Verschwörertreffen, Mordanschläge, das Elend des Volkes, alles das, was in Barrie Koskys Regie weitgehend ausgespart wird, ist in der Partitur enthalten und wird vom Staatsopernorchester hörbar gemacht. Großartig auch der im Dunkeln singende, aber dennoch stark präsente Chor der Wiener Staatsoper, der gerade in dieser Oper Verdis eine ganz zentrale Funktion hat. Zu Recht wird beim Schlussapplaus dessen Leiter Thomas Lang vom Dirigenten nach vorne in die erste Reihe geholt.

Luca Salsi, derzeit als vermutlich bester Macbeth anzusehen, widmet sich, zwischen Rezitation und Vokalisation pendelnd, dem Text mit größter Aufmerksamkeit und offenbart ein breites Spektrum emotionaler Regungen. Sein fülliger, robuster Bariton besticht mit starker Artikulation und zeichnet den Weg eines ängstlichen, unentschlossenen Charakters zur gefährlichen, schier unstoppbaren Killermaschine. Dass er, von seelischen Qualen und innerer Zerrissenheit gedrängt, vielfach auch zu seufzen und laut zu stöhnen hat, gehört zu seiner Rolle, tut das in Koskys Regie aber gar zu oft.

Als Lady Macbeth feierte Anna Netrebko bereits 2014 an der MET einen Triumph bei Presse und Publikum. Seitdem ist ihr schmiegsamer Sopran nicht nur fülliger, sondern auch ausdrucksstärker geworden. Vor allem in der Tiefe, die in dieser Partie stark gefordert ist, hat sie mehr Substanz gewonnen. Nach einem etwas zögerlichen Beginn setzt sie in der Schlafwandelszene an der Kippe zum Wahnsinn gesanglich und darstellerisch einen Gänsehaut erregenden Höhepunkt, ohne dabei je Verdis Willen, nicht schön zu singen, zu befolgen. Sie singt nicht mit einer fadendünnen Stimme, wirkt im Pianissimo des hohen Des eventuell sogar etwas zu selbstsicher. Aber was ist das schon im Vergleich zu den leider allzu oft zu vernehmenden Quietschlauten und Hopplas so vieler Lady Macbeths?

Mit Roberto Tagliavini wird ein noch sehr jugendlicher Banco aufgeboten, der nahe daran ist, ein perfekter Bass für diese Rolle zu sein. In seiner Arie „Come dal ciel precipita“ weiß er jedenfalls ebenso zu berühren wie in seiner schützenden Fürsorge für seinen Sohn, der im Hintergrund mit einem Ball spielt. Carlos Osuna ist eine zufriedenstellende Hausbesetzung als Malcolm, mit Ilja Kazakov und Aurora Marthens erhalten zwei Mitglieder des Opernstudios ihre Chance sich zu bewähren. Erwähnt zu werden verdienen die als „Stimmen der Erscheinungen“ auftretenden Johannes Gisser, Nicolas Rudner und Maryam Tahon: allesamt Kinder der Opernschule.

Beträchtlicher, rund 10-minütiger Applaus, der vor allem wohl nur der musikalischen Seite der Neuproduktion galt, denn das Regieteam hat sich, wie oben erwähnt, einer Würdigung vorsorglich (?) entzogen

Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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