Alois Schöpf
Noch einmal anfangen?

Die Pandemie dauert inzwischen so lange, dass sich viele, vor allem ältere Semester die Frage stellen, ob sie in den Orchesterbetrieb noch einmal einsteigen wollen, sollte sich die Möglichkeit ergeben. Ich habe es mir inzwischen zur Angewohnheit gemacht, Kolleginnen und Kollegen aus der Blasmusikszene die Frage nach ihren diesbezüglichen Plänen zu stellen, und möchte hier zwecks rechtzeitiger Gegensteuerung ihre wichtigsten Bedenken zur Sprache bringen. Auch auf die Gefahr hin, einige Punkte, die ich bereits angeführt habe, noch einmal zu wiederholen.


Das Repertoire


Das gemeinsame Musizieren reduzierte sich in Zeiten der Pandemie vor allem auf Kammermusik, wobei das Wort „Reduktion“ naturgemäß ironisch zu verstehen ist. Denn sowohl die Qualität der Kompositionen als auch die Anforderungen an die Musikerinnen und Musiker sind im Bereich der Kammermusik meist wesentlich höher als der Querschnitt dessen, was üblicherweise in einer Musikkapelle aufs Notenpult kommt. Wer Kammermusik macht, und hier sind durchaus auch all jene gemeint, die sich der klassischen Volksmusik verschrieben haben, ist musikalisch meist gebildet und orientiert sich im Hinblick auf die Auswahl von Stücken an den strengen Vorgaben der klassischen Musik, deren illegitimes Kind formal die Volksmusik mit ihren Tänzen ist. Dies hat zur Folge, dass viele von ihnen, wenn sie an den Wiedereinstieg in ihre Musikkapelle denken, zweifelnd den Kopf wiegen, wie es eine meiner Kolleginnen unlängst tat, als sie von ihrem Kapellmeister das Repertoire der kommenden Saison zugesandt bekam.

Seien wir einmal ehrlich: Der Großteil dessen, was unsere durchschnittlichen Musikkapellen spielen, ist vor allem dann kompositorischer Schrott, wenn die Traditionen der Vergangenheit vergessen werden und sich Kapellmeister einbilden, „modern“ sein zu wollen. Die Blasmusik entwickelte sich aus der Harmoniemusik, deren Aufgabe darin bestand, die Werke der hohen Kunst, wie sie in den Opernhäusern und großen Konzert- aber auch den Ballsälen der Hauptstadt erklangen, einem breiten Publikum bei abendlichen Serenaden im Freien über Transkriptionen für Bläser zugänglich zu machen. Wo diese Anbindung an die Klassik, ihre Qualitätsmaßstäbe und an die ursprüngliche Aufgabe, sowohl dem Publikum als auch den Musizierenden niederschwellig die Werke der Kunstmusik zu vermitteln, vergessen wird, bleibt zu oft nur Epigonales und Triviales übrig. Und das dann auch noch amateurhaft gespielt! Der musikalisch Gebildete wendet sich nicht ganz unberechtigt mit Grausen ab.


Die Orchesterbesetzung


Speziell die Holzblasregister, für die das Spiel in kleinen Gruppen ein außerordentliches Vergnügen, aber auch eine ultimative Herausforderung ist, gehen mit ihrem zarten Sound, wenn man zum Beispiel an die Funktion der 2. und 3. Klarinette oder an das Fagott denkt, im Meer eines vor allem aus Blechbläsern bestehenden Blasorchesters unter. Hier regiert immer noch zu oft die Begeisterung über möglichst viele Vereinsmitglieder, aber auch die Lust der Kapellmeister, über möglichst viele Musikerinnen und Musiker regieren zu dürfen.

Die Pandemie, die sich durch Impfungen und Medikamente nun doch langsam einem Ende zuzuneigen scheint, wird zweifelsfrei zu vielen Abgängen führen. Dies könnte auch als Chance begriffen werden, die Verehrung der großen Zahl endlich zu hinterfragen und die Möglichkeit eines qualitativ hochwertigen und transparenten Musizierens mit wesentlich weniger Musikerinnen und Musikern als neue, gleichsam postpandemische Realität zu akzeptieren. In einem kleinen Blasorchester kann sich niemand verstecken, jeder muss seine Leistung erbringen, mehr üben, wenn er nicht negativ auffallen will, und sich in Bezug auf seine Anwesenheit bei Proben und Konzerten, da er schwer ersetzbar ist, verlässlicher, d.h. solidarischer verhalten. Der Lohn solch strengerer Rahmenbedingungen wäre jedoch zweifelsfrei eine viel größere Freude und Bestätigung beim Musizieren und darüber hinaus die Realisierung eines höheren künstlerischen Anspruchs.


Zu viele Ausrückungen

Über die Anforderungen des modernen Berufslebens müssen nicht viele Worte verloren werden. Ganz abgesehen von der Doppelbelastung der Frauen oder dem heute selbstverständlichen Aufwand, den Kinder bis zum Ende ihrer Schulpflicht erfordern. Nicht vergessen werden sollten auch, wie es einer meiner Freunde, dem ich zum Geburtstag gratulierte, mir in Erinnerung rief, jene körperlichen Schäden, Konditionsschwächen oder altersbedingte Einschränkungen, die es notwendig machen, seine Kräfte vor allem im Hinblick auf das Musizieren, das im Grunde auf Schwerarbeit hinausläuft, rational einzuteilen und zu bündeln.

Alle diese Momente der möglichen Überlastung, von der unser hektischer Alltag gekennzeichnet ist, sind dazu angetan, einen Wiedereinstieg in das Hobby Musik und in eine Musikkapelle mit der Frage zu verbinden, ob der zeitliche und energetische Aufwand überhaupt erbracht werden kann und, wie es so schön heißt, dafür steht?

Vor diesem Hintergrund wären, zumindest aus meiner Sicht, die Musikvereine gut beraten, ihren Terminkalender genauestens zu analysieren und sich die Frage zu stellen, ob es wirklich notwendig ist, bei jedem Geburtstag eines Bürgermeisters oder bei jeder kirchlichen Feier, die ohnehin nur noch von einer Minderheit wahrgenommen wird, das ganze Orchester zu mobilisieren und nicht vielmehr kleine Ensembles, die ausdrücklich dafür Interesse anmelden, zu entsenden. Dies würde nämlich auch auf eine längst fällige Aufwertung der bislang viel zu wenig beachteten kammermusikalischen Tätigkeiten innerhalb eines Orchesters hinauslaufen und jene Musiker honorieren, deren solistisches Können und deren Bildung sonst zu oft in der allgemeinen Klangsuppe untergehen.

Erschienen in: Blasmusik, Offizielle Fach- und Verbandszeitschrift des Bundes Deutscher Blasmusikverbände, Mai 2021.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Armin Vittorelli

    Gut, dass es Menschen gibt, die für die Kultur, besonders für die Musik, initiativ sind.
    Gratulation
    Schöne Grüße

    Armin Vittorelli

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