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Manfred A. Schmid
Eine unterhaltsam verschachtelte,
entzückende musikalische Komödie!
Zur Premiere der Farsa musicale
„Der Florentiner Hut“
von Nino Rota
in Graz

Die Premiere der musikalischen Farce in vier Akten von Nino Rota, nach einem Stück von Pierre Labiche, hätte schon 2020 an der Oper Graz stattfinden sollen. Corona bereitete dem Unterfangen ein jähes Ende, führte aber dazu, dass Il cappello di Paglia di Firenze, so der Originaltitel, zunächst auf CD eingespielt wurde, was international für großes Aufsehen sorgte und in vielen Medien lobend besprochen wurde: Handelt es sich dabei doch um die derzeit einzige verfügbare Aufnahme der 1955 in Palermo uraufgeführten komischen Oper des italienischen Komponisten.

Martin Fornier (Onkel Vézinet), Tetiana Miyus (Elena), Potr Buszwski (Fadinard) und Ensemble. Foto: Oper Graz / Werner Kmetitsch Martin Fornier (Onkel Vézinet), Tetiana Miyus (Elena), Potr Buszwski (Fadinard) und Ensemble. Foto: Oper Graz / Werner Kmetitsch

Geschätzt wird Nino Rota vor allem für seine Filmmusiken für Federico Fellini (u.a. La Strada), aber auch für Francis Ford Coppolas Der Pate, die ihm den Oscar für die beste Filmmusik einbrachte. Dass der langjährige Direktor des Konservatoriums von Bari neben rund 150 Filmmusiken auch als Komponist von Konzert– und Bühnenmusik in Erscheinung getreten ist, darunter zehn Opern, blieb außerhalb Italiens lange unbekannt.

Die merkwürdige, längst nicht mehr sinnvoll anwendbare Unterscheidung von E- und U-Musik, von Ernster Musik und sogenannter Unterhaltungsmusik, hat dazu beigetragen, dass Nino Rota, der als musikalisches Wunderkind galt – sein Oratorium L’infanzia di San Giovanni Battista wurde unter Leitung des gerade einmal zwölfjährigen Komponisten aufgeführt, war aber bereits vier Jahre zuvor entstanden – lange nicht ernst genommen wurde.

Das lag aber auch daran, dass seine Musik immer tonal war und damit die Bestrebungen der nach dem 2. Weltkrieg tonangebenden Avantgarde völlig ignorierte. Erst in letzter Zeit ist Kammermusikalisches aus seiner Feder in Konzerten hin und wieder anzutreffen.

Der 1979 verstorbene Nino Rota war eben ein Postmoderner, noch bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Dass er jetzt in Graz als Opernkomponist wiederentdeckt und aufgeführt wird, hängt damit zusammen: Postmodernität bedeutet: Anything goes – nur gut muss es sein. Und gut ist die Musik von Nino Rota allemal.

Wie seine großen italienischen Vorbilder Rossini und Donizetti hat er keinerlei Scheu, in seiner musikalischen Komödie Der Florentiner Hut aus deren Werken, aber auch aus seinen eigenen Filmmusiken, Passagen und Melodien zu übernehmen, sie genüsslich zu zitieren oder sich zumindest von ihnen inspirieren zu lassen.

Es finden sich zudem auch Verweise auf Verdi, Puccini und Mozart. Auch dass er in Amerika Bekanntschaft mit Gershwin, Copland und Barber gemacht hat, hat da und dort Spuren hinterlassen. Und an manchen Stellen vermeint man auch Schostakowitsch, wie Rota ebenfalls ein bedeutender Filmmusiker, neben seinem übrigen Schaffen, hineindonnern zu hören.

Nino Rotas Musik steht ganz im Zeichen des Geschehens auf der Bühne. Fadinard feiert in der Stadt Hochzeit mit der geliebten Elena, die mit ihrem Vater und vielen Freunden und Verwandten vom Land angereist ist. Um eine Tragödie zu vermeiden, ist der Bräutigam allerdings dazu gezwungen, den ganzen Tag lang einen Ersatz für einen Strohhut aufzutreiben, den sein Pferd bei einer Rast aufgefressen hat. Auf der Suche kommt ihm nicht nur die ihm stets folgende Hochzeitsgesellschaft in die Quere, sondern noch viele weitere wahnwitzige Hindernisse, bis es endlich zu einem guten Ende kommt.

Fadinards Gehetztheit und Atemlosigkeit, die Konfrontation mit stets wechselnden Schauplätzen, immer neuen Situationen und kaum bewältigbaren Herausforderungen findet sich in Rotas gekonnt instrumentierter Partitur wieder. Die stark rhythmisierte Musik treibt die Handlung voran und kann mit vielen komischen Überraschungsmomenten aufwarten: Grotesk tiefe Töne vom Blech oder etwa eine Sologeige, die den Gesang der Baronin de Champigny begleitet, und deren Spieler Fadinard für den Stargeiger Minardi aus Florenz hält. Was wahnwitzige Folgen hat, wenn der wahre Minardi auftaucht (Alexander Stock) und aufzuspielen beginnt.

Ein weiterer gelungener, witziger Höhepunkt – der Chor der emsig an einem riesigen Strohhut arbeitenden Näherinnen – ist nur ein Beispiel für die exzellente Regiearbeit von Bernd Mottl, der die stets bis an den Anschlag vorantreibende Handlung gekonnt und die Komik unterstreichend umsetzt.

Für viele Lacher sorgt auch die Bühne von Friedrich Eggert, der die Schauplätze in Geschenkkartons und Hutschachteln verankert. Abwechslungsreich schwarz-weiß gemustert wie die Schachteln sind auch die dazu passenden Kostüme von Alfred Mayerhofer. Die Musik ist ja selbst bunt genug.

Insgesamt eine überzeugende, unterhaltsame, für viele Lacher sorgende Inszenierung, die der Vorlage trefflich entspricht und sie ins rechte Licht – und damit in die Nähe der großen musikalischen Komödien wie Don Pasquale, Falstaff, Gianni Schicchi rückt.

Piotr Buszewski (Fadidard) und Anna Brull (Varonin de Champigny). Foto: Oper Graz / Werner Kmetitsch
Piotr Buszewski (Fadidard) und Anna Brull (Baronin de Champigny).
Foto: Oper Graz / Werner Kmetitsch

Hervorragend disponiert, gekonnt humorvoll und gesanglich ausdrucksstark ist die in Graz auftretende Besetzung: bis auf den quirligen, charmanten Mittelpunkt, Piotr Buszewski in der Rolle des stets präsenten, am Rande des Nervenzusammenbruchs stehenden und dennoch stets beharrlich an seine Aufgabe herangehenden Fadinard, handelt es sich ausschließlich um Kräfte aus dem Ensemble des Hauses.

Tetiana Miyus als Elena ist eine geduldig und ergeben wartende Braut, die bis zum Finale nicht mitbekommt, was da vor sich geht, ihrem Bräutigam aber stets vertraut. Daeho Kims Brautvater Nonancourt, der mit seinem Schwiegersohn nicht zufrieden ist, sich angesichts der auftretenden Verwechslungen in seinen Zweifeln bestätigt sieht, was er wiederholt im Ausruf Alles ist aus! bekräftigt, erinnert an die Figur des rechthaberischen, misstrauischen Don Pasquale.

Die Rolle der extravaganten Baronin de Champigny gibt Anna Brull die Gelegenheit, als etwas schrullige Dame der Gesellschaft zu brillieren, Andzelika Wisniewska verkörpert als Anaide die Frau, deren Hut bei einem Seitensprung mit Emilio (Dariusz Perczak) von Fadinards Pferd gefressen wird und die diesen unbedingt wiederhaben muss, um sich vor ihrem eifersüchtigen Gatten Beaupertuis (Ivan Orescanin) nicht des Ehebruchs verdächtig zu machen.

Herauszuheben sind weiters Martin Fournier als schwerhöriger, seniler Onkel Vézinet, Ivana Ristic als Modistin und der spiel- und sangesfreudige Chor.

Daniele Squeo am Pult der Grazer Philharmoniker leitet einen rasanten, mitreißenden, Italianità versprühenden, unterhaltsamen und begeistert beklatschten Opernabend.

Nora Schmid, die Grazer Intendantin, die sich mit Ende der Saison verabschieden und 2024/25 die Intendanz in Dresden übernehmen wird, hinterlässt ein prächtig floriendes Haus. Das beweist auch ihre letzte Produktion, die total verschachtelte, ungemein unterhaltsame Inszenierung von Nino Rotas musikalischer Farce

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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