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Manfred A. Schmid
Wie der junge Goethe
auf Freiersfüßen kalte Füße bekommt
und die Flucht ergreift.
Zur Premiere der Lehár-Operette
„Friederike"
in Baden bei Wien

Die Deutschen und ihr Goethe: Für eine repertoiretaugliche deutsche Faust-Oper sollte es, trotz einiger Anstrengungen – u.a. von Louis Spohr – nicht langen. Nur Robert Schumanns Szenen aus Faust sind hie und da, meist nur konzertant, anzutreffen. 

Sobald aber ein Franzmann seine Hand an das Werk legte und eine veritable Oper zum recht frei bearbeiteten Der Tragödie Erster Teil fertigbrachte, löste das einen Skandal aus und wurde als unerhörtes Sakrileg gebrandmarkt. 

Die Folge: Fast ein Jahrhundert lang durfte Charles Gounods Faust auf Bühnen im deutschsprachigen Raum nur unter dem Titel Margarethe angekündigt werden. Zu groß waren Scham und Schande angesichts des Umstands, dass sich ein Franzose an diesem deutschen Heiligtum vergriffen hatte.

Clemens Kerschbaumer (Johann Wolfgang Goethe) und Domenica Radlmaier (Friederike). Clemens Kerschbaumer (Johann Wolfgang Goethe) und Domenica Radlmaier (Friederike)

Dass Goethe zur Weltliteratur zählt und der ganzen Welt gehört, hatte man, aus verletztem Stolz, wohl vergessen, während die Briten wohlwollend zur Kenntnis nehmen, wenn ihr Shakespeare von Leuten wie Verdi, Donizetti oder Massenet hinauf- und hinunterkomponiert wurde.

Kein Wunder, dass die Nazis auch mit Franz Lehárs Singspiel Friederike, über die erste große Liebe Goethes zur Pfarrerstochter Friederike Brion in Sesenheim bei Straßburg, keine Freude hatten.

Das 1928 mit Erfolg uraufgeführte Werk wurde nach ihrer Machtergreifung mit einem Aufführungsverbot belegt. Der Grund: Die Librettisten Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda waren Juden und – um das Maß der Zuträglichkeit noch mehr zu strapazieren – bei der Uraufführung wurde ausgerechnet die Rolle des Goethe von Richard Tauber, Lehárs Lieblingstenor und ebenfalls Jude, verkörpert und gesungen. 

Das Verbot muss Lehár, der eine jüdische Ehefrau hatte, was von den Machthabern aber akzeptiert wurde, sehr getroffen haben, hielt er Friederike doch für sein musikalisch bestes Werk. In der Tat zeigt sich darin der Komponist auf dem Höhepunkt seiner Kunst: Die Instrumentation ist perfekt, und es gibt Anzeichen, dass er sich mit den Errungenschaften einiger seiner Zeitgenossen auseinandergesetzt hat. 

Domenica Radlmaier (Friederike), Verena Scheitz (Madame Schöll), Theresa Grabner (Salomea) und Ensemble Domenica Radlmaier (Friederike), Verena Scheitz (Madame Schöll), Theresa Grabner (Salomea) und Ensemble

Anklänge an die Musik von Korngold, Janacek und Strauss sind zu vernehmen. Nur die ganz großen Schlager – sieht man von Liedern wie Mein Mädchen, mein Mädchen, Warum hast du mich wachgeküsst? und dem leitmotivisch eingesetzten Sah ein Knab‘ ein Röslein stehn einmal ab – fehlen in dieser Operette. 

Mag sein, dass das auch der Grund ist, warum Lehár die Gattungsbezeichnung Singspiel bevorzugt hat. Gekränkt muss Lehár das Aufführungsverbot auch haben, weil er sich in diesem Werk, anders als Kollegen wie Paul Abraham oder Oscar Straus, nicht um die Übernahme von amerikanischen, jazzig angehauchten Modetänzen bemühte, sondern gewissermaßen klassisch-deutsch komponieren wollte, was sich in volksliedhaften, z.T. tatsächlich auch elsässischen Melodien und Rhythmen niedergeschlagen hat.

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs ist Friederike nur selten zu Aufführungen gekommen. Noch im Jahr 2014 endet Online-Merker-Kollege Pacolt in seiner Rezension einer Aufführung in Ulm mit folgender Frage: Man darf gespannt sein, wann und wo in Österreich diese Operette um die Jugendliebe Goethes zur Aufführung gelangen wird… 

Es sollte, wie es sich zeigt, fast zehn Jahre dauern, bis es jetzt an der Bühne Baden tatsächlich so weit ist. Das liegt gewiss auch an der dünnen Handlung, die sich schwer zu einer Operette aufblasen lässt, obwohl das immer wieder versucht wird. 

Auch der preisgekrönte Peter Lund, ausgezeichnet u.a. für seine exzellente Regie bei Axel an der Himmelstür an der Volksoper Wien, bemüht sich, rund zweieinhalb Stunden inklusive Pause mit guten Einfällen abwechslungsreich zu füllen. So lässt er in einer kleinen Guckkastenbühne, die in das stimmungsvolle Genrebild einer elsässischen Ortschaft eingebaut ist, Friederike als Marionettenfigürchen auftreten (Bühne von Ulrike Reinhard und Hanna Sophie Stejskal, die auch für die farbenprächtigen Kostüme verantwortlich zeichnen). Wohl ein Hinweis darauf, dass zur Mitte des 18. Jahrhunderts das Leben einer jungen Frau von ihren Vätern bestimmt und ihr wenig Freiraum für eigene Entscheidungen eingeräumt wurde. 

Ausgiebig lässt Lund auch Die lustige Person und den längst zum Weimarer Geheimrat avancierten Dichter auftreten und das Geschehen auf der Bühne kommentieren oder auch korrigieren. Wenn etwa die unerwartete Trennung des jungen Goethe von Friederike, als er der Berufung nach Weimar Folge leistet, so dargestellt wird, als ob sich Friederike als Opfer selbst zurückgezogen hätte, um der Karriere ihres Geliebten nicht im Wege zu stehen, dann wird der reife Goethe von seinem Begleiter daran erinnert, dass er es war, der die Beziehung beendet hat. 

Ricardo Frenzel Baudisch (Jakob Michael Reinhold Lenz, mit einem etwas störrischen Lamm) Ricardo Frenzel Baudisch (Jakob Michael Reinhold Lenz, mit einem etwas störrischen Lamm)

Dichtung und Wahrheit spielen überhaupt eine wichtige Rolle in diesem Stück. Die beiden Figuren erinnern an Faust und dessen Alter Ego Mephisto. Ein Eindruck, der auch durch das einleitende Vorspiel auf dem Theater bestärkt wird. 

Überhaupt sind viele irgendwie dazu passende Zitate, oft in Knittelversform, aus anderen Werken des Dichters in die Dialoge eingebaut, was oft für Heiterkeit sorgt.
Das Liebespaar Friederike und Johann Wolfgang wird von der Sopranistin Domenica Radlmaier, die vor allem als sanfte Unschuld vom Lande überzeugt, und dem Mozart-Tenor Clemens Kerschbaumer, der seine helle Stimme auch operettig durchaus mit Schmelz und Schmalz ertönen lassen kann, dargestellt.

Theresa Grabner als Friederikes Schwester Salomea ist eine lebenslustige, extrovertierte junge Dame, die sich lange nicht zwischen den beiden Freunden und Studienkollegen Goethes, dem sympathischen, etwas tölpelhaften Jakob Michael Reinhold Lenz (Ricardo Frenzel Baudisch, einmal mit einem Lamm an der Leine) oder dem angehenden Herrn Doktor Weyland entscheiden kann, sich schließlich aber mit Letzterem verehelicht, was sie bitter bereuen wird. Stellt er sich doch als ziemlicher Despot heraus.

Der Weyland ist aber nur eine der vier Rollen, die Oliver Baier in diesem Stück zu spielen hat. Er tritt weiters auch als sächselnder Weimarer Herzog, dann kurz als Seppel, vor allem aber als Die lustige Person in Erscheinung, die er mit viel Liebe und heiter-dämonischer Abgründigkeit ausstattet, was sogar an den Mephisto des großen Gustav Gründgens denken lässt. Eine Rolle, in der Baier brillieren kann und die ihm weit besser liegt als jüngst der Professor Higgins in der Badener My Fair Lady.

Eine gediegene Rollengestaltung ist auch Herbert Steinböck zu attestieren, der als gutmütiger Pfarrer und Vater Friederikes wie auch als ratloser Theaterdirektor und schroff-strammer Hauptmann Knebel zum Einsatz kommt. Ein Gustostück an Komik liefert Steinböck als Madame Hahn, die er hoch zirpen, aber auch im tiefen Bass sprechen lässt. Komödiantisch unterstützt wird er dabei von Verena Scheitz als Madame Schöll, mit der er die vor ihren Augen spielenden und scheiternden Liebesgeschichten kommentiert und die ihm auch als resolute Pfarrersgattin Magdalena Brion zur Seite steht. Die familiäre Situation beleuchtet seine Bemerkung bei Tisch: „Es fehlt das Salz!“ Das könnte von Loriot sein!

Jan Walter ist ein auf Würde und guten Ruf bedachter Dichter, der sein nicht sehr feines Agieren gegenüber Friederike in jüngeren Jahren im Nachhinein gerne dichterisch verklären möchte. Daniel Greabu als Stilling komplettiert die Studentenschar rund um Johann Wolfgang G. Entzückend sind Theresa Eilenberger und Ferdinand Julius Esterle als tanzende Kinder.

Einen starken Schlusseffekt setzt Regisseur Lund, der das am Anfang eingeblendete Marionettentheater in einem schönen Bogen noch einmal auf die Bühne bringt. Die lustige Person, besser: Mephisto, hält die Friederike darstellende Figur an den Schnüren fest, Friederike sieht aus einiger Entfernung zu. Der Dichter tritt heran und durchtrennt mit einer Schere die Verbindung zu Mephistos Hand. Die Puppe fällt zu Boden, ebenso Friederike. Sie ist endlich frei. Ob und wie sie sich wiederaufrichten wird, bleibt offen.

Das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Lorenz C. Aichner wird beim Schlussapplaus im nicht ganz ausverkauften Haus ebenso gefeiert wie die Gesangs- und Ballettensembles auf der Bühne. 

Die rund zweieinhalb Stunden dauernde Aufführung ist, trotz guter Regie und insgesamt erfreulicher musikalischer Leistungen, nicht ohne Längen. Eine straffere Aufführung ohne Pause wäre vielleicht ratsamer gewesen. Ein Besuch dieses nicht so bekannten Lehár-Singspiels zum Kennenlernen ist aber durchaus empfehlenswert.

Bildnachweis/Copyright Fotos: Bühne Baden / Christian Husar

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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